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  • Anne Schneider
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  • 25.07.2017

Gibt es in Hamburg noch ein Physikum?

In den letzten Jahren haben viele medizinische Fakultäten in Deutschland den Ablauf des Studiums geändert. Aus dem altbekannten Regelstudiengang mit vier vorklinischen Semestern und dem anschließenden Physikum haben sich immer mehr Reform- und Modellstudiengänge entwickelt. Einer von ihnen ist der „iMed“-Modellstudiengang in Hamburg, der 2012 startete – somit beginnen im kommenden Semester die ersten „iMed-ler“ ihr Praktisches Jahr.

© Anne Schneider

Was hat es mit dem Physikum in Hamburg nun tatsächlich auf sich?

Wer dachte, er könnte sich mit dem Studium in der Hansestadt das komplette Physikum schenken, den muss ich leider enttäuschen. Die gute Nachricht ist aber: Der schriftliche Teil, in dem nach zwei Jahren alle naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer mit Hilfe eines langen Multiple-Choice-Tests abgefragt werden, existiert nicht mehr als solcher. Stattdessen setzt sich die schriftliche Physikumsnote aus allen erbrachten Leistungen im Laufe der ersten fünf Semester zusammen. 

Das bedeutet, dass vom ersten Semester an jedes Testat, jede Klausur und jede mündliche Prüfung zu einem kleinen Teil in die Physikumsnote eingehen. Du findest, das klingt gruselig und erhöht von Anfang an den Druck? Mag sein; gleichzeitig kann es aber sehr beruhigend sein, neben allen Semesterprüfungen nicht auch noch eine riesige schriftliche Physikumsprüfung zu haben, in der alles noch einmal abgefragt wird. Außerdem ist es bei diesem System in Ordnung, nicht jede noch so kleine Teilprüfung grandios zu absolvieren, weil ihr Ergebnis im Verhältnis zur Gesamtnote oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Wie kommt die mündliche Note zustande?

Der mündliche Physikumsanteil findet regulär nach den ersten drei erfolgreich absolvierten Semestern statt und wird „Prüfung Normalfunktion“, in Studentenkreisen auch mit „PNF“ oder „“NoFu“ abgekürzt, genannt. Die Prüfung Normalfunktion setzt sich zu einem Drittel aus einem OSCE und zu zwei Dritteln aus einer mündlichen Prüfung zusammen.

Die Kurzform „OSCE“ bedeutet ausgeschrieben „Objective structured clinical examination“, was zunächst sehr professionell und vielleicht auch einschüchternd klingen mag. Dahinter stecken, zumindest bei der Prüfung Normalfunktion, zwölf Stationen à fünf Minuten. Vor jedem Raum hast du eine Minute Zeit, um die Aufgabenstellung durchzulesen und dich kurz zu sammeln. Danach ertönt ein Pfiff, du öffnest die Tür und begegnest zum Beispiel einem Patienten, der für seine berufliche Ausbildung eine arbeitsmedizinische Untersuchung der Lunge oder des Herzens benötigt. 

Du nimmst also die Rolle des Arztes ein, schaust dir seine körperliche Verfassung an und hörst ihn mit deinem Stethoskop ab. In Wirklichkeit sind alle mitwirkenden „Patienten“ Schauspieler und haben keine Lungen- oder Herzerkrankung. Der OSCE dient zur Einführung in die klinische Medizin (EKM) und umfasst neben diversen Untersuchungstechniken unter anderem die Erhebung einer Anamnese, eine Nähübung, die Wiederbelebung einer Puppe mit Hilfe von Herzdruckmassage und Beatmung sowie eine gründliche Händedesinfektion.

© Anne Schneider


Die Vorbereitung auf den OSCE erfolgt im Rahmen des „EKM-Kurses“, in dem alle Untersuchungsmethoden gezeigt und geübt werden. Zudem ist es hilfreich, mit befreundeten Kommilitonen vor der Prüfung noch einmal alle Stationen durchzugehen und als „Rollenspiel“ zu proben. Für viele Studenten ist diese Prüfungsform eine willkommene Abwechslung zu dem sonst theoretischen und manchmal eher trockenen Auswendiglernen. Außerdem kann sie dabei helfen, sich daran zu erinnern, warum man überhaupt so viel Zeit in Fächer wie Biochemie und Anatomie investiert, und zeigen, dass das Arbeiten in der Klinik nicht mehr ganz so weit weg ist, wie es oft scheint.

Der vielleicht am meisten einschüchternde und anstrengende Teil der Prüfung Normalfunktion ist der mündliche – obgleich es auch dabei immer noch gnädiger zugeht als im Regelstudiengang.
Wie oben schon kurz erwähnt, machen die meisten Studenten die Prüfung Normalfunktion nach drei Semestern, wenn sie bis dahin alle Teilprüfungen bestanden haben. Das heißt, dass, anders als im Regelstudiengang, die eigentliche Vorklinik nur drei statt vier Semestern umfasst. Der Vorteil daran ist, dass es ein Semester früher mit den klinischen Inhalten losgeht; der Nachteil allerdings ist, dass der Stoff dadurch noch geballter ist als ohnehin schon.

Zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung hast du ungefähr drei bis sechs Wochen Zeit – je nachdem, wann deine Prüfungstermine sind und wie viel du für den OSCE lernst. Grundsätzlich können vier große Fächer abgefragt werden: Anatomie, Biochemie, Physiologie und Medizinische Soziologie. Vor allem die ersten drei sind sehr umfangreich, weshalb die meisten Studierenden zunächst versuchen, möglichst viel davon zu wiederholen. 

Eine Woche vor deiner mündlichen Prüfung bekommst du zwei der Fächer zugewiesen sowie die Dozenten, die dich prüfen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass du in Anatomie geprüft wirst, ist am höchsten und für Soziologie ist sie am geringsten. Nach der Bekanntgabe kannst du dich also noch mal intensiv mit deinen beiden Fächern auseinandersetzen. Des Weiteren kannst du dich erkundigen, ob deine Prüfer „Lieblingsthemen“ haben, und dich mit diesem Wissen natürlich noch gezielter vorbereiten.

In deiner mündlichen Prüfung sitzt du mit den Dozenten nicht allein im Raum, sondern hast in der Regel drei Mitprüflinge. Jeder von euch wird pro Fach jeweils 15 bis 20 Minuten abgefragt. Da ihr vier alle die selben Fächer und Prüfer habt, besteht die Möglichkeit, dass ihr euch gemeinsam auf die Prüfung vorbereitet, indem ihr euch zum Beispiel gegenseitig abfragt. Das ist aber selbstverständlich kein Muss – wenn du besser mit anderen Kommilitonen lernen kannst, ist es auch in Ordnung, wenn du dich ohne deine Mitprüflinge vorbereitest.

Kann ich die Prüfung Normalfunktion auch verschieben?

Wenn du das mündliche Physikumsäquivalent noch nicht nach dem dritten Semester absolvieren möchtest, obwohl du bis dahin alle Teilleistungen erbracht hast, kannst du die Prüfung auch erst nach dem vierten oder fünften Semester antreten. Das Gleiche gilt, wenn dir für die Anmeldung zur Prüfung Normalfunktion noch eine oder mehrere Einzelprüfungen aus den ersten drei Semestern fehlen. In beiden Fällen kannst du einfach mit dem vierten Semester weitermachen, ohne dass du in Schwierigkeiten kommst. Bis zum Ende des fünften Semesters solltest du die Prüfung Normalfunktion allerdings absolviert haben, da dir sonst der „Studienstopp“ droht. Das bedeutet, dass du nicht weiter studieren darfst, solange du dein mündliches Physikum nicht geschafft hast.

Auch, wenn es dir im dritten Semester vielleicht zu viel, zu schwierig oder zu anstrengend erscheint und du die Prüfung am liebsten noch nicht antreten würdest: Trau dich ruhig! Frei nach dem Sprichwort „man wächst mit seinen Aufgaben“. Sofern du die Voraussetzungen erfüllt hast, empfehle ich (und ich bin mir ziemlich sicher, dass viele meiner Kommilitonen das auch tun würden), es so schnell wie möglich hinter dich zu bringen. Erstens hast du die Inhalte zu dem Zeitpunkt noch einigermaßen frisch im Gedächtnis und zweitens kannst du diesen Punkt in deinem Studium dann ein für allemal abhaken. 

Während des Lernens scheint es für einige unmöglich, so viel Stoff in so kurzer Zeit wieder abrufbereit zu haben, aber: Es haben schon viele andere vorher geschafft, und in den (wenn auch verkürzten) Ferien nach der bestandenen mündlichen Physikumsäquivalenz kannst du stolz und erleichtert sein, dass du nicht aufgegeben, sondern dich durchgebissen hast. Also, viel Erfolg beim Lernen und viel Spaß beim Feiern danach!

 

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