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  • 25.05.2023

5 Jahre Medizinstudium: Meine emotionale Achterbahnfahrt

Beyza ist kurz vor dem zweiten Staatsexamen - und kann es selbst kaum glauben. Fünf Jahre Studium liegen hinter ihr mit vielen Herausforderungen, aber auch mit vielen Erfolgserlebnissen.

 

Scheinfrei, steht auf dem Luftballon, den Beyza in der Hand hält.

 

Ich erinnere mich noch bildhaft an den Tag meines langersehnten Abiballs, so, als wäre es erst gestern gewesen. Es war ein glühend heißer Sommertag, die Sonne brannte vom Himmel und mein dunkelrotes Abiballkleid klebte an meinem Körper. Ich war aufgeregt, sehr sogar. Als ich dieses eine Stück Papier, für das ich die letzten Schuljahre so viel Zeit und Mühe investiert hatte, endlich entgegennahm, hätte ich vor Freude Luftsprünge machen können. Schließlich hatte ich den Schlüssel zu meinem persönlichen Erfolg, das Ticket zum heiß geliebten Medizinstudium, endlich in der Hand. Die ganze Arbeit hatte sich ausgezahlt und nun hatte ich – Schwarz auf Weiß – den Beweis hierfür.

Wenn die meisten von euch zurück an ihre Kindheit denken, werden sie sich wahrscheinlich an Berufswünsche wie Prinzessin, Pilot oder Popstar erinnern. Die Prinzessin-Phase habe ich als (Klein-) Kind tatsächlich auch mehr als einmal erlebt. In der Grundschule wollte ich dann, begeistert von meiner Grundschullehrerin, ebenfalls Lehrerin werden. Irgendwann in fünften, sechsten Klasse sah ich mich dann doch eher als Autorin oder Journalistin, nachdem ich einige Artikel im Rahmen eines Zeitungsprojekts meiner Schule verfasst hatte. Zudem hatte ich in meiner Kindheit hunderte Bücher nur so verschlungen, liebte es in fremde Welten einzutauchen und die unterschiedlichsten Worte aufzuschnappen. Warum dann nicht selbst etwas schreiben, dachte ich mir. Ein, zwei Versuche bin ich sogar tatsächlich angegangen und diesen Plan habe ich noch lange nicht verworfen.

In der siebten Klasse manifestierte sich dann der Wunsch, Medizin studieren zu wollen. Damals mussten wir im Rahmen von Plakatvorstellungen verschiedene Berufe als Vorbereitung für eine Berufsfelderkundung vorbereiten. Wie durch Zufall entschied ich mich dazu, etwas zum Tätigkeitsbereich der Herzchirurgie zu erzählen – schließlich sollte meine Vorstellung spannend sein. Fragt mich nicht, wie ich darauf kam, denn ich komme weder aus einer Ärztefamilie, noch hatte ich außer ein paar standardmäßigen Arztbesuchen bis zu diesem Zeitpunkt jemals etwas mit Medizin zu tun. Bis dahin war das medizinischste, was ich getan habe, gebrochene Gipsarme meiner Mitschüler mit bunten Filzstiften zu beschriften. Naja, Herzchirurgin werde ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr, aber von da an hatte ich ein neues Berufsziel vor Augen: Nun wollte ich unbedingt Ärztin werden.
Mein Kinderarzt war mir dabei stets ein Vorbild und auch, wenn ich mittlerweile nicht mehr seine Patientin bin, ist er auch heute noch – der Kontakt ist immer noch da – aufgrund seiner bescheidenen Art und seines fachlichen Könnens eine große Motivationsquelle für mich.

Die Jahre vergingen, doch der Arztwunsch blieb und schlug Wurzeln. Zwischenzeitlich überlegte ich mir einen Plan B, C, zeitweise auch Z, um meine Sorge, Plan A nicht umsetzen zu können, nicht weiter aufkeimen zu lassen. Ich war bei zahlreichen Bewerbungsgesprächen, nahm an verschiedensten Assessment-Centern teil, erhielt nicht wenige Zusagen und doch wusste ich tief in meinem Inneren, dass für mich nur eine Option in Frage kam. Als ich diesen Berufswunsch zum ersten Mal aussprach, ja mich traute, ihn auszusprechen, war ich bereits in der Oberstufe. Zusammen mit den roten Luftballons, die wir zum Ende der Abifeier fliegen ließen, verflogen auch die Sorgen. Ich hatte ein gutes Abitur hingelegt – was sollte jetzt noch schief gehen? Das Studium würde ich auch irgendwie meistern, auch wenn ich mehr Fleiß an den Tag legen müsste als in der Schule. Wie naiv und romantisiert doch meine Einstellung im Hinblick auf das Studium war, das zeigte dann die Zeit.

Bald darauf folgten das Pflegepraktikum, die Vorklinik, zahlreiche Famulaturen, das Physikum, die Klinik. Ich möchte gar nicht auf Details eingehen, aber um es kurz zu fassen: Alles, was nach dem Abitur kam, glich einer wilden Achterbahnfahrt. „Fang jetzt schon an Anatomie zu lernen”, verunsicherte mir eine Assistenzärztin im Pflegepraktikum bereits vor dem Studium. „Das ist sehr, sehr viel. Du schaffst es sonst nicht, das alles im Semester zu lernen.” Ihr könnt euch vorstellen, wie mir das damals eine Heidenangst eingejagt hat. Dann ins erste Semester zu starten und zu merken, wie viel die anderen im Gegensatz zu mir scheinbar bereits konnten, hat dem nicht unbedingt im positiven Sinne beigetragen. Dass das alles mehr Schein als Sein ist, und manche Kommilitonen nicht unbedingt das Maß der Dinge sind, habe auch ich mit der Zeit gelernt.

Besonders zu Beginn des Studiums waren Momente des Erfolgs gepaart mit Momenten der Verzweiflung. Zwischenzeitlich fragte ich mich sogar, ob dieses Studium wirklich das Richtige für mich ist, weil ich mit all den Veränderungen nicht richtig umzugehen wusste. In der Schule war mir bis dato alles leicht von der Hand gegangen. Für jede Klausur mindestens genauso viel zu lernen, wie für die Abiturprüfungen, stellte auch mich anfangs auf eine harte Bewährungsprobe. Doch diese Stolpersteinchen hielten mich nicht von meinem Weg ab: Mit der Zeit verabschiedete ich mich von alten Lernstrategien, lernte mich besser zu organisieren und hatte endlich das Gefühl, im Studium angekommen zu sein.

Ich weiß, ich weiß – ich werde wieder etwas zu nostalgisch und wehmütig. Meinen Start ins Studium könnt ihr gerne hier nachlesen.
Und auch, wenn ich zu Beginn meines Studiums dessen Ende nur herbeigesehnt habe, verlasse ich die HHU nach fünf Jahren mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich kam frisch nach dem Abitur an diesen Studienort; nichtsahnend, worauf ich mich eingelassen habe. An diesem Ort kam ich an und über meine Grenzen. An diesem Ort lernte ich einige meiner nun sehr guten Freunde kennen. Die letzten 5 Jahre meines Lebens waren prägend, nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. Würde ich einige Dinge anders machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Rückblickend ist alles immer einfacher, als es sich zum entsprechenden Zeitpunkt angefühlt hat.
Außerdem glaube ich, dass man manche Erfahrungen – darunter auch Fehler – einfach selbst machen muss, damit man an diesen wachsen kann. Nichtsdestotrotz hätte ich nie geglaubt, dass dieser Tag –
mein letzter Unitag (!) – so schnell kommen würde.

Fünf Jahre habe ich Medizin gelernt, aber noch wichtiger, dass Medizin nicht immer die Lösung des Problems ist. Manchmal reicht es auch, für die Patienten da zu sein, ein offenes Ohr oder aber einen menschlichen Ratschlag parat zu haben. Ich lernte Prioritäten zu setzen und entwickelte andere Interessen, sodass das Medizinstudium im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund gerückt ist. Auch wenn das Studium und der Arztberuf sicherlich einen großen Teil unseres Lebens und unserer Identität ausmachen, ist es dennoch wichtig, den Blick für das große Ganze nicht zu verlieren. Der Horizont ist weit und das Leben hat so viel mehr zu bieten als nur das Medizinstudium. Am Anfang des Studiums hatte auch ich die Momente, in denen ich gedacht habe, keine Zeit mehr für andere Dinge außerhalb des Studiums zu haben. Aber auch das ist ein Prozess: Es vergeht, glaubt mir. Die Zeit lehrt einen Vieles, unter anderem, dass man sich immer Zeit für Dinge oder Menschen nehmen sollte, die einem wichtig sind.

Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist wichtig, neben der Medizin andere Leidenschaften und Hobbys zu verfolgen: Lest, schreibt, lebt, erlebt, reist und seht die Welt! Das Studium ist die prägendste Zeit eures Lebens, in jeder Hinsicht. Wie der Philosoph Heraklit so schön sagte: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Niemand, auch ich nicht, ist dieselbe Person wie vor seinem (Medizin-) Studium. Aber das ist gut so! Veränderung ist gut und ein essenzieller Teil des Lebens. Ob ich nochmal Medizin studieren würde? Höchstwahrscheinlich ja, weil ich den Arztberuf in all seinen Facetten – trotz der teils prekären Bedingungen im Gesundheitssystem – sehr schätze. Ich bin dankbar, diese Möglichkeit gehabt zu haben und führe mir nach wie vor vor Augen, dass (Medizin) zu studieren keine Selbstverständlichkeit, ja sogar ein Privileg ist. Bildung ist ein kostbares Gut, vielleicht sogar das Kostbarste.

Aktuell freue ich mich schon auf den letzten Abschnitt meines Studiums, das sogenannte Praktische Jahr (PJ). Endlich werde ich alles, was ich in den letzten 10 Semestern (ganze 5 Jahre, verrückt!) gelernt habe, mehr oder weniger in die Praxis umsetzen und am Patienten anwenden können. Schon bald heißt es: “Auf Wiedersehen Uni!” und “Hallo Krankenhaus!”. Der Countdown läuft! Vor mir liegen aber noch ein paar Tage Blockpraktikum und dann muss natürlich erst das zweite Staatsexamen (M2) – für das ich mich bereits angemeldet habe und aktuell geschickt in die hinterste Ecke meines Gehirns verdränge – bestanden werden. Aber ich freue mich auf die neuen Hürden, denn mit mir zusammen ist auch die Gewissheit gewachsen, dass ich meinen weiteren Weg, egal wie eben oder steinig, genauso beschreiten werde wie bisher.

 

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