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  • Hanna Hohental
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  • 29.02.2012

Neid im Medizinstudium

Stell dir vor, die Ergebnisse der letzten Klausur werden bekannt gemacht, und du hast schlechter abgeschnitten als deine Kommilitonen. Neidisch? Höchstwahrscheinlich. So erging es auch Hanna. Für sie Grund genug, sich einmal näher mit dem Gefühl Neid auseinander zu setzen.

Anlass, über den Neid zu schreiben, waren die Gedanken, die sich bei mir nach der letzten Klausur einstellten: meine Mitstudenten hatten sehr viel besser abgeschnitten als ich. Und zwar für mein Gefühl ungerechtfertigt, da ich doch so viel mehr Zeit und Energie in die Vorbereitung gesteckt hatte als sie. Ich beneidete sie, um ihren scheinbar leicht verdienten Erfolg.

Dazu kam die Scham über meine Missgunst, meinen Freunden nicht jeden Punkt von Herzen zu gönnen. Ich haderte mit ihnen, weil ihnen das Fach laut eigener Aussage schwer gefallen war, nicht so lag, und sie in der Zeit soviel anderes zu tun hatten. Und sie heimsten trotzdem scheinbar mühelos mehr Punkte ein. Ich fühlte mich ungerecht behandelt: Das Lernen hatte mir Spaß gemacht, ich hatte viel Zeit investiert.

Und ja, ich hatte die Klausur bestanden, aber nur sehr knapp und eben schlechter als die Anderen. Das reichte aus um folgende Gedanken in Gang zu setzen: "Nur dank der Gleitklausel hast du es überhaupt geschafft; für den Einsatz hätte mehr drin sein müssen; schau dir doch mal die Anderen an." Und auch: "Das ist doch Jammern auf hohem Niveau, du solltest dich schämen, deinen Freunden ihren Erfolg zu neiden."

Ich versuche energisch zu widersprechen: Man kann sich nicht mit Anderen vergleichen. Ich habe für mich gelernt und die Klausur bestanden. Das Lernen hat mir Spaß gemacht und mich weitergebracht. Und wenn ich unzufrieden bin, steht es mir frei an meinem Lernstil zu arbeiten und mich von Anderen inspirieren zu lasen- oder? Ein kleiner Stachel bleibt. Just da meldet sich eine Freundin und sagt mir: "Ich beneide dich!" Was also hat es genau mit diesem Gefühl auf sich?

 

Neid in den Religionen

Die römisch-katholische Kirche führt den Neid seit dem 6. Jahrhundert als eine der sieben Hauptlaster an. Kain, das erste Kind von Adam und Eva, erschlägt seinen Bruder Abel aus Neid: Gott nimmt das Opfer von Abel an, das von Kain hingegen nicht. So kann Neid zu einer der Todsünden führen, dem Mord. Auch die Zehn Gebote sind deutlich in ihrem Urteil: "Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder irgendetwas, das deinem Nächsten gehört."

Im Hinduismus werden gesellschaftliche Unterschiede mit dem unterschiedlichen Karma der Menschen erklärt. Neid ist in diesem Zusammenhang die fehlende Akzeptanz eben dieses Karmas. Eine Sackgasse also, denn nur wer sein Karma und seine Stellung akzeptiert, kann im nächsten Leben in einer höheren Kaste wiedergeboren werden oder gar ganz aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburt ausscheiden.

Der Buddhismus, dem Hinduismus ähnlich was den Gedanken der Wiedergeburt angeht, zählt den Neid zu den Ursachen allen Übels und zu den Giften des Geistes. Gleichzeitig erkennt er ihn als machtvolle Emotion an, die umgewandelt werden kann in Liebe und Mitgefühl. Neid hat immer etwas mit Anderen zu tun, beruht auf einem Vergleich mit den Mitmenschen. Daher hat Neid auch das Potential, in etwas Positives für den Umgang mit unseren Mitmenschen umgewandelt zu werden.

Im Koran wird der Neid als unheilbringende Eigenschaft genannt, die es zuerst bei sich selbst zu besiegen gilt. Der Neid des Teufels auf Adam wird im Koran, wie in der Bibel als Grund für die Verführung Evas und die Vertreibung aus dem Paradies gesehen. Doch wird auch hier unterschieden zwischen dem destruktiven Neid Hasad, der dem Anderen schaden will und Ghibta. Ghibta will bewunderte Eigenschaften schützen und unterstützen, und sucht diese bei sich selbst zu entwickeln.

Artikel über den Umgang der Religionen mit Neid

 

Neid, eine menschliche Grundemotion?

Neid wird regelmäßig und in allen Kulturkreisen thematisiert: Kant sieht den Neid als menschliche und akzeptable Grundregung. Problematisch wird es demnach erst, wenn wir ihn so ausleben, das wir anderen schaden. Im Volksmund ist das Gras immer grüner auf der anderen Seite des Zaunes. In allen Religionen gibt es Geschichten über Neid.

Und die alten Griechen sahen Neid sowohl als eine Eigenschaft der Menschen, als auch der Götter: Prometheus muss unter dem Neid Zeus' leiden und Goethe macht daraus folgende Zeilen: "Bedecke Deine Himmel, Zeus, mit Wolkendunst! Und übe, dem Knaben gleich, der Disteln köpft, an Eichen dich und Bergeshöh'n? Musst mir meine Erde doch lassen steh'n, und meine Hütte, die Du nicht gebaut, und meinen Herd, um dessen Glut Du mich beneidest!" (1). Neid wird aber auch bewusst geschürt.

Neidisch sein verleitet zu Habgier und davon profitiert vor allem der Handel. Neid ist häufig nicht akzeptabel, weder für uns, noch für die Gesellschaft und wird daher fast immer begleitet von Scham. Neid maskiert sich: wir machen anderen ihren Erfolg madig, bezeichnen herausragende Leistungen als etwas Anrüchiges, vermuten schwere Charakterfehler bei erfolgreichen Menschen; wir geben vor, sowieso gar keine Interesse an diesen oder jenen Fähigkeiten zu haben. Und stehen uns dabei meist selbst im Weg.

 

Ist Neid auch etwas Gutes?

Der Soziologe Helmut Schoeck sieht im Neid einen wichtigen Mechanismus, damit unser Zusammenleben funktioniert. Wie das? Seiner Meinung nach bringt uns die Furcht vor Neidern dazu, unsere Güter zu teilen. Wir wollen nicht herausstechen und uns so unbeliebt machen.

Auch Francois Lelord, der Psychiater und Autor von Hectors Reisen, wird zitiert wenn es um die Ehrenrettung des Neides geht: "In der ständischen, alten Gesellschaft war der Bauer nicht neidisch auf den König oder auf den Adligen, das hat sich einfach verboten, das war gar nicht denkbar, dass er da hinkommen könnte. Aber in der Demokratie, wo wir alle angeblich gleiche Chancen haben, ist der Neid natürlich ein wichtiger Antrieb für viele Menschen. Eigentlich ist das das Wesen der Demokratie: jeder hat die gleiche Chance, es gibt einen offenen Wettbewerb um den Zugang zur Macht, aber auch auf Wohlstand und andere Dinge. Und deswegen sind wir so empfindlich, wenn da die Spielregeln zum Beispiel verletzt werden oder zu werden scheinen, dann reagieren wir sehr hart und sehr aggressiv manchmal... Neid fördert den Ehrgeiz, durch eigene Anstrengungen und eigenen Erfolg mit dem 'Beneideten' gleichzuziehen".

Artikel über Neid

Neid also als Antrieb, als Motivation, sich weiter zu entwickeln, als Boden der Demokratie? Mitnichten. Die Missgunst, ein Synonym des Neides äußert sich als zerstörerische Kraft. Sie sucht die Ursache des eigenen Unbehagens in Anderen. Geht es dabei um das Neiden von materiellem Besitz, den man versucht sich anzueignen, sprechen wir von Habsucht. Neid als Antrieb, sich selbst weiter zu entwickeln, nimmt die eigene Person in die Pflicht und fragt: Was ist mein Anteil an meinem Unbehagen und wie kann ich damit umgehen? Das muss nicht auf ein Gleichziehen mit dem Beneideten hinauslaufen, wie Lelord es beschreibt.

Es kann auch um ein Überdenken der eigenen Ansprüche und Motivation gehen. Und einen weiteren Aspekt lässt Lelord in oben zitiertem Beispiel anklingen: er spricht von angeblich gleichen Chancen und von Spielregeln, die verletzt zu werden scheinen. Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zum Umgang mit Neid. Die Ungleichheit der Menschen und die eigene Individualität anerkennen und schätzen lernen, neben den allgemeingültigen Menschenrechten und den Pflichten, die sich jedem Menschen stellen.

Wenn wir jemanden beneiden, wird der Blick meist sehr eng. Wir sehen nicht mehr, was wir gut können. Wir übersehen, welche Anstrengungen der Beneidete vielleicht für seinen heutigen Stand auf sich genommen hat. Wir verschließen die Augen vor dem, was wir lernen könnten. Oder uns fehlt die Distanz zu sagen: "Es ist mir egal; das hat nichts mit mir zu tun." Wir spüren nur noch die vermeintlich ungerechte Behandlung, die uns widerfährt, und das Unbehagen darüber. Ein Auseinandersetzen mit diesen Gefühlen kann aber auch dazu führen, den Blick wieder zu weiten. Sich auf sich selbst zu besinnen und Gunst statt Missgunst zu empfinden. Oder wie es Aristoteles sagt: "Glücklichsein heißt Tätig sein, die eigenen Talente zur Geltung bringen".

 

Medizinstudenten zum Thema Neid

"Um Neid zu empfinden, muss man sich zunächst einmal mit Anderen vergleichen. Zu Beginn des Studiums hab ich gemerkt, wie sehr mich der Vergleich mit Kommilitonen verunsichert. Dabei war es egal, worum es sich genau handelte: Lernfortschritt, die Art und Weise zu Lernen oder auch nur die Auswahl des Lehrbuches. Mich plagten Fragen wie: "Meine Freundin ist im Stoff schon viel weiter, schaffe ich das selbst noch in der Zeit?" oder "Ist ihre Art zu lernen effektiver als meine?" Aber mit der Zeit hab ich gelernt, ohne Seitenblicke meinen eigenen Weg zu suchen und mir so gut es eben geht zu vertrauen."

"Neid – wenn andere eine Prüfung bestanden haben und man selber in den Ferien den ganzen Stoff nochmal wiederholen muss."

"Ich bin manchmal neidisch auf die, die nicht kämpfen müssen, sondern alles von ihren Arzt-Eltern gesteckt kriegen ohne einen Finger krumm zu machen. Ich meine Sachen wie Miete, Taschengeld, jedes Buch neu kaufen, nur die neuesten und besten Instrumente. Auch wenn ich das selbst nicht wollen würde; ich finde, selbst etwas zu erreichen ist viel besser. Aber wenn man ständig knapp kalkulieren muss mit der Kohle, fühlt man sich manchmal schon benachteiligt. Ohne finanzielle Sorgen hat man eben auch viel mehr Freizeit. Arbeiten haben manche anscheinend einfach nicht nötig, und ich persönlich bin schon oft traurig, wenn ich zu wenig Zeit für Freunde und Familie habe."

"Neidisch ist glaub ich jeder mal, oder? Aber ich finde das nicht so negativ. Ich sehe das dann eher als Ansporn und als Zeichen mal zu schauen, was der besser kann als ich und was ich von ihm lernen kann."

 

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