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- Annika Simon
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- 12.09.2013
Berühmte Heiler in den Medien
Von Hirschhausen, Froböse und Grönemeyer. Prominente Ärzte aller Fachrichtungen bevölkern heute die moderne Medienwelt. Ihre Theorien und Erklärungen sind patientenfreundlich, ihre Heilkonzepte geradezu revolutionär. Und das ganz ohne Nebenwirkungen! Doch geht es den „Promi-Docs“ wirklich nur um die Heilung der Menschheit? Oder schaden sie mit ihrem Hang zur Selbstvermarktung vielleicht sogar dem Ansehen der Kollegen von Morgen? Ein kritischer Blick auf die Vermarktung der Wissenschaft.
Warum jammern Medizinstudenten eigentlich immer über die angeblich so schwierigen Prüfungen? Wenn die Promi-Docs Grönemeyer und Co in den Talkshows und Gesundheitsmagazinen den Mund aufmachen, klingt doch alles ganz einfach! Eigentlich müssten die Deutschen nur mehrfach täglich Gymnastik machen, sich diszipliniert ernähren und ihre sitzenden oder stehenden Berufe kündigen. Dann wären alle von den großen Volksleiden wie Diabetes Mellitus Typ II und chronischen Rückenbeschwerden geheilt. Und wenn die zahlreichen Übungs- und Verhaltensänderungsprogramme doch nichts nützen, bleibt noch die Strategie frei nach Eckart von Hirschhausen: Die Krankheiten werden einfach weggelacht, so einfach ist das! Kein Wunder also, dass die vermeintlichen Heiler immer öfter in Kritik geraten. Denn mit wirklicher Wissenschaft hat das nicht viel zu tun. Klassische Kriterien guter wissenschaftlicher Arbeiten wie Reliabilität, Validität und Objektivität spielen plötzlich keine Rolle mehr. In der modernen Medienwelt gewinnt heut zu Tage nicht der fleißige Forscher, der Jahrelang im Labor die Pipette schwingt. Nein, heute ernten all jene Mediziner den Applaus der Bevölkerung, die sich öffentlichkeitswirksam selbst vermarkten können.
Medizin? So einfach ist das!
Einerseits schaffen die Promi-Docs es zwar mit ihrer allgemeinverständlichen Darstellungsform, die breiten Massen für medizinische Sachverhalte zu begeistern und ihnen simple Zusammenhänge (zum Beispiel: Wer viele Hamburger ist, wird übergewichtig. Sport und Bewegung sind gut für Herz und Kreislauf) näher zu bringen. Andererseits gefährdet ihre Light-Medizin im schlimmsten Fall das Ansehen der ganzen Ärzteschaft. Diese Befürchtung teilt auch Matthias, der sich derzeit auf sein Hammerexamen vorbereitet: „Nachdem sich meine Mutter durch die Sachbücher von Dietrich Grönemeyer gelesen hatte, wusste sie plötzlich bei medizinischen Fragen alles besser“, so der Medizinstudent. „Ich sollte mich nicht so anstellen mit dem Lernen – Medizin sei ja gar nicht so schwer wie sie immer dachte, muss ich mir seitdem immer anhören“, fügt er schließlich hinzu. Aber ist Medizin wirklich so easy? Wir Studierenden wissen es besser!
Gefährliches Halbwissen?
Die Einfachheit der Theorien, wie sie von vielen Promi-Ärzten verbreitet werden, ist allerdings nicht nur hinsichtlich einer Degradierung der Komplexität des Arztberufes eine Gefahr. Darüber hinaus können zu wenig Details auf Seiten der Patienten in einer Art gefährlichem Halbwissen resultieren. Und genau dieses Halbwissen verursacht bisweilen starke Rückenschmerzen, wie mir Marianne, eine Studentin im 5. Studienjahr kürzlich berichtete: „Während meiner Famulatur in der neurologischen Uniklinik durfte ich einmal eine Frau im mittleren Alter voruntersuchen, die über starke Rückenschmerzen und gelegentlich einschießende Schmerzen ins linke Bein klagte. Auf meine Frage nach dem Beginn der Neuralgien zeigte sie mir ein Sachbuch mit Rückenübungen, die sie ausprobieren wollte. Nach ihrem ersten Versuch der Rückenübungen seien dann am nächsten Morgen erstmals die einschießenden Schmerzen aufgetreten“. Diese Geschichte ist sicher kein Einzelfall und spiegelt eine generelle Problematik bei der Selbsthilfe mittels Gymnastik wider: Während der Patient nach Anleitung turnt, wird er in seinen Bewegungen und Haltungen nicht korrigiert und kann sich bei einer vorbelasteten Wirbelsäule sogar verletzen. Zwar gibt es in den entsprechenden Sachbüchern immer auch Hinweise, vor dem Üben zum Arzt zu gehen. Doch wer wartet als Kassenpatient freiwillig erst 2 Monate auf einen Termin und dann 3 Stunden im Wartezimmer, wenn er mit Hilfe von Marianowitz und Co bereits morgen vollends geheilt sein könnte?!
Weniger ist (manchmal) mehr
Schwierig kann es allerdings werden, wenn der vermeintliche Ruhm zu Kopf steigt und die Promi-Docs gewagte Thesen über die Effektivität bestimmter Therapieverfahren verbreiten. So ist kürzlich der Orthopäde Martin Marianowitz ins Schussfeuer der Kollegen geraten, weil er sich als vermeintlicher Wirbelsäulen Experte extrem kritisch gegenüber Bandscheibenoperationen geäußert hatte. Hat er damit eine Grenze überschritten? Ist er wirklich so eine Koryphäe auf seinem Fachgebiet? Und wann sammelt er seine praktischen Erfahrungen, wenn er doch eigentlich hauptsächlich Interviews gibt, oder Fachbücher schreibt? Wie der gute alte Paracelsus zu sagen pflegte: Die Dosis macht das Gift! Vielleicht sollten sich die Promi-Ärzte in Zukunft darauf beschränken, unserem Alltag ein bisschen mehr Gesundheitsbewusstsein und Freude an der Wissenschaft einzuhauchen. Aber zu Risiken und Nebenwirkungen studieren sie lieber den aktuellen Herold oder fragen ihren No-Name-Arzt oder Apotheker.
Weiterführende Links
Kritischer Artikel auf Spiegel-Online über Promi-Ärzte
Show „Ist das ein Witz?“ mit Eckart von Hirschhausen
Eckart von Hirschhausen über den Nichtraucherschutz
Dietrich Grönemeyer bei der Talkshow „3 nach 9“ im Interview
Online-Artikel über den Fußballarzt Hans-Willhelm Müller-Wohlfahrt