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- Anne Hartmann
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- 12.10.2020
Vergabeverfahren Humanmedizin – was hat sich nach dem Urteil des BVG verändert?
Was ist ein gerechtes Verfahren? Wie findet man die geeignetsten Kandidaten für das Medizinstudium? Diesen Fragen musste sich die Politik nach dem Urteil des BVG zuwenden.
Während meines Pflegepraktikums im August saß ich mit einer Mitpraktikantin im Stationszimmer. Wir diskutierten die Schwierigkeit, in Deutschland einen Medizinstudienplatz zu erhalten. Sie studierte bereits im dritten Semester, während ich mir Sorgen machte, ob ich je eine medizinische Fakultät von Innen sehen würde. Uns fiel auf, dass unsere Bewerbungsverfahren ganz unterschiedlich abgelaufen waren.
Hätte man in dem ein oder anderen Verfahren vielleicht bessere Chancen gehabt? Und welches Verfahren vergibt die begehrten Plätze fairer?
Jedes Jahr übersteigt die Bewerberanzahl die Anzahl an verfügbaren Studienplätzen um ein Vielfaches. Immer mehr junge Menschen in Deutschland möchten studieren und Medizin gehört zu den beliebtesten Studiengängen überhaupt. Doch nur etwa jeder fünfte Bewerber erhält einen der begehrten Plätze.
Um so wichtiger ist es also, ein gerechtes Vergabeverfahren zu etablieren. Das dieses bislang verbesserungsbedürftig war, geht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2017 hervor. Das BVG urteilte, dass die bisherige Studienplatzvergabe für Humanmedizin nicht verfassungskonform sei und gab damit der Klage zweier Studienbewerber statt. Die Richter kritisierten im Wesentlichen drei Punkte.
Im alten Vergabeverfahren konnten sich die Bewerber an nur sechs Universitäten für Humanmedizin bewerben. Die angegebenen Ortspräferenzen konnten beliebig stark gewichtet werden und hatten somit maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg einer Bewerbung. Die Ortspräferenz stellt aber kein Kriterium dar, das eine Aussage über die Eignung des Bewerbers oder der Bewerberin treffen könnte. Auch die Beschränkung auf sechs Universitäten sei verfahrenstechnisch nicht notwendig. Seit Sommersemester 2020 ist es nun möglich, sich an allen 36 Hochschulen gleichzeitig zu bewerben, die Ortspräferenzen haben keinerlei Auswirkung mehr auf den Bewerbungserfolg.
Zweitens ist laut den Richtern in Karlsruhe ein Mechanismus zur besseren Vergleichbarkeit der Abiturdurchschnittsnoten zwischen den Bundesländern notwendig. Neuerdings werden zuerst Landeslisten erstellt, auf denen alle Bewerberinnen eines Bundeslands miteinander konkurrieren, die anschließend in Bundeslisten überführt werden. Hierbei wird beispielsweise ein Bewerber aus Niedersachsen einem Bewerber mit saarländischem Abitur vorgezogen, da ersterer aus einem bevölkerungsreichern Bundesland kommt und somit schon im binnenländischen Vergleich mit höherer Konkurrenz zu kämpfen hatte.
Schließlich kritisiert das BVG die Unterschiedlichkeit der Auswahlverfahren der einzelnen Hochschulen. Zwar soll diesen weiterhin erlaubt sein, eigene fachliche Verfahrensschwerpunkte zu setzen, es sei jedoch unzulässig, dass diese eigenständigen Kriterien entwickeln würden, wie beispielsweise die doppelte Gewichtung der Biologienote auf dem Abiturzeugnis.
Zusätzlich wurde geändert, dass die Bewerber nun die Möglichkeit haben, sich auf mehr als einen bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengang zu bewerben, eine zeitgleiche Bewerbung auf Human- und Zahnmedizin ist nun also möglich.
Nach nun zwei Bewerbungsrunden mit neuem Vergabeverfahren ist die Bilanz weitgehend positiv. Laut Hochschulstart geben 73 % der Hochschulen an, mit dem neuen Verfahren „eher zufrieden“ zu sein. Die Berücksichtigung von zwei schulnotenunabhängigen Kriterien im Auswahlverfahren der Hochschulen lässt auf eine heterogenere Medizinstudentenschaft hoffen, kam doch bisher ein Großteil der Studierenden aus wohlhabenden Akademikerfamilien, deren Kinder meist auf elterliche Unterstützung in der Schule zählen können. Aus Sicht der Bewerber ist es auch ein großer Vorteil, sich an mehr als sechs Hochschulstanden gleichzeitig bewerben zu können, da so die Chancen auf eine Zulassung gesteigert werden können.