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- Julia Marschall
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- 22.10.2018
Das böse Wort mit P – Meine Tipps fürs Physikum
Über das Physikum wabern allerlei Gerüchte durch die Unis. Julia erzählt, wie bei ihr die Vorbereitungen und das Physikum verliefen und gibt euch nützliche Tipps für die wichtigste Prüfung der Vorklinik.
Für viele Medizinstudenten ist die Vorklinik die schlimmste Zeit des Studiums. Man lernt Unmengen an Stoff auswendig, der Praxisbezug fehlt vollkommen und die meisten Tage hat man das Gefühl, die Paukerei von biochemischen Kreisläufen, Physikformeln und Muskelverläufen würde niemals enden.
Umso furchteinflößender, dass man all dieses Wissen nach nur zwei Jahren auf Kommando abspulen muss und am besten jedes noch so kleine Detail wiedergeben kann. Das böse Physikum hängt vier Semester lang wie ein Damoklesschwert über einem und es verwundert kaum, dass allein der Gedanke daran Schweißausbrüche und schlaflose Nächte beschert.
Um die schlaflosen Nächte zu minimieren und am Physikum nicht zu scheitern, lohnt es, einen guten Plan zu haben. Einen Masterplan, der garantiert zum Erfolg führt, gibt es leider nicht. Aber mit ein paar Tipps schafft ihr es, größere Nervenausbrüche zu vermeiden und die Zeit halbwegs unbeschadet zu überstehen. Und was am allerwichtigsten ist: Bei der immensen Stoffmenge nicht komplett den Glauben an euch selbst und eure Fähigkeiten zu verlieren.
Vorab sei gesagt: In diesen vier oder fünf Wochen werdet ihr vermutlich so viel lernen wie selten zuvor. Viele werden das Gefühl haben, an den Schreibtisch gefesselt zu sein und pausenlos durchlernen zu müssen. Das ist aber unmöglich! Bei einer so langen, intensiven Lernphase sind Pausen und abendliche Aktivitäten fernab vom Physikumsstress enorm wichtig!
Deshalb mein Tipp: Sucht euch schon zu Beginn des Semesters vor dem Physikum eine Möglichkeit, wie ihr am besten Stress abbauen könnt. Manche schauen abends eine Stunde Tatort, andere wiederum gehen 5 Kilometer laufen und wieder andere verabreden sich mit Freunden zur Pokerrunde.
Für diejenigen, die wie ich gerne mal vergessen eine ausreichende Pause zu machen, ist es durchaus hilfreich, z.B. dem Mitbewohner eine bestimmte Uhrzeit zu nennen, zu der man bewusst gestört werden möchte und daran erinnert wird, eine Pause einzulegen.
Während den konzentrierten Phasen ist es aber umso wichtiger, jegliche Ablenkung zu vermeiden und alle Gefahrenquellen möglichst wegzulegen. Es passiert einfach viel zu schnell, dass man „nur kurz“ etwas googeln möchte und eine Stunde später erwischt man sich dabei, auf YouTube die Aftermovies zu den Medimeisterschaften der letzten fünf Jahre anzusehen.
Ein Tipp für alle, die sich sehr leicht ablenken lassen: Legt das Handy in die Küche oder den Flur, mindestens ein Zimmer weit entfernt. Schaltet den Laptop komplett aus und benutzt ihn wirklich nur, wenn ihr kreuzen wollt. Für diejenigen, denen das immer noch nicht reicht, gibt es mittlerweile Apps wie Space, Offtime oder Forest, bei denen man über eine Zeitschaltuhr alle Anwendungen auf dem Handy oder dem Laptop deaktivieren kann.
Besonders vor dem Einschlafen sollte man darauf achten, nicht unnötig viel Zeit am Bildschirm zu verbringen. Es hört sich völlig logisch an und vermutlich werden es viele für unnötig halten es zu erwähnen, aber guter Schlaf ist in der Physikumszeit goldwert! Und dazu braucht jeder Mensch mindestens sieben, optimalerweise acht Stunden Schlaf pro Nacht. Wer davor Angst hat, nachts von wilden Träumen über die Prüfung heimgesucht zu werden, dem kann ich nur sagen: Ihr seid damit sicher nicht alleine und das ist ganz normal. Gegen Albträume hilft es, vor dem Einschlafen zehn Seiten eines Buches zu lesen, das ihr schon vor längerer Zeit gelesen habt und dessen Handlung ihr noch einigermaßen kennt. Dann ist das Lesen per se nicht so anstrengend, aber ihr beschäftigt euch vor dem Einschlafen gedanklich noch mit angenehmeren Dingen als der Glykolyse oder dem Frank-Starling Mechanismus.
Was mir in der wirklich akuten Phase zwei bis drei Wochen vor Tag X Sorgen bereitet hat, war meine miserable Ernährung. Ein Punkt, den man tatsächlich und traurigerweise viel zu schnell vernachlässigt. Es ist nicht neu, dass gesunde Ernährung sich positiv auf den Allgemeinzustand und die Konzentrationsleistung auswirkt. Bei intensiven Lernphasen kann das aber schnell in Vergessenheit geraten. Dabei kann man zwei unterschiedliche Typen von Studenten beobachten: Typ 1 vergisst vor lauter Konzentration ausreichend zu trinken und zwischendurch eine Kleinigkeit zu essen. Typ 2 hat auf dem Schreibtisch immer mindestens eine Packung Schokolade, Gummibärchen oder sonstige Snacks parat. Ich habe leider schnell feststellen müssen, dass ich wohl dem häufigeren Typ 2 entspreche. Unbewusst verschwindet da pro Lerneinheit gut und gerne mal eine Packung Haribo im Nirwana. Spätestens in den nächsten Stunden bedankt sich der Magen und die aufkommende Übelkeit hilft nicht wirklich dabei, sich auf die Lerninhalte zu konzentrieren. Besser wäre daher ein Teller mit klein geschnittenem Obst – nicht nur lecker, sondern auch eine gesunde Energiequelle. Außerdem ist die Zubereitung von solchen kleineren Zwischenmahlzeiten eine willkommene Ablenkung und sorgt dafür, dass der Kreislauf in Schwung kommt - je nachdem wie lange der Weg vom Schreibtisch in die Küche ist.
Wenn ihr schon weiter vorangeschritten seid im Lernplan und das schriftliche Physikum nur noch wenige Tage entfernt ist, dann steigt bei manchen vermutlich der Adrenalinspiegel an. Bei den einen ist das ganz normales Lampenfieber, bei den anderen vielleicht auch bedingt durch das schlechte Gewissen, weil man mit dem Lernplan nicht fertig ist. Oder aber man bekommt mit, dass der Kommilitone von nebenan viel mehr Fragen gekreuzt hat und schon alle Skripte zweimal wiederholt hat. Lasst euch davon aber bitte nicht nervös machen. Jeder hat einen anderen Lernplan, ein eigenes Tempo und eine ganz individuelle Herangehensweise an das Projekt Physikum. Mit gegenseitigem Vergleichen schafft ihr nicht nur eine ungute Stimmung untereinander, sondern erhöht den Leistungs- und Erwartungsdruck auf euch selbst enorm.
Und das führt nur selten zu einem positiven Ergebnis. Eher zu erwarten sind dann panische Anrufe bei den Eltern zu Hause à la: „Ich glaub ich werd doch Putzfrau oder Müllmann, das Physikum schaffe ich ja sowieso nicht.“ Falsch. Denn es haben schon so viele vor euch geschafft! Und davon waren sicherlich nicht alle übermotiviert oder wahnsinnig fleißig.
Führt euch ab und zu vor Augen wie weit ihr es schon geschafft habt und wie viel Stoff ihr in der kurzen Zeit vor dem Physikum gelernt habt. Ihr werdet rückblickend sehen, dass das eine beeindruckende Menge ist.
Unter der Annahme, dass diese kleineren Anflüge von Nervosität überstanden sind und der Tag der schriftlichen Prüfung endlich da ist, könnte man meinen: Augen zu und durch. Organisierte Menschen haben meist einen ganz genau geplanten Ablauf, was ab dem Weckerklingeln bis zum Beantworten der ersten Frage passieren soll. Die Erfahrung zeigt aber, dass es mehr Sicherheit schafft, die alltägliche Morgenroutine nicht zu sehr zu verändern. Tut also am besten genau das, was ihr sonst auch jeden Morgen tut. Wer die Nacht schlecht geschlafen hat und glaubt, die Augen nicht offenhalten zu können, dem wird eine Tasse Kaffee sicher nicht schaden. Aber vermutlich ist das gar nicht nötig, euer Sympathikus wird euch sehr wahrscheinlich nicht im Stich lassen und ein klein wenig Adrenalin wirkt sich nicht negativ auf die Konzentration aus – im Gegenteil. Wer aber zu extremer Nervosität neigt, dem können Bachblüten eventuell Abhilfe schaffen.
Was dagegen weniger hilft, sind die Kommilitonen, die vor der Prüfung noch panisch in ihren Skripten blättern in der Hoffnung, noch etwas aufnehmen zu können. Davon solltet ihr dringend die Finger lassen! Wenn ihr pünktlich seid, werdet ihr noch genügend Zeit haben, eine Brise frische Luft zu schnappen und auf die Toilette zu gehen. Und auch während der Prüfung solltet ihr darauf achten ausreichend zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen, denn vier Stunden sind eine lange Zeit und maximal konzentriert bleibt ihr da nur unter ausreichender Flüssigkeits- und Nährstoffzufuhr. Aus Rücksichtnahme und um böse Blicke eurer Tischnachbarn zu vermeiden, solltet ihr allerdings auf Karotten, Chips oder ähnlich knusprige Pausensnacks verzichten.
Habt ihr dann die ersten vier Stunden hinter euch, ist ein großes Stück schon geschafft. Denn viele Medizinstudenten empfinden Tag 1 des Physikums mit Biochemie, Physik, Chemie und Physiologie als den Schlimmeren der beiden Tage, was ich persönlich absolut unterschreiben kann. Natürlich gibt es auch da individuelle Unterschiede. Was bei den meisten aber gleich sein wird ist die Erschöpfung nach Ablauf der vier Stunden. Deshalb am besten gleich ab nach Hause und sich ausruhen. Belohnt euch mit eurer Lieblingsserie, bestellt euch eine Pizza und sammelt noch einmal Kraft für den zweiten Tag. Denn auch der ist nicht weniger anstrengend.
Das Gute ist: Jeder Schrecken hat einmal ein Ende und das Gefühl, was ihr haben werdet, wenn ihr die Turnhalle in Erbach hinter euch lassen könnt, ist unbeschreiblich! Denn mit dem schriftlichen Physikum habt ihr die größte Hürde in Homburg schon geschafft.
Danach heißt es dann noch ein letztes Mal alle Kräfte mobilisieren und sich so gut es geht auf die mündliche Prüfung vorbereiten. Auch hier gilt wieder: es haben schon so viele vor euch geschafft! Und die meisten Prüfer wollen nicht, dass ihr durchfallt. Denn für die Prüfer ist es viel mehr Arbeit zu begründen, warum sie jemanden durchfallen lassen, als einfach auf einem Zettel zu unterschreiben, dass ihr euer Staatsexamen bestanden habt.
Natürlich ist das erste Staatsexamen rückblickend lange nicht so schlimm wie man es sich vorgestellt hat. Ganz einfach ist es aber auch nicht. Und die Zeit vor dem Physikum ist sicherlich keine schöne Zeit, darüber sind sich hinterher alle einig.
ABER: Es ist auf alle Fälle machbar!
It always seems impossible. Until it is done.
In diesem Sinne wünsche ich allen kommenden Physikumskandidaten viel Durchhaltevermögen und Erfolg!