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  • Beyza Saritas
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  • 10.08.2018

Das erste Mal im OP

Vielen medizinbegeisterten Schülern ist er nur aus Serien wie Grey´s Anatomy, Scrubs oder Doctor House bekannt – der Operationssaal. Wenn du nicht gerade selbst operiert werden musst, dann lässt sich ein Blick in den Operationssaal eines Krankenhauses selten erhaschen. Das Krankenpflegepraktikum bietet jedoch die Gelegenheit, erste Einblicke in die heiligen Hallen zu erhalten. Wie fühlt sich das erste Mal im OP an? Und was solltest du beachten, wenn du bei einer Operation zuschaust?

© MEV


Endlich ist es soweit – ich darf bei meiner ersten Operation zuschauen. Nach drei Wochen Krankenpflegepraktikum tritt endlich ein, worauf ich schon seit Monaten hoffe. Bei der Operation wird eine Thorakotomie gemacht, d.h. die Brusthöhle wird operativ geöffnet. Die Patientin hat ein Adenokarzinom, einen bösartigen Tumor, in der Lunge. Geplant ist, ihr den Oberlappen des rechten Lungenflügels komplett zu entfernen. Im Operationssaal kommt es jedoch ganz anders als geplant.

Freitag Morgen, 6.15 Uhr auf der Thoraxchirurgie: Verschlafen trinke ich gerade meinen Schwarztee, als die Übergabe gemacht wird. Wie jeden Tag erfahren die Schwestern und Pfleger der Frühschicht durch den Nachtpfleger, wer entlassen wird, bei wem welche Untersuchungen anstehen und welche Auffälligkeiten vorliegen – und natürlich, wer heute operiert wird. Jedes Mal, wenn der Begriff Operation fällt, macht mein Herz einen Satz. Heute habe ich mir vorgenommen, die Chance zu ergreifen und zu fragen. Mein Herz springt mir fast aus der Brust - tatsächlich darf ich bei der Thorakotomie zuschauen. Die nächsten zwei Stunden erledige ich daher alles, was morgens anfällt – vom Waschen der Patienten bis zum Blutdruck messen. Und dann ist es soweit.

Ich bin total aufgeregt. Vor der Operation verdrücke ich gefühlt die ganze Cafeteria, um meine Aufregung zu zügeln. Grinsend fragt mich die Ärztin, ob ich denn gut gefrühstückt habe. Sie schickt mich schon einmal runter in die Umkleiden, in der mich eine OP-Schwester empfängt und mir zeigt, wo ich meinen blauen Kasack gegen einen grünen umtauschen kann. Nachdem ich komplett grün gekleidet und mit Haube und Mundschutz ausgestattet bin, werfe ich noch einen letzten Blick in den Spiegel, bevor ich die OP-Schwester in den OP begleite. Hier laufen schon die ersten Vorbereitungen: Instrumente werden zurechtgelegt, OP-Kleidung wird angezogen, die Schutzfolien werden von den sterilen Flächen entfernt. Wie bei Thorakotomien üblich, wird unsere Patientin in die Seitenlage gebracht.

Ich nehme meinen Platz am Rande des Geschehens ein, nachdem ich darauf hingewiesen wurde, mich von den sterilen Flächen fernzuhalten, an die ich vor Aufregung fast geraten wäre. Langsam legt sich meine Aufregung und als der Chirurg zum ersten Schnitt ansetzt, wird mir beinahe mulmig und mich plagen die Zweifel. Was passiert, wenn ich hier auf einmal umkippe? Der Chirurg dreht sich um und vergewissert sich, dass es mir gut geht. Die Schwestern betonen, dass ich jederzeit den Operationssaal verlassen kann, wenn es mir nicht gut gehen sollte – alles sei besser, als während der OP umzukippen. 

Ich nicke den Chirurgen lächelnd an und er macht den ersten Interkostalschnitt. Mit höchster Konzentration arbeitet er sich durch das Fettgewebe und die Muskeln. Diese werden langsam durchtrennt, der Interkostalraum wird eröffnet und mithilfe eines sogenannten Rippensperrers langsam erweitert. So erhält der Chirurg Zugang zum Brustkorb und kann dort die weiteren Operationsmaßnahmen durchführen.

Langsam entfernt der Chirurg den Oberlappen des rechten Lungenflügels, hält dann jedoch kurz inne und schaut seinen Assistenten an. Beide erklären mir, dass auch der Mittellappen Tumorgewebe enthält und daher ebenfalls entfernt werden muss. Somit verliert die Patientin in der Operation zwei von insgesamt fünf Lungenlappen des rechten und linken Lungenflügels. Blut spritzt, die Chirurgen schneiden, nähen und formen. Nachdem die Lungenlappen entfernt wurden, darf ich sie sogar anfassen. Keine Sekunde verspüre ich den Anflug von Ekel. Das bemerkt auch das Team; am Ende der Operation werde ich gelobt, dass ich so gut durchhalte. Insgesamt vier Stunden habe ich mit dem Team zusammen im Operationssaal gestanden.

Vor dem Verschluss der Thorakotomie wird eine Thoraxdrainage gelegt, über die Blut oder andere Körperflüssigkeiten ablaufen können. Der Chirurg entfernt den Rippensperrer und vernäht den Interkostalraum schnell, aber sorgfältig. Zuletzt verschließt er Muskel- und Gewebeschichten und die Haut durch Nähte. Während des gesamten Eingriffs bemüht sich das Team, mir volle Sicht zu gewähren und mir alles zu erklären. Immer wieder muss ich mir vor Augen führen, dass das, was ich sehe, tatsächlich real ist. 

Obwohl ich schon seit Jahren weiß, dass ich Medizin studieren möchte, hat mich das Zusehen bei diesem Eingriff mit all den verschiedenen Eindrücken massiv darin bestätigt, dass ich für nichts so sehr brenne wie für die Medizin. Nach der Operation kam ich gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Zweifelsohne war dies einer der prägendsten und beeindruckendsten Momente meines Lebens.

Damit auch du so viel wie möglich aus deiner ersten Operation mitnehmen kannst, gebe ich dir hier einige Tipps:

  • Stell dich im OP jedem mit deinem Namen und deiner Position vor. Das ist ganz wichtig, da Schweigen in den meisten Fällen nicht positiv von deinen Mitmenschen aufgenommen wird. Auch wenn im OP alle vermummt sind, stell dich vor und sag, dass du heute zuschauen wirst.
  • Frag! Wenn dir während der Operation Fragen einfallen, und du merkst, dass die Chirurgen aufmerksam sind und sich bemühen, dich an dem Geschehen teilhaben zu lassen, dann nutze die Chance und frage, was genau sie gerade machen.
  • Informier dich bestenfalls vor der Operation über diese! So hast du schon eine grobe Ahnung, welche Instrumente genutzt werden, welches Ziel der Eingriff verfolgt, welche Techniken man nutzen kann usw.
  • Versuche jemanden zu finden, an dem du dich orientieren kannst! Mir hat eine ganz liebe OP-Schwester die ganze Zeit über erklärt, wo ich mich hinstellen kann, damit ich die beste Sicht habe. Außerdem hat sie mir auch meine Fragen beantwortet, wenn die Ärzte gerade keine Zeit hatten, um etwas zu erklären.
  • Berühre niemals die sterilen Flächen! Versuche möglichst, eine Armlänge Abstand zu dieser Tabuzone zu halten.
  • Trage zu deiner eigenen Sicherheit immer Handschuhe! Falls du etwas in die Hand gedrückt bekommst, weißt du so sicher, dass du nicht in Kontakt, z.B. mit Blut, gekommen bist.

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