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- Petra Ludwig
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- 02.08.2021
Von Lockdown und Einsamkeit
Petra hat pünktlich zum Lockdown mit dem Medizinstudium begonnen. Wie soll sie einen Freundeskreis aufbauen, wenn sie ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen nur online sieht? In diesem Artikel erzählt sie, wie es ihr damit geht und wie sie nun Stück für Stück endlich doch Anschluss findet.
März 2020
Ich freue mich so so sehr, endlich Medizin studieren zu dürfen, und das auch noch in der Heimat. Ich bin aufgeregt, hibbelig und kann es kaum erwarten neue Gesichter kennen zu lernen! Doch dann kommt Corona und damit der erste Lockdown. Die Enttäuschung ist groß, wie sicherlich auch bei dir und vielen anderen. Keine Treffen mehr unter Freunden, keine kulturellen Angebote und kein Präsenzunterricht an der Uni. Ich weine ein bisschen den Ballettkarten hinterher, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe, ich werde hierfür bis 2022 warten müssen.
April 2020
Mein erstes Semester als Studentin der Humanmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg startet. So richtig kann ich das noch gar nicht fassen, es fühlt sich so surreal an, vor allem, weil ich nur vor meinem Laptop daheim an meinem Schreibtisch sitze, statt zur Einführungsveranstaltung mit meinen Kommilitonen und Kommilitoninnen im Hörsaal. Ich male mir aus, wie das wohl gewesen wäre: Neben wen hätte ich mich wohl gesetzt? Wer würde sich wiederum neben mich setzen? Wie viele Leute kann man an so einem ersten Tag kennenlernen? Mit wie vielen bleibt man in Kontakt? Ich male mir vieles aus, aber die Wahrheit ist, dass ich nicht mal richtig weiß, wie so etwas hätte ablaufen können, weil ich ja nie da war. Irgendwie wird das aber schon, sage ich mir, das ist alles schaffbar.
In der ersten Woche organisiert die Fachschaftsinitiative ein Zoom-Meeting mit FAQs, kleinen Spielchen und Gesprächsrunden. Über Zoom ist das anstrengend und ich klinke mich nach zwei Stunden aus, ohne wirklich mit jemandem viel ins Gespräch gekommen zu sein. Die ersten Gefühle von Trauer und Wut über die ganze Situation machen sich in mir breit. Ich fühle mich sehr einsam.
Juli 2020
Das erste Semester ist vorbei und ich kenne niemanden. Den ganzen Tag war ich in meinem Zimmer, habe irgendwie versucht Anatomie und Histologie zu lernen und habe es zum Glück auch irgendwie durch die Prüfungen geschafft. Diese paar Monate waren unglaublich hart. Der Lichtblick: Kurz vor der Physik-Klausur finden drei Tage Praktikum in Präsenz statt. Ich genieße es, mich mit jemand anderem zu unterhalten als mit meiner Katze, langfristige Kontakte bleiben leider nicht bestehen. Immerhin kennt man jetzt ein paar Gesichter, die einem bekannt vorkommen und die einen im Vorbeigehen grüßen. Das fühlt sich gut an. Hin und wieder schreiben Leute in die WhatsApp-Gruppe, ob man sich im Wiesengrund treffen mag. Immer wieder erfinde ich irgendwelche Ausreden für mich selbst, etwa dass ich ja so weit weg wohne oder dass es bestimmt merkwürdig ist, wenn ich komme, weil ich ja niemanden kenne. Das muss diese „quarantine-induced social anxiety“ sein – und ich bin nicht glücklich damit.
Oktober 2020
Das zweite Semester beginnt, die Aufregung ist erneut groß, denn der Lehrstuhl für Anatomie hat es geschafft, einen verkürzten Präparierkurs zu organisieren! Die Lehrenden geben sich viel Mühe, mir und meinen Kommilitonen trotz aller Umstände möglichst viel zu bieten. Das beste daran jedoch? Dass wir zu dritt am Tisch stehen und uns endlich mal sehen und unterhalten können. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es natürlich dennoch, denn auch wenn wir uns in der Uni endlich mal sehen können, nach dem Präpkurs sich noch in eine Kneipe setzen ist nicht möglich, die Beschränkungen erlauben keine Gastronomie.
Januar 2021
Langsam stellt sich das Gefühl ein, wirklich Medizin zu studieren. Die Anatomie-Testate sind alle bestanden, wir umarmen uns heimlich, damit wir keinen Ärger bekommen. Außerhalb der Uni habe ich leider immer noch niemanden getroffen.
April 2021
Jetzt ist es schon ein Jahr her, als ich angefangen habe zu studieren und der erste Lockdown unser aller Leben durcheinander geworfen hat. Ich frage mich, was das neue Semester bringen wird (außer Biochemie, bei dem Gedanken schlottern mir die Knie).
Juni 2021
Das Biochemie-Praktikum hat sich als wunderbar herausgestellt. Ich habe viele Leute getroffen und kennengelernt. Wenn man zweieinhalb Stunden nebeneinander steht und auch ab und an einiges an Wartezeiten hat, kann man sich wunderbar austauschen. Ich war mal Eisessen im Schlosspark, habe ein paar weitere Kommilitoninnen kennengelernt und wir haben einfach nur geredet und gelacht. Es fühlt sich an, als ob das jetzt wird. Mir fällt es immer noch schwer, Treffen zu initiieren, aber ich zwinge mich dazu. Jedes einzelne Mal hat es sich gelohnt.
Zweitens habe ich mich nun endlich getraut einen Arbeitskreis anzuschreiben, das erste Treffen ist in den Semesterferien. Das hätte ich viel früher tun sollen. Meine eigene Unsicherheit und die Angst davor auf die Nase zu fallen, hatte mich bisher davor abgehalten. Ich musste mir erst darüber klar werden, dass nicht aus jeder Bekanntschaft an der Uni eine Freundschaft entstehen wird und ich selbstverständlich nichts erzwingen kann, jedoch in jedem Fall mein Bestes tun sollte. Das Unileben darf jetzt mit meiner neuen Einstellung auf mich zukommen. Ich werde weiterhin hart an mir arbeiten müssen, damit ich selbst mit meinem Level an Kontakten an der Uni zufrieden werde. Vor allem werde ich, was ja nur logisch ist, mich immer wieder in die unangenehme Situation begeben müssen in einer Gruppe von Leuten niemanden oder nur kaum jemanden zu kennen. Aber das ist ok. Und weißt du warum? Weil es wahrscheinlich gerade vielen so wie mir geht.