• Bericht
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  • Luise Eberlein
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  • 18.12.2019

Anatomie im ersten Semester

Für viele Medizinstudierende ist die Anatomie das Fach der Vorklinik. Die Chemiker und Physiker sehen das zwar bestimmt anders, trotzdem soll es in diesem Artikel um meine Erfahrung mit dem Fach Anatomie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen gehen.

 

Ich studiere nun im 3. Vorklinischen Semester Medizin (argh nicht mehr mal ein Jahr bis zum Physikum) und habe die Anatomie so gut wie hinter mir. Daher möchte ich gerne zukünftigen Erstis und allen anderen Interessierten mehr über die Lehre vom Anatomischen Institut erzählen.

Wenn ich früher an das Studium gedacht habe, habe ich mir immer vorgestellt wie man die menschliche Anatomie von Os frontale* bis zum Hallux** hoch und runter lernt. Es war einfach Das Fach für mich.

Umso aufgeregter war ich, als ich in der Ersti-Woche erfuhr, dass wir direkt im ersten Semester Anatomie haben würden. Grinsend wie ein Honigkuchenpferd saß ich also in unserer Einführungsstunde Anatomie und fing an, die Tage bis zu Vorlesungsbeginn zu zählen. Die Zeit verging schnell und nach etwa 4 Wochen war es soweit. Die ersten Vorlesungsstunden in der Anatomie sind ein kleines Phänomen. Sie werden sowohl im Winter- als auch im Sommersemester von einem sehr coolen Professor gehalten, der definitiv für Unterhaltung sorgt. Allein dafür lohnt es sich, in Gießen zu studieren. Danach habe ich den Hörsaal weniger von innen gesehen als zuvor gedacht, da ich in den Vorlesungen kaum etwas lernte.

Kurze Zeit nach der Einführung fing dann auch tatsächlich der Kursteil an. In Gießen besucht man nicht in einem Semester den Präpkurs und in einem anderen den Histologiekurs, sondern es läuft beides parallel ab. Ich glaube, damit ist Gießen ein Außenseiter. Ich finde das Konzept geht auch super auf. Dadurch haben wir zum Beispiel nicht alle Testate in einem Semester, sondern die 5 Prüfungen auf 3 Semester verteilt. Wenn man vorraus planen würde ;), könnte man so schon die Semesterferien effektiv nutzen.

Ein weiterer großer Vorteil ist, dass man im ersten Semester direkt an Körperspendern arbeitet. Als ich das erfahren habe, war ich zunächst total überrascht und auch ein kleines bisschen geschockt. Nach nicht mal zwei Monaten Studium werde ich einen toten Menschen sehen und an ihm die Anatomie lernen. Der Schock war schnell wieder verflogen und danach freute ich mich hauptsächlich, diese unglaubliche Erfahrung bald zu machen.

Oft wurde ich gefragt, ob ich Angst hatte, mit einer Leiche zu arbeiten oder ob es mich geekelt hätte. Meine ehrliche Antwort darauf lautet: Nein, denn wer Medizin studiert, kommt um die Anatomie im Präpsaal nicht herum. Na klar war ich am ersten Tag im Präpsaal aufgeregt und gespannt was kommt, aber Angst vor der Situation hatte ich nicht.

Nachdem ich den Präpkurs nun auch schon abgeschlossen habe, kann ich auch bestätigen, dass man tatsächlich keine Angst davor haben muss. In Gießen wird man vorher ausführlich auf diesen Tag vorbereitet und auch an dem Tag selbst haben alle, ob Dozent, HiWi oder Kommilitonen, aufeinander acht gegeben.  Unsere Tischdozentin hat an dem Tag erst nicht mitbekommen, dass es noch eine kurze Einführung gab, sodass wir kurz vor allen anderen unsere Leiche angefangen hatten aufzudecken. Das hatte die ganze Situation sehr aufgelockert, da wir uns erstmal über ihre Ahnungslosigkeit amüsierten. Danach haben wir unsere Leiche langsam von Fuß bis zum Kopf abgedeckt und einheitlich beschlossen, direkt das Gesicht abzudecken. Am Anfang war das ganze sehr komisch und vor allem ungewohnt, aber man gewöhnt sich doch schnell daran.

So lernten wir im ersten Semester sowohl Makroskopisch als auch Mikroskopisch allgemeine Strukturen kennen, über die wir dann auch noch vor Weihnachten unser erstes Testat schrieben. Im Nachhinein kann man natürlich viele Gründe finden, warum man eine Klausur nicht auf Anhieb besteht. Aber der wahrscheinlichste Grund warum ich durchgefallen bin ist der, dass ich einfach zu faul war und nicht gelernt habe. Denn im Wiederholungsversuch am Ende des Semesters klappte die ganze Prüfung einwandfrei. Das war mir eine Lehre: Zum einen habe ich dadurch sehr schnell gelernt wie es ist, eine Prüfung nicht direkt beim ersten Mal zu bestehen. Zum anderen habe ich durch das wiederholte Auseinandersetzen mit dem Prüfungsthema viel mehr behalten können, was mir vor allem in Histologie viel gebracht hat, da ich die Grundgewebearten einfach drauf hatte und bei der speziellen Histologie nicht mehr darüber nachdenken musste.

Danach war aber das Semester noch nicht vorbei, denn nun wurde sich intensiv auf das 2.Testat am Körperspender vorbereitet. Prüfungsinhalt war der Bewegungsapparat. Und während wir die restlichen Wochen am liebsten rund um die Uhr für diese Prüfung gelernt hätten, mussten wir natürlich auch noch am Körperspender die zu lernenden Strukturen ordentlich darstellen. Das hieß, dass wir bis zu 6 Stunden wöchentlich überlegten, was da vor uns war. Sprich, war das jetzt ein Muskel, Nerven, Gefäße oder hatten wir vielleicht doch nur restliches Fettgewebe oder Bindegewebe vor uns, dass einfach abgetrennt werden konnte. Im Buch sieht alles immer so schön bunt aus, was in natura dann doch ganz anders aussieht, anders verläuft oder im Zweifel gar nicht vorhanden ist.

Beim Präppen habe ich mich daher meist wie in einer Quizshow gefühlt, in der man sich auch schnell verloren fühlt, wenn alle anderen immer mehr wissen als man selbst. Das hat mich stark verunsichert und verzweifeln lassen. Deswegen bin ich lieber mit 1- 2 Personen außerhalb der Präpzeit in den Saal gegangen, um dort in Ruhe zu lernen. Dieses gemeinsame Lernen brachte mir viel mehr, als Sachen nur zusammen zu fassen oder 5x durchzulesen. Ein großer Vorteil war auch, dass ich durch die Fachschaft bereits viele Leute aus den höheren Semestern kannte, und so auch mit Leuten gelernt habe, die selber für das Physikum lernen mussten und daher die gleichen Themen wie ich wiederholten.

Zwar bin ich selber auch ein großer Verfechter davon, nicht alles zu lernen. Aber auch hier spreche ich wieder aus eigener Erfahrung. Ihr könnt ein Thema noch so gut wissen, wenn ihr in einem anderem Thema zu große Lücken habt. Damit meine ich, lernt beim Bewegungstestat den Plexus Brachialis!*** Egal wie sicher ihr euch in jedem anderen Thema seid, lernt den Plexus!! Ich konnte ihn damals nicht und habe meine erste mündliche Prüfung schön vergeigt. Inzwischen habe ich dieses Testat auch bestanden, mittlerweile kann ich also auch den Plexus und versuche in meinen mündlichen Prüfungen nicht immer meine eigenen Aussagen zu hinterfragen. Es wirkt nämlich gar nicht so, als könnte man das Thema, wenn man am Ende jeder Aussage ein Fragezeichen anhängt.

Von meinem Anatomieschein trennt mich jetzt nur noch nach das Neuroanatomietestat, das in Gießen erst im 3. Semester abgenommen wird. Aber darüber berichte ich ein anderes Mal.

*Os Frontale: Ein Teil des Schädels

**Hallux: Großer Zeh

***Plexus Brachialis: Nervengeflecht das die Muskeln der Arme und Schulterregion versorgt

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