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- Annika Simon
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- 12.09.2013
Und täglich grüßt der Sensenmann
Wo die Medizin hausiert, ist auch der Tod nicht weit. Bereits in den ersten Semestern nehmen junge Studierende leblose Körper auseinander und sehen bei Famulaturen Schwerkranke auf dem OP-Tisch versterben. Aber kann man sich wirklich an den täglichen Tod gewöhnen? Und werden die Ärzte von Morgen ausreichend auf die schrecklichen Enden vorbereitet? Annika Simon hat sich auf dem Campus umgehört…
„Es war tiefster Winter und ich begleitete den diensthabenden Notarzt an einem Samstagabend bei einem seiner Nachtdienste“, erinnert sich Sonja aus Hannover an eine einschneidende Erfahrung mit dem Tod eines Patienten. „Der Mann war schwer krank, hatte Herz- und Leberversagen, und eine Patientenverfügung. Die Familie war aufgrund der infausten Prognose gegen eine Wiederbelebung und entschied sich für die Einstellung aller lebenserhaltenden Maßnahmen“, erklärt die junge Medizinstudentin die Umstände dieses besonderen Einsatzes. „Wir stellten alle Geräte aus und warteten stundenlang auf den Tod. Der Patient hatte Schnappatmung und seltene Herzschläge. Es war einfach nur furchtbar!“, berichtet sie mit ernstem Blick und erregter Stimme. Ganz klar: Obgleich die moderne Medizin heute viele Krankheiten heilen kann und der Gesellschaft zu einem längeren Leben verhilft, bleiben sterbende Patienten eine unschöne Realität. Da der Tod aber immer noch zu den großen Tabuthemen zählt, werden viele Ärzte von Morgen erst im Medizinstudium damit konfrontiert und fühlen sich oft überwältigt und unvorbereitet. So ging es zum Beispiel auch Sonja: „Nach diesem Einsatz wollte ich eigentlich meine Famulatur abbrechen. Der Arzt und der Assistent schienen das alles eher locker zu nehmen und machten sogar Sprüche. Ich hingegen hatte Alpträume und zweifelte sogar an meiner Studienwahl!“
Jenseits medizinischer Lehrbuchfakten
Hat sich Sonja nur angestellt? Sollte sie besser einen anderen Beruf ergreifen? Oder war sie einfach nur schlecht vorbereitet? Ihr Kommilitone Dennis hat eine Antwort parat: „Wir lernen theoretische Physik, Symptome und chirurgische Operationstechniken, aber menschliche Aspekte und der Umgang mit den eigenen Ängsten und Emotionen bleiben total auf der Strecke!“ Dass er mit seiner Ansicht durchaus richtig liegt, beweist ein kritischer Blick auf den Studienplan. Als eigenständige Themen tauchen der Tod und die Sterbebegleitung eigentlich nur in Zusammenhang mit der Palliativmedizin auf. Und die wird erst gegen Ende des Studiums meist in Form eines kurzen Blockkurses unterrichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Studierenden also mehr oder weniger auf sich allein gestellt und müssen sehen, wie sie mit ihren Erlebnissen am besten umgehen sollten. Hierbei hilf es besonders, wenn man Freunde und Familie hat, die sich von schrecklichen Geschichten nicht abschrecken lassen und stattdessen ein offenes Ohr mitbringen: „Mein erster Tag im Präpariersaal war die reinste Katastrophe!“, berichtet Heike aus Hannover. „Der Leichnam unserer Gruppe sah meinem kürzlich verstorbenem Opa sehr ähnlich und es viel mir sehr schwer, dem toten Körper mit einem Skalpell näher zu kommen. Nach den Kursen habe ich viel mit meiner Mutter darüber gesprochen, die als Ärztin arbeitet. Das hat mir sehr geholfen.“
Ventil gegen den seelischen Überdruck
Glücklicherweise ist inzwischen auch der Lehrkörper auf diese inhaltliche Lücke des Studienplans aufmerksam geworden und bemüht sich nun über Modellprojekte um einen nachhaltigen Lösungsansatz. So gibt es in München ein Projekt mit dem englischen Titel „Spiritual Care“, bei dem die Medizinstudierenden neben klassischen fachlichen Themen auch über den Tod sprechen (siehe Link). Dieser ist ja nun einmal unweigerlich mit dem Arztberuf verbunden und damit wirklich jeden Tag präsent. Dass einen sterbende Patienten und heftige Schicksale nicht kalt lassen, ist nur menschlich. „Irgendwann habe ich zwar gelernt, den Menschen während einer OP größtenteils auszublenden. Aber an den Tod werde ich mich wohl niemals gewöhnen können“, gestand mir ganz ehrlich ein junger Notarzt aus der Medizinischen Hochschule Hannover. Projekte wie „Spiritual Care“ greifen genau jene Gedanken in didaktisch aufbereiteter Form auf und geben den Studierenden damit einen Raum, ihren Gedanken zum Tabuthema „Tod“ freien Lauf zu lassen. Dieses Projekt ist also ein wichtiger Schritt in Richtung Psychohygiene und Selbstfürsorge im Medizinstudium. Dennoch bleibt noch eine große Lücke, und bis diese wirksam gefüllt worden ist, bleibt jede Todeserfahrung eine persönliche Herausforderung.