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  • 08.12.2021

Mister Conn, meine Mutter und ich

Die meisten von uns studieren Medizin, weil sie den Patientenkontakt lieben. Was aber, wenn du auf einmal eine Patientin kennst? Ganz gut sogar, etwa deine eigene Mutter?

 

 

So richtig cool wird es im Medizinstudium ja erst, wenn man endlich mal das ganze Zeug, das man so lernt, anwenden kann. Stundenlang sitzen Du und ich am Schreibtisch oder in der Bibliothek und büffeln, versuchen uns anatomische Strukturen oder biochemische Prozesse einzuprägen. Wofür das Ganze? Es fühlt sich an, als ob es kein Ende nimmt und es nur darum geht, möglichst viele unnütze Fakten in den Kopf hinein zu bekommen. Am Ende kotzt man das Wissen dem Prüfer (hoffentlich) vor die Füße und vergisst alles ganz schnell, damit Platz für die nächste Portion ist. Wann nützt mir all die Lernerei denn endlich etwas?

Bei mir war es früher, als ich dachte. In einer ganz bestimmten Situation sogar so früh, wie nur irgend möglich! Dank Online-Uni verbringe ich meine Tage daheim am Laptop und schaue hier auch alle meine voraufgezeichneten Vorlesungen an. Die gelegentliche elterliche Störung bleibt da natürlich nicht aus, wie auch an diesem Tag.


„Schau mal“, sagt meine Mutter und hält mir ein paar Zettel mit Laborwerten hin. Mittlerweile habe ich nicht nur gelernt, was einige davon bedeuten, sondern auch, wie ich ganz wichtig dabei aussehe, wenn ich sie mir durchlese. Was ich aber noch nicht erlebt habe ist, wie das ist, wenn ich mal wirklich etwas in den Werten erkenne. Einen Zusammenhang, eine Vermutung. Lange muss ich nicht in meinen Vorlesungsunterlagen suchen, bis ich genau das Richtige gefunden habe – schließlich liegt die entsprechende Folie direkt vor mir auf dem Desktop. Das glaubst du mir nicht? Ich sage dir aber, es ist wahr.
„Der Arzt hat gemeint es könnte ein Hypo… oder Hyper-Allo...ald, irgendwie so was sein. Mein hoher Blutdruck ist doch ständig nicht runter gegangen“, ergänzt meine Mama.
Mit leuchtenden Augen bricht es aus mir heraus: „Vielleicht ein Hyperaldosteronismus?“
„Ja, genau das!“, erwidert meine Mutter. Vor Stolz platzt mir fast die Brust. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass genau in dem Moment, in dem in Physiologie mal auch ein Krankheitsbild erklärt wird, meine Mutter gerade damit ankommt?


Beim Hyperaldosteronismus wird das Nebennierenhormon Aldosteron vermehrt produziert, das normalerweise den Blutdruck reguliert. Gibt es zu viel davon, ist der Blutdruck ständig erhöht und es kommt weiterhin zu einer Verschiebung im Salzhaushalt des Körpers.


Viele Leute haben einen hohen Blutdruck, aber auch gleich einen möglichen Fall von Morbus Conn (ein anderer Name für den Hyperaldosteronismus) in der eigenen Familie zu haben und hautnah mitzuerleben ist etwas ganz anderes.
In den darauffolgenden Wochen werde ich zum Recherche-Biest und lese alles, was online Datenbanken wie via medici und die von der Uni bereitgestellten E-Books zu dem Thema hergeben. Plötzlich ist das alles nicht nur sehr interessant, ich möchte auch unbedingt weitere Fragen meiner Mutter beantworten können. Ich möchte sie nicht enttäuschen.


Zum Glück habe ich eine sehr verständnisvolle Mutter in der Hinsicht, sie weiß gut, dass es viel zu viel zu wissen gibt, als dass ich all dieses Wissen besitzen könnte, aber die Sache ist nun persönlich geworden. Ich gehe nicht abends heim, wie man es im Krankenhaus tut. Ich esse mit meiner Mama zu Mittag, ich kuschel mit ihr abends auf dem Sofa.
Am Ende ist alles gut ausgegangen. Es wurden CT-Bilder, Belastungstests und eine Untersuchung von Blut direkt aus den Nebennierenvenen gemacht, um die Verdachtsdiagnose Morbus Conn zu sichern. Zugegeben, ich habe nur deswegen den einen gutartigen Tumor auf den Bildern gesehen, weil er im Arztbrief beschrieben worden war. Beide Nebennieren hatten auf den CT-Bildern verdächtig ausgesehen. Glücklicherweise wurde nur die rechte Nebenniere als der eigentliche Bösewicht identifiziert und entfernt. Seit der OP hat meine Mama keinen Bluthochdruck mehr, muss nicht einmal mehr Tabletten einnehmen und hat dadurch auch weniger Kopfschmerzen.


Ich hätte nicht gedacht, dass gerade bei meiner Mutter hinter der Volkskrankheit Bluthochdruck so viel mehr steckt. Was es sich alles zu wissen lohnt! Mehr und mehr sehe ich in den endlosen Fakten, die ich lerne, einen Sinn. Immer wieder sehe ich meine künftigen Patient*innen, wenn ich zum x-ten Mal die Abgänge der Arteria pudenda interna runter bete. Ich sehe potentielle Schicksale, die ich eines Tages hoffentlich zum Besseren werde wenden können.


Die ganzen Fragen, die ich von meiner Familie immer wieder gefragt werde, große und kleine Dinge, bereiten mich auf meinen späteren Berufsalltag vor. Und eines Tages werde ich nicht mehr sagen müssen: „Aber frag da doch unbedingt nochmal deinen Hausarzt“, sondern „als Ihre Ärztin empfehle ich da folgendes…“

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