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- Leon und Jenny Föllmer
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- 02.10.2024
Die Wahrheit über das Medizinstudium an der Semmelweis Universität in Budapest: Mythen und Fakten
Rund um die Semmelweis Universität kursieren zahlreiche Mythen: Ist das Studium dort wirklich leichter? Studieren dort nur welche mit reichem Papi? Wie sieht es mit der Anerkennung des Abschlusses aus? In diesem Artikel klären wir die häufigsten Missverständnisse und zeigen, was wirklich hinter diesen Gerüchten steckt.
Foto: EOK Gebäude Budapest
1. Die Uni nimmt alle, die es in Deutschland nicht über die NC-Grenze geschafft haben
Falsch: An der Semmelweis Universität wird zwar der Abiturschnitt bei der Auswahl berücksichtigt, jedoch ist es nicht das einzige Kriterium. Im Gegensatz zu Deutschland bewirbst du dich nicht bei Hochschulstart an allen Universitäten gleichzeitig, sondern du reichst deine Bewerbung bei den ausländischen Universitäten direkt ein. Jede Hochschule legt ihre eigenen Kriterien zur Aufnahme fest. Die Semmelweis Universität fordert unter anderem ein Motivationsschreiben und dein Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife. Falls du ein Praktikum, eine medizinische Ausbildung, oder ein Studium im Gesundheitswesen oder naturwissenschaftlichen Bereich absolviert hast, dann kannst du diese Nachweise auch mit einreichen. Es werden dabei Bewerber*innen mit 1,x bis 3,x Abitur angenommen, da gibt es keine Grenze, sodass auch niedrigere Abiturnoten akzeptiert werden, wenn die Person dahinter passend ist. Auf welche Kriterien die Uni genau achtet ist nicht öffentlich bekannt, sodass dadurch viele Spekulationen im Umkreis sind.
Insiderinfo: Bewirb dich, du hast nichts zu verlieren! Ein guter Abiturschnitt garantiert keine Zusage, denn auch deine Persönlichkeit, deine Motivationen, deine naturwissenschaftlichen Fächer und dein gesundheitliches Interesse spielen eine sehr große Rolle.
2. Die mündlichen Prüfungen sind viel einfacher als Kreuzen
Richtig/Falsch: Dieses Vorurteil ist Ansichtssache, je nachdem, was du bevorzugst oder kennst. In Deutschland ist das „Kreuzen“ sehr beliebt und bekannt. Diese Multiple-Choice-Fragen werden oft vorher bereitgestellt in einem großen Fragenpool oder man kann alte Prüfungen und Protokolle einsehen. Das System des Kreuzens gibt es an der Semmelweis Universität nur in Ausnahmefällen. Besonders die Prüfungen am Ende jeden Semesters (Kolloquium oder Rigorosum) sind meist mündlich. In diesen mündlichen Prüfungen werden oft keine Fragen vorher bekanntgegeben, sondern nur die Themengebiete, welche man sich selbstständig erarbeiten muss. Dies kommt jedoch auf das jeweilige Institut an. Die mündlichen Prüfungen laufen meistens so ab, dass du zusammen mit dem Prüfer oder der Prüferin und zwei bis drei anderen Prüflingen in einem Seminarraum, manchmal aber auch im Büro des Prüfenden, sitzt und anschließend aus dem Themenkatalog zwei bis drei Themen ziehst. Anschließend hast du 10-20 Minuten Zeit diese Themen auszuarbeiten und dir Notizen zu machen. Nach dieser kurzen Vorbereitungszeit beginnt dann der oder die erste Studierende mit der mündlichen Prüfung, während die anderen Prüflinge sich weiter Notizen machen können oder bei der Prüfung mithören. Je nachdem wie gut du vorbereitet bist oder welche Themen du gezogen hat kannst du selbst oder der oder die Prüfer*in dieses Gespräch lenken. Bei dieser Art von Prüfung merkt der oder die Prüfende ziemlich schnell, ob du das Thema verstanden hast oder nicht. Durch gezieltes Nachfragen und themenübergreifende Sachverhalte musst du hier dein Wissen unter Beweis stellen. Ob du lieber stupide Fragen auswendig lernen möchtest oder Zusammenhänge verstehen und erklären willst hängt von deiner Vorliebe ab.
3. Da man auf Deutsch studiert bekommt man einen deutschen Abschluss
Falsch: Auch wenn die Studiensprache Deutsch ist, bekommst du an der Semmelweis Universität einen ungarischen Abschluss, der jedoch im gesamten EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) und vielen anderen Ländern anerkannt wird. Seit 1983 bietet die Uni bereits den deutschen Studiengang an und viele der zu benutzenden Lehrwerke sind bekannte deutsche Fachbücher. Der Lehrplan beruht auf dem ungarischen Curriculum, welcher jedoch vollumfänglich den übergreifenden EU-Richtlinien entspricht. Auch die Lehrenden sind mehrheitlich Ungarn.
Insiderinfo: An der Semmelweis Universität wird vornehmlich der Sobotta als Anatomie Atlas bevorzugt.
4. Die Semmelweis Universität ist eine Privatuniversität
Falsch: Die Semmelweis Universität ist eine staatliche Universität und keine Privatuni. Ihr öffentlicher Träger ist die Stiftung für Nationale Gesundheitsversorgung und Ärzteausbildung. Studiengebühren werden von der Universität erhoben, da dies sonst komplett vom ungarischen Staat bezahlt werden müsste. Jedoch decken diese Kosten nur einen kleinen Teil deines Studienplatzes. Der Rest wird vom Staat übernommen.
5. Der Abschluss ist nur gekauft
Falsch: Angehende Meister*innen müssen ihre Fortbildungskosten selbst tragen, ähnlich wie in den USA, wo hohe Studiengebühren üblich sind. Auch Physiotherapeut*innen, Erzieher*innen und Psycholog*innen finanzieren ihre Ausbildung eigenständig. Diese Abschlüsse erfordern neben den finanziellen Mitteln auch zahlreiche Stunden des Lernens, das Bestehen von Prüfungen und harte Arbeit. Genauso investieren wir an der Semmelweis Universität viel Zeit und Mühe in unser Studium, um die Prüfungen am Ende jedes Semesters zu bestehen. Der Arbeitsumfang ist nicht geringer oder anspruchsloser, je nachdem ob du zahlst oder nicht. Sollte ein Semester nicht erfolgreich abgeschlossen werden, entstehen zusätzliche Kosten durch das Wiederholen des Studienjahres. In Deutschland besitzt du das Privileg, dass der Staat einen sehr hohen Anteil der Kosten für dich übernimmt. Dennoch muss irgendwer, in diesem Fall über Steuern, dafür zahlen. Auch in Ungarn gibt es ein Privileg, nämlich, dass du nicht die gesamten Ausbildungskosten allein tragen musst. Der ungarische Staat übernimmt einen großen Teil der Kosten mit dem Wissen, dass die meisten der deutsch- und englischsprachigen Absolventen das Land wieder verlassen werden.
6. Man kann immer schwerer nach Deutschland wechseln
Richtig/Falsch: Ob du nach Deutschland wechseln kannst, hängt von vielen Faktoren ab und wird vom Landesprüfungsamt und der jeweiligen deutschen Universität festgelegt. Besonders seit der Einführung der neuen ÄApprO und ZApprO kursieren Gerüchte, dass du nun nicht mehr wechseln kannst. Dies ist jedoch falsch, da Ungarn und Deutschland beide dem europäischen Recht unterstellt sind und Standards einhalten müssen. Wie viel am Ende angerechnet wird, ist eine Einzelfallentscheidung. Anders als bei der Bewerbung ins erste Fachsemester bewirbst du dich nicht über Hochschulstart, sondern direkt bei den Universitäten. Diese verlangen jedoch einen Nachweis über die Anrechnungen deiner Studienleistungen an der Semmelweis Universität. Daher musst du zunächst einen Antrag beim zuständigen Landesprüfungsamt einreichen, damit diese die Anrechnungen und Anerkennungen von deinen Studienzeiten und Studienleistungen vollziehen können. Dein Geburtsort bestimmt dein zuständiges Landesprüfungsamt. Die Dokumente werden hierbei im Einzelfallverfahren auf Gleichwertigkeit mit den deutschen bzw. europäischen Voraussetzungen geprüft. Was am Ende angerechnet wird, hängt von deinen absolvierten Semestern ab und deinen absolvierten Kursen. Auf der Website Bayerischen Regierung heißt es: „Ein Studienhalbjahr kann dann angerechnet werden, wenn der Nachweis einer mindestens halbjährigen Studienzeit erbracht ist und während dieser Zeit drei der […] großen Scheine oder je zwei große und zwei kleine Scheine regelmäßig und mit Erfolg absolviert wurden“ (https://www.regierung.oberbayern.bayern.de/aufgaben/37198/244210/227491/leistung/leistung_60215/index.html [18.09.2024]). Die Bearbeitung kann bis zu 4 Wochen dauern. Wenn du nun deine Gleichwertigkeitsbescheinigung bekommen hast, egal ob alles angerechnet wurde oder nur ein Teil, dann kannst du deine Nachweise bei der jeweiligen deutschen Universität einreichen. Da jedoch jede Universität ein anderes Curriculum hat, kann es dann immer noch sein, dass du weniger Kurse als gedacht angerechnet bekommst. Bedenke zudem, dass die Universitäten jedes Jahr ein anderes Kontingent an freien Plätzen für höhere Semester besitzen. Daher kannst du in einem Jahr Glück haben und in dem anderen nicht.
7. Die Lebenshaltungskosten sind in Budapest viel niedriger
Richtig/Falsch: Die Lebenshaltungskosten sind seit der Corona-Krise massiv gestiegen. Besonders Lebensmittel, Kleidung und Drogerieprodukte sind ähnlich teuer wie in Deutschland. Wohnraum gibt es nicht mehr so günstig wie vor ein paar Jahren, jedoch sind die Preise noch nicht mit den Studierendenhochburgen in Deutschland vergleichbar. Ein WG-Zimmer gibt es ab 200 € und eine Wohnung um 650 €. Viel niedriger sind die Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel. Als Studierender zahlst du zwischen 2 € bis 10 € für ein Monatsticket. Auch Museen sind kostengünstiger. Fitnessstudiomitgliedschaften können bis zu 90 € im Monat kosten, wobei es jedoch breite Unterschiede zwischen großen gewerblichen Anbietern und kleinen Muckibuden gibt.
8. Es gibt Prüfer*innen, die einen beim ersten Antrittsversuch immer durchfallen lassen
Falsch: Wie wahrscheinlich an jeder Universität gibt es auch hier gefürchtete Prüfer*innen, zu denen niemand freiwillig in die Prüfung gehen möchte, weil es von höheren Studierenden heißt, dass man dort sowieso nicht bestehen kann. Dies ist falsch: wenn man gut vorbereitet ist, kann man jede Prüfung bei jeder Prüferin oder Prüfer bestehen.
Insiderinfo: Ich selbst habe hier bei vier Prüfern bestanden, die genau diesen Ruf hatten. Ja, die Prüfungen waren anspruchsvoll und stressig, aber man kann auch bei solchen Prüfern bestehen. Lasst euch keine Angst machen von anderen.
9. Der medizinische Standard ist viel niedriger als in Deutschland
Falsch: Wie jedes Land in der Europäischen Union muss sich auch Ungarn an Grundstandards halten. Die Semmelweis Universität ist der größte Gesundheitsträger in Budapest und betreibt zahlreiche spezialisierte Kliniken des öffentlichen Gesundheitssystems, wo man zudem als Studierender lernt. Die Ausstattung mit modernen Geräten und der medizinischen Infrastruktur variiert zwischen ländlichen Räumen und städtischen Gebieten. Ausgebildete ungarische Ärzte und Ärztinnen besitzen europaweit einen sehr guten Ruf und werden gerne abgeworben, was jedoch zum wachsenden Personalmangel beiträgt. Wie in Deutschland bekommt auch in Ungarn das öffentliche Gesundheitssystem nicht genug Gelder, um alle nötigen Veränderungen zu finanzieren.
10. Es gibt keinen schönen Campus der Universität
Falsch: Die Semmelweis Universität ist keine „Campus-Hochschule“. Sie besitzt viele Standorte, sodass Kliniken, Lehr- und Forschungseinrichtungen, Bibliotheken und Freizeitbereiche nicht in einem Areal erschlossen sind. Daher gibt es keine speziellen Studierendenviertel. Universitäten mit Campus sind zum Beispiel die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, die Universität Passau oder die Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz. Der dezentrale Charakter der Gebäude ist zum Teil historisch bedingt. Die einzelnen Kliniken sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt, jedoch zumeist in größeren Verbünden. Viele dieser Gebäude haben zudem ein herrschaftliches Erscheinungsbild aus den Zeiten der Donaumonarchie, was ihnen einen ganz eigenen Charakter beschert. Die vereinzelt gelegenen Gebäude sorgen bei manchen Austauschstudierenden für Verwirrung, wie sie am besten zu ihren Vorlesungen und Praktika kommen oder wo du am besten wohnen kannst. Natürlich ist es manchmal stressig von Klinik A nach Klinik B zu gelangen innerhalb weniger Minuten, aber die Stadt hat eine sehr gute Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.