• Interview
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  • Justus Lamm
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  • 12.11.2024

„Sepsis ist ein Notfall“

Als erste „Sepsis-Schwester“ Deutschlands leistet Manuela Gerber am Greifswalder Uniklinikum wichtige Pionierarbeit im Kampf gegen die gefährliche Blutvergiftung. Im Interview erzählt sie Lokalredakteur Justus Lamm, wie ihre Arbeit aussieht und was auch du im Kampf gegen Sepsis tun kannst.

 

 

Manuela Gerber ist 45 Jahre alt und absolvierte ihre Ausbildung zur Krankenschwester in Berlin. Anschließend arbeitete sie im Bereich der Kardiochirurgie und Intensivpflege, zunächst in Leipzig, später dann in Karlsburg und Demmin. 2007 begann sie ihre Arbeit auf der anästhesiologischen Intensivstation in Greifswald. Dort konnte sie Matthias Gründling, einer der dortigen Oberärzte, als Studienschwester für seine Sepsis-Forschung gewinnen.

Justus: Du bist vom Krankenbett in die Forschung gewechselt. Wie war diese Umstellung für dich?
Manuela: An das wissenschaftliche Arbeiten oder Kongress-Teilnahmen musste ich mich erstmal gewöhnen. Zunächst war meine Arbeit aber vor allem mit einem großen Lernaufwand verbunden. Denn als wir die medikamentöse Therapie von Sepsis erforschten, stellte ich fest, wie wenig ich über diese Krankheit wusste – trotz meiner Erfahrung auf Intensivstation! 

Und so wurdest du durch deine ausführliche Weiterbildung zur „Sepsis-Schwester“? 
Ganz genau, Matthias Gründling konnte den Vorstand überzeugen, eine eigene Stelle für den Kampf gegen Sepsis einzurichten – so war 2010 die „Sepsis-Schwester“ geboren! Wir gründeten parallel dazu auch den „SepsisDialog“ - ein interdisziplinäres Team mit dem Ziel, die Qualität der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Sepsis zu verbessern. Dafür leisten wir beispielsweise Aufklärungsarbeit und optimieren Hygienemaßnahmen.

Was motiviert dich in deiner Arbeit? 
Ich erinnere mich noch gut an einen Patienten mit Asplenie, der an einer aggressiven Pneumokken-Sepsis erkrankt war. Ich fand es schrecklich, hilflos zuzusehen, wie er körperlich abbaute, während unsere Therapie-Versuche frustran blieben. Dieser Fall ist auch heute noch ein großer Antrieb für mich, möglichst viele Patient*innen vor einem solchen Schicksal zu bewahren. Außerdem verdeutlicht er auf tragische Weise unseren Leitspruch: „Sepsis ist ein Notfall!“  

Welches eurer Projekte ist im Klinikalltag besonders relevant?  
Manuela: Für die Diagnostik der Sepsis ist die Entnahme von bis zu sechs Blutkulturen essenziell. Deswegen haben wir in Greifswald die „Sixpacks“ eingeführt: Im Stationslager stehen Sechserträger mit Blutkultur-Fläschchen bereit. So werden aus einer Venenpunktion unkompliziert drei Paare abgenommen – das spart im Klinikalltag Zeit und erhöht zudem die Qualität der Blutkulturen! 

Die „Sixpacks“ habe ich tatsächlich schon in Verwendung gesehen! Was konntet ihr durch eure Arbeit denn bisher erreichen?  
Manuela: Wir haben es geschafft, die Sterblichkeit der Sepsis in Greifswald von circa 55% auf ungefähr 35% senken – das ist eine relative Senkung um mehr als ein Drittel! 

Das ist wirklich ein großer Erfolg – es geht dabei ja um Menschenleben! Wie blickst du nach diesen Errungenschaften denn auf die Zukunft? Ich bin optimistisch, dass wir in unserer Arbeit weiterhin erfolgreich sein werden. Gegenwärtig ist Greifswald im nationalen Vergleich zwar leider eher die Ausnahme, doch ich merke, dass sich immer mehr Krankenhäuser um Sepsis-Prävention bemühen. Das Bundesgesundheitsministerium fördert zunehmend auch Projekte wie „Deutschland erkennt Sepsis“, die wichtige Öffentlichkeitsarbeit leisten. 
Matthias Gründling hat sogar das Bundesverdienstkreuz für seine Arbeit erhalten – eine tolle Auszeichnung und ein Zeichen dafür, dass die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber Sepsis steigt. 

Öffentlichkeitsarbeit ist ein gutes Stichwort! Was ist denn ein verbreiteter Irrtum bezüglich Sepsis, dem du immer wieder begegnest? 
Viele Menschen denken, dass ein roter Strich ausgehend von einer Wunde Richtung Herzen symptomatisch für eine Sepsis sei. Das spricht jedoch eher für eine Lymphangitis, die fälschlicherweise als Blutvergiftung bezeichnet wird. Eine Pneumonie ist der häufigste Grund für eine Sepsis – und die ist nicht durch einen roten Strich gekennzeichnet.

Wo können sich unsere Leser*innen weiterbilden, um solche Irrtümer zu vermeiden? 
Die Projekte „SepsisDialog“ und „Deutschland-erkennt-Sepsis“ bieten viele Informationen. Außerdem veranstalten wir in Greifswald jeden Monat online die „Sepsis-Akademie“, bei der Studierende stets willkommen sind – die Vorträge sind auch auf unserem YouTube-Kanal.
Für Notfälle eignen sich Kitteltaschen-Karten, um die wichtigsten Fakten stets parat zu haben.

Was möchtest du unseren Leser*innen abschließend mitgeben? 
Manuela: Achtet auf Hygiene und Prävention, um eine Sepsis zu vermeiden! Seid stets wachsam gegenüber der Sepsis-Symptomatik und nehmt die Einschätzungen der Patient*innen, Angehörigen und Pflegekräfte ernst. Denn Sepsis ist ein Notfall! 

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg im Kampf gegen Sepsis!

Wichtige Links: 

https://www.deutschland-erkennt-sepsis.de/ 
https://www.deutschland-erkennt-sepsis.de/was-tun-im-notfall/#sepsis-check 
https://sepsisdialog.de/ 
https://sepsisakademie.de/ 
https://viamedici.thieme.de/lernmodul
 

 

5 Fakten zur Sepsis und wie du sie erkennst!
 

1. Definition: Was ist eine Sepsis? 
Bei der Sepsis resultiert eine fehlregulierte Antwort des Körpers auf eine Infektion in einer lebensbedrohlichen Organdysfunktion, mit Zunahme um ≥ 2 Punkte im SOFA-Score. 

2. Ätiologie: Wie entsteht eine Sepsis? 
Am häufigsten sind bakterielle Erreger auf Basis von respiratorischen (ca. 50%) / abdominellen (ca. 25%) / urogenitalen (ca. 10%) Infektionen – doch Vorsicht: Auslöser einer Sepsis können stark variieren!  

3. Symptomatik: Wie erkenne ich eine Sepsis? (Quelle
Bei Vorliegen einer Infektion und mindestens einem der folgenden Symptome, ist eine Sepsis denkbar: 
•    Schweres Krankheitsgefühl 
•    Müdigkeit oder Apathie 
•    Plötzliche Verwirrtheit 
•    Schnelle, schwere Atmung 
•    Erniedrigter Blutdruck bei erhöhtem Puls 
•    Kalte, fleckige Haut der Extremitäten 
→ Bei der Beurteilung eines Verdachtsfalls hilft dir diese Sepsis-Checkliste!


4. Risiko: Warum ist die Sepsis so gefährlich? 
Von jährlich circa 230 000 Erkrankten in Deutschland versterben ungefähr 85 000 – denn eine Sepsis endet unbehandelt leider tödlich. Daher gilt: Sepsis ist ein Notfall!  

5.  Therapie: Wie wird eine Sepsis behandelt? 
Patient*innen mit Sepsis müssen schnellstmöglich intensivmedizinisch überwacht und mit einer kalkulierten Breitbandantibiose behandelt werden - „Hit hard and early!“
 

Quelle: Sepsis-Lernmodul (via medici)

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