• Interview
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  • Alisha Qamar
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  • 07.10.2021

Bodyshaming und Antimuslimischer Rassismus im Gesundheitssystem

Denise Neghmouchi ist eine absolute Powerfrau. Sie ist Mama und Unternehmerin mit der Firma DOPPELPAKK, die sich für Diversity einsetzt. Sie hat einen Podcast und ist aktiv im Bereich Diversity, Equity und Inclusion. Als Muslima sowie hochgewichtige Frau hat sie leider viel Diskriminierung erfahren – auch durch medizinisches Personal. Darüber und was zukünftige Mediziner*innen besser machen können, erzählt sie im Interview.

 

 

> Hallo Denise, danke für deine Zeit! Wer bist du denn und was machst du genau?

Ich bin Denise, werde bald 37 Jahre alt, komme aus Darmstadt, bin Mama von zwei Jungs und seit 14 Jahren verheiratet. Ich bin Muslimin und 2009 zum Islam konvertiert. Früher war ich in einem Unternehmen als Assistentin der Geschäftsleitung und des Vorstandes angestellt. Obwohl ich dort hart gearbeitet habe, wurde ich von den Chefs beispielsweise bei wichtigen Meetings zum Kaffee holen geschickt, was ich als sehr respektlos empfand. Auch wegen meinem Kopftuch wurde ich häufig diskriminiert. In der Elternzeit habe ich dann beschlossen, mich selbstständig zu machen. Ich habe Onlinekommunikation studiert und im Studium meinen Geschäftspartner Dominik kennen- und lieben gelernt. Wir haben uns oft über unsere Diskriminierungserfahrungen als queerer Mann und muslimische, übergewichtige Frau ausgetauscht. Aus dieser Motivation heraus gründeten wir im letzten Jahr unsere Firma DOPPELPAKK Das ist unsere Agentur für Diversity, Equity und Inclusion in Verbindung mit Kommunikation. 

> Welche Ziele verfolgt die Agentur?

Unser Hauptziel ist es, Diversity in Unternehmen unter die Lupe zu nehmen. Wir fragen uns „Wie ist das Unternehmen divers aufgestellt?“, „Wie kommuniziert es?“ Kommuniziert es so, dass beispielsweise eine Frau mit Kopftuch, ein schwarzer Mann oder eine queere Person dort gerne arbeiten würde? Gibt es in dem Unternehmen sogenanntes „Diversity Washing“? Das bedeutet, Diverstität wird auf der Website angepriesen, aber intern finden sich hauptsächlich weiße Menschen. Außerdem erarbeiten wir Campaigning für die Diversity, Equity und Inclusion (DEI) Kampagne, politische Kampagnen, Sensibilisierungsworkshops und Impulsvorträge, um aus Unternehmen das meiste herauszuholen. Diversity ist ein Prozess. Wir haben alle Vorurteile und Stereotypen im Kopf und müssen noch ganz viel lernen! 

> Denise, gemeinsam mit Dominik hast du auch einen Podcast! Welche Ziele verfolgt ihr damit?

Unseren gemeinsamen Podcast namens Dick&Schwul haben wir Anfang 2020 ins Leben gerufen. Wir sprechen darin über unsere Erfahrungen, die gängigsten Vorurteile und planen unsere Folgen so, dass der eine Experte oder Expertin zu dem Thema ist und die andere Person Fragen stellt. Unser Ziel ist „Edutainment“, man soll etwas lernen, wenn man unseren Podcast hört. Wir geben auch wissenschaftliche Fakten an die Hand, wollen aufklären und sensibilisieren. Unser Podcast soll dabei helfen, Awareness zu schaffen, damit Menschen anfangen, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, von denen sie bisher noch nichts gehört haben oder selbst nicht betroffen ist. Wir geben Tipps, wie man solidarisch sein und sich stark machen kann!

> Du hast in deinem Leben Erfahrungen mit und ohne Hijab gemacht. Was ist dir dabei aufgefallen? Wie wurde mit dir umgegangen?

Ich habe 25 Jahre lang kein Kopftuch getragen, sieben Jahre habe ich es getragen und nun seit vier Jahren abgelegt. Ich habe also die meiste Zeit meines Lebens ohne Kopftuch verbracht und habe den Vorteil, dass ich durch mein weiß sein und meinen deutschen Vornamen unauffällig bin. Als ich anfing das Kopftuch zu tragen, wurde ich gefragt, ob ich „Deniz“ heiße und Türkin sei. „Du hast so türkische Augen“, wurde mir gesagt. Ich wurde von vielen türkisch und arabisch gelesenen Menschen angesprochen und gefragt, ob ich Deutsche sei und zum Islam konvertiert sei. Diese Menschen waren begeistert. Meinen deutschen Freunden und Freundinnen hingegen zu erklären, dass ich nun den Hijab tragen möchte, war für diese nicht einfach zu verstehen. Es hat viel Zeit gebraucht, bis sie es verstanden und sich für mich stark gemacht haben. Man wird schon ausgegrenzt und rassifiziert. Es hieß direkt „Du bist anders“, „Du bist nicht mehr deutsch“.

Ich erinnere mich an diskriminierende Situationen in meinem kleinen Dorf in der Nähe von Darmstadt.  Als ich hierher gezogen bin, trug ich den Hijab. Mütter haben ihre Kinder von meinem Sohn weggezogen, als sie sahen, dass ich die Mama bin und mir blöde Blicke zugeworfen. Beim Bäcker fragte mich die Verkäuferin „Ach Sie waren deutsch, oder?“, da dachte ich mir Ich trage Kopftuch und bin deutsch! Vor einiger Zeit lief eine Frau mit Kopftuch in meiner Gegend die Straße herunter. Lauter Leute standen am Zaun und beobachteten sie. Wäre es eine Frau ohne Kopftuch gewesen, hätte es keinen interessiert. Als mein Sohn dann in den Kindergarten gekommen ist, habe ich einen Elternabend einberufen, um über anti-muslimischen Rassismus aufzuklären. Ich habe ihnen von meinen Erfahrungen im Dorf erzählt und alle waren betroffen. Mir ist es wichtig, Menschen auf ihre Rassismen, bewusst oder unbewusst, aufmerksam zu machen und einen Diskurs zu starten.

> Welche Erfahrungen hast du mit dem Kopftuch und mit deinem Gewicht bei Ärztinnen und Ärzten gemacht? 

Ein Arzt wollte mich nicht aus dem Behandlungszimmer gehen lassen. Im Termin ging es nur um ein orthopädisches Gespräch und als ich gehen wollte, fragte er mich „Was ist denn mit Ihrem Kopftuch?“ „Warum tragen Sie Kopftuch?“. „Weil ich Muslimin bin und es als meine Pflicht sehe“, antwortete ich und lief weiter. Dann hat sich der Arzt vor die Tür gestellt und wollte mit mir diskutieren. Ich wusste, dass ich ihm keine Rechenschaft schuldig bin und sagte, dass ich schreien werde, wenn er mich nicht gehen lasse. Das war eine beängstigende Situation. Ich bin eine große Frau und habe viel Selbstbewusstsein, aber der Gedanke daran, wie vielen Frauen dieselbe Situation schon passiert ist, die sich vielleicht nicht wehren konnten, finde ich schockierend.

Den größten Unterschied habe ich bei der Geburt meiner Söhne erlebt. Ich bekam meinen ersten Sohn, als ich mein Kopftuch trug. Dort wurde ich komisch angesprochen und behandelt. Ich habe mich geweigert zu stillen, wenn Männer im Raum waren. Das Personal wusste nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Ich habe mich für vegetarische Kost entschieden, bekam dann „Moslemkost“. Das war dann ein Brot mit Butter. Mein Name wurde ständig falsch ausgesprochen, mir wurde ein ungutes Gefühl gegeben und deutlich gemacht, dass ich „anders“ als die anderen bin. Sobald der Partner aus dem Krankenzimmer geht, ist niemand mehr da, der sich für einen einsetzt.

Alles was ich an unschönen Erfahrungen und Diskriminierung im Rahmen der ersten Geburt erlebt habe, zeigte sich tatsächlich erst bei der zweiten Geburt in Form einer Panikattacke. Trotz toller Behandlung hatte ich große Angst geprägt durch die alten Erfahrungen - und das sechs Jahre später. Es war eine unfassbar krasse Erfahrung, wie ich behandelt wurde, aufgrund meines Kopftuchs und meines Gewichtes. Die ganze Schwangerschaft über wurde mir unterstellt, dass ich bestimmt Schwangerschaftsdiabetes entwickeln würde. Weder in der ersten noch in der zweiten Schwangerschaft war das der Fall. Damals bei der Frauenärztin habe ich einen Check-Up machen lassen, weil ich mir ein Baby wünschte. Sie sagte mir, dass ich mit meinem Gewicht Jahre brauchen würde, um schwanger zu werden. Sechs Wochen später stand ich mit einem positiven Schwangerschaftstest in der Praxis. 

Bei meiner Hausärztin habe ich kürzlich ein großes Blutbild machen lassen, außerdem schaute sie sich meine Organe gründlich an. Sie sagte, dass ich gesund bin, meine Organe super aussehen und ich keine erhöhten Cholesterinwerte habe. Es ist so traurig, dass man direkt in eine Schublade gesteckt wird, aber wenn es um die Fakten und Zahlen geht, dann steht schwarz auf weiß, dass es mir gut geht. Auch jedes Mal, wenn ich krank bin, wird mir ohne Untersuchung schon gesagt, dass ich abnehmen sollte, denn das Gewicht sei die Hauptursache. Ich solle abnehmen, dann werde ich nicht mehr so oft krank. Dass es daran liegt, dass mein Sohn vieles aus der Schule mitschleppt, wird nicht beachtet. Es ist einfach frustrierend, dass das erste, was Ärztinnen und Ärzte sagen, wenn ich in den Untersuchungsraum komme „Sie sollten schon Gewicht verlieren“ ist. Das ist mir selbst bewusst, ich sehe mich täglich im Spiegel. Mir wird das täglich von der Gesellschaft gespiegelt. Kürzlich wurde bei mir Hashimoto diagnostiziert und diese Diagnose tat mir wirklich gut. Ich habe die Schuld für mein Gewicht immer bei mir gesucht, mir gesagt, ich wäre zu willensschwach und mich gequält. Es war schön von meiner Ärztin zu hören, dass ich für mein Gewicht nichts kann. Das war unfassbar ermutigend hat meinen Glaubenssatz gebrochen, dass ich zu dumm bin zum Abnehmen. 

> Was wünschst du dir von Ärztinnen und Ärzten? 

Ich finde es wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte eine Diversity sensible Ausbildung machen. Mir fehlt oftmals das Fingerspitzengefühl. Ich weiß noch, dass ich bei der ersten Geburt eine lokale Betäubung bekommen sollte, damit ich den Kaiserschnitt mitverfolgen kann. Durch den Speck am Rücken haben sie keinen Zugang gefunden. Sie haben mir mit den Nadeln sehr wehgetan und über mich gelästert. „Wie kann man so fett sein?“ „Wie ist die überhaupt schwanger geworden?“ „Wer fasst die denn an?“ Entkräftet sagte ich den Ärztinnen und Ärzten, dass ich sie hören kann. Ich konnte mich gar nicht wehren. Und das zu sehen hat mich schockiert. Dass jemand, der dafür ausgebildet ist, mit Menschen zu arbeiten so etwas macht. Man ist als Patientin in der Situation unfassbar verletzlich. Bei meiner zweiten Geburt war die Erfahrung um Welten besser. Das Team war superfreundlich, die Ärztin sagte mir wie schön es sei, den Tag mit einer Geburt zu beenden und streichelte mir die Hand. „Sie schaffen das“ sagte sie mir.

> Was macht für dich eine optimale Behandlung aus?

Ich wünsche mir einfach, dass Leute, die Menschen helfen sollen, verstehen, dass man als Patient*in ausgeliefert ist und vertrauen muss. Ärztinnen und Ärzte sollen mich nicht direkt in eine Schublade stecken und würdevoll mit mir umgehen. Ich verdiene respektvolle Behandlung, egal wie dick oder dünn ich bin. Sie dürfen die Menschlichkeit nicht vergessen. Es ist einfach ein gesamtgesellschaftliches Problem, was sich auch in der Medizin ausdrückt. 

> Was können Akteure und Akteurinnen des Gesundheitssystems machen, um sensibler für solche Themen zu werden?

Erfahrungsaustausch ist wichtig. Man muss einander darauf hinweisen, wenn Diskriminierung geschieht, sich für die Themen sensibilisieren, zum Beispiel in Form von Workshops. Man muss untereinander aufmerksam sein und den Mut besitzen, Kolleginnen und Kollegen zu sagen, dass bestimmte Aussagen und Handlungen diskriminierend waren. Selbst als junge Studentin, junger Student oder Auszubildende*r im Krankenhaus darf man keine Angst haben, den älteren zu sagen, dass sie einen Fehler machen und Patienten und Patientinnen nicht würdevoll begegnen. Solche Themen müssen angesprochen werden, da es vielen einfach nicht bewusst ist, dass bestimmte Handlungen und Aussagen verletzend und diskriminierend sind. Ich sehe die Verantwortung bei den Universitäten und Krankenhäusern, aktiv zu werden. Verpflichtende Sensibilisierungsworkshops wären ein erster Schritt, damit das Thema für alle greifbar wird.


> Woher nimmst du die Energie für deine Diversity Arbeit?

Das frage ich mich manchmal auch selbst. Ich habe einen Idealismus, den ich in die Welt heraustrage. Man denkt, wenn ich es nicht mache, machts doch keiner. (lacht) Wer mich inspiriert, sind Leute die mutig zu sich selbst stehen und nicht einknicken. Wenn jemand, egal wieviel Gegenwind er bekommt, sagt „Hey, ich bin wie ich bin und ich werde dazu stehen und zeige dir, wie meine Welt aussieht!“

> Denise, was möchtest du Frauen mitgeben, die Diskriminierung auf verschiedensten Ebenen erfahren?

Sei mutig und verbiege dich nicht. Es ist kein Zeichen von Schwäche nach Hilfe zu fragen, wenn du selbst nicht für dich laut sein kannst. Als Nicht-Betroffene Person sollte man einschreiten um denen, die keine Stimme haben, seine zu geben. Und wenn das eine angehende Medizinerin oder ein angehender Mediziner ist, der oder die sich stark macht, ist das ermutigend.
 

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