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- Miriam Heuser
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- 07.02.2019
Es ist nicht alles weißer Kittel, Stethoskop und #medstudentlife
Im klinischen Studienabschnitt wird alles besser? Ja – aber eben nicht nur. Miriam schreibt über Zweifel, einen Berg an Multiple Choice Klausuren und wie gut ein ehrliches Gespräch manchmal tut.
Physikum bestanden, danach erst einmal zwei Wochen ans italienische Meer. Durchatmen. Langsam verblassen die Erinnerungen an die Wochen zwischen UB, Mensa und Endspurt-Skripten. Am Anfang des klinischen Studienabschnitts sagt die Studienkoordinatorin: „Das Schlimmste liegt hinter euch!“ und ich bin mir sicher, dass sie Recht behalten wird. Zwischen Informationen über unsere neue Studiennummer, Erasmusinfoabend und den Gruppeneinteilungen kommt noch ein Satz. „Der klinische Studienabschnitt wird sich irgendwann sehr lange anfühlen. Plant Pausen ein, aber nicht zu viele.“ Und: „Ihr werdet euch von der Idee verabschieden müssen, für jedes Fach gut vorbereitet zu sein.“ Das werden wir doch mal sehen, denke ich mir. Mittlerweile verstehe ich, was sie mir, was sie uns sagen wollte.
In Gesprächen mit anderen fällt mir immer wieder auf, wie verklärt das Medizinstudium ist. Hake ich nach, ist es vor allem der zukünftige Beruf, vor dem andere Respekt haben. Verantwortung tragen, Menschenleben retten – oder eben nicht. Dazu die schweren Zulassungsbedingungen zum Studium. „Du hast doch sicher ein 1,0er-Abi und bist richtig schlau“ ist ein Satz, den vermutlich alle Medizinstudierenden schon mal auf einer Party gehört haben. Was soll ich denn darauf antworten?
Zum Mythos (oder vielleicht eher zum Klischee?) Medizinstudierende tragen nicht zuletzt die bei, die das Fach studieren. In der Erstiwoche in Unterwäsche Bier auf öffentlichen Plätzen trichtern? Sich in der Famulatur mit Kasack und Stethoskop fotografieren und es auf Instagram teilen? Den Schulfreunden vorjammern, wie schwer das Studium doch ist, während die mindestens genauso hart lernen, aber eben „nur“ Lehramt? Das Bild, das dabei gezeichnet wird – hart lernen, hart feiern – hat sicher seine Berechtigung. Aber es lässt wenig Platz für die Zwischentöne, die manchmal dazukommen.
Seitdem ich im klinischen Studienabschnitt bin, mag ich mein Studium. Sehr sogar. Und ja, nach dem Physikum wird vieles besser. Trotzdem schreibe ich acht bis zehn Multiple-Choice-Klausuren pro Semester, habe viele Pflichttermine, alle zwei Wochen ein neues Fach in einer neuen Studiengruppe. Während in der Vorklinik jede Klausur nervenaufreibend war, steigt mittlerweile mein Puls kaum mehr, wenn ich den Prüfungssaal betrete. Es sind einfach zu viele Fragen mit fünf Antwortmöglichkeiten, zu viele Kreuzchen auf dem Antwortbogen. Ich darf in diesem Studium so viel kennenlernen und dafür bin ich dankbar. Aber nach viereinhalb Jahren bin ich auch manchmal müde. Nur, dass ich darüber selten spreche. Wenn so viele auf einen Studienplatz warten, fühlt es sich undankbar an, über Details des Studiums zu jammern.
Dieses Semester habe ich während eines Blockpraktikums zugegeben, dass ich frustriert bin. Dass ich das Gefühl habe, die anderen wissen die Antwort auf die Fragen, bei denen ich ins Grübeln komme und können Grundlagen abrufen, die ich zwischen Klausur 3 und Klausur 15 vergessen habe. Wir saßen in einer kleinen Gruppe auf dem Stationsflur, warteten auf den Oberarzt – und es ergab sich ein kurzes, ehrliches Gespräch darüber, dass auch die anderen frustriert sind. Dass ich nicht die einzige bin, die manche Grundlagen nicht mehr parat hat, die zwischen neun Klausuren nicht die Zeit zum Wiederholen findet. Die keine Lust auf noch einen Blockkurs hat, sondern lieber mehr Zeit zum Verstehen hätte.
Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nur darüber sprechen, wie viel wir lernen, sondern auch darüber, wie absurd sich das Auswendiglernen von kleinen Details und Altfragen manchmal anfühlt. Wie wenig es mich auf die Verantwortung vorbereitet, die ich schon bald tragen werde. „Ihr werdet euch von der Idee verabschieden müssen, für jedes Fach gut vorbereitet zu sein.“ – das tut auch im neunten Semester noch manchmal weh. Nicht genug Zeit, nicht genug Gehirnkapazität zu haben, um in jedem Fachgebiet ein solides Wissen zu haben, obwohl alles so wichtig erscheint.
Auch das gehört zum #medstudentlife dazu: Die Zweifel. Die Durchhänger. Mal frustriert zu sein. Und dann doch weitermachen, für den Traum, irgendwann Krankheiten heilen und Menschen helfen zu können.