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  • Vanessa Bücker
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  • 20.03.2013

Medizinstudium mit Kind

Familienfreundlichkeit und Medizinstudium. Zwei Welten, die aufeinander prallen. Oder?! Unfreundliche Seminarzeiten, strikte Anwesenheitspflicht, mangelnde Kita-Plätze - die Realität junger Studierender mit Kind bringt viele Studienabbrecher oder Studiengangwechsler hervor. Lokalredakteurin Vanessa Bücker hat drei Medizinstudenten-Paare mit Kind besucht und gefragt: Babyschnuller und weißer Kittel, geht das zusammen?

Die glücklichen Eltern Moritz und Johanna mit ihrer Tochter Hania - Foto: Moritz Thiel

Ein Balanceakt

Auf dem Einkaufszettel stehen nicht Kölsch und Chips für den gemütlichen WG-Abend, sondern Windeln und Babypuder. Kinderarzt-Termine werden zwischen Vorlesungen und Seminare geschoben. Zwischen den weiß-blauen Thieme-Büchern im Regal tummeln sich "Die Märchen der Gebrüder Grimm" oder "Die kleine Raupe Nimmersatt". Durch ein Kind wird das "banale Studentenleben" aus den Angel gehoben. Ein Leben zwischen Uni und Kind ist für viele schwer vorstellbar und doch wagen einige den Spagat zwischen Hörsaal und Kinderzimmer.

Die süße Hania schaut mich erwartungsvoll mit ihren großen Kulleraugen an, während ihr Papa sie mit Brei füttert. Fast neun Monate ist es her, seit sie das Licht der Welt erblickt hat und damit das Leben von den Medizinstudenten Moritz und Johanna komplett auf den Kopf gestellt hat.

"Nicht geplant, aber gewollt. Und jetzt das Beste, was uns passieren konnte", so beschreiben die beiden ihr Elternglück. Sie waren noch in der Vorklinik als sie erfuhren, dass sie Nachwuchs bekommen würden. Mittlerweile ist die Kleine schon ganz groß und krabbelt mit Entdeckersinn durch die Wohnung, findet schnell das Spielzeug, das am meisten Lärm macht. Ist ja auch am Lustigsten, finden wir auch. Das Physikum und 1. klinische Semester haben die beiden frischgebackenen Eltern mittlerweile hinter sich. Jetzt soll es weiter gehen – zusammen mit der kleinen Hania.

 

Organisieren ist das A und O

Ob man mitten im Medizinstudium ein Kind bekommt oder mit Kind den Studiumsanfang wagt, Fragen über Fragen schießen in den Kopf, wenn es so weit ist: Werde ich genug Zeit für mein Kind haben? Wann ist die perfekte Zeit für ein Geschwisterchen? Wie meistert man als Medizinstudent mit Kind seinen Alltag? Der Stundenplan lässt kaum Raum für individuelle Entscheidungen. Ist es trotzdem zu schaffen? Soll ich lieber meinen Traum Medizin aufgeben, weil ich ein Kind habe?

"Wichtig ist das Zeitmanagement.", erklärt mir Maike* beim Abendessen. Sie hat einen 7-jährigen Sohn, Hendrik*, der jetzt in die 2. Klasse geht. Er war gerade erst drei Jahre alt, als sie mit dem Medizinstudium angefangen hat. Nun meistern sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Philipp* den Alltag.

Beim Nachtisch (ein Obstgarten-Joghurt) erzählt Hendrik uns begeistert, dass "unser Körper jetzt Antikörper und Bakterien gegen den Obstgarten herstellt." Durch und durch ein kleines "Medizinerkind". Er ist mit der Medizin aufgewachsen, sitzt in den Schulferien mal mit im Hörsaal oder hat sich mit der Mama "Es war einmal das Leben" angeschaut, während sie sich für das Physikum vorbereitet hat.

So ist der Alltag mit Kind. Früher aufstehen, Kind zur Schule oder zum Kindergarten bringen, Kita organisieren oder in die Nachmittagsbetreuung der Uniklinik bringen. Abends steht Lernen auf dem Programm - nachdem man das Kind ins Bett gebracht hat. "Man muss alles im Blick haben. Ich versuche die Zeit richtig einzuplanen - für meinen Sohn, meinen Partner, das Lernen und auch den Haushalt. Man muss strukturiert arbeiten und darf sich nicht gehen lassen."

Doch was ist, wenn die Organisation versagt?

 

Erstens kommt es anders und zweitens …

… als man denkt. Das haben auch Amina* und Farid* gelernt. Seit eineinhalb Jahren sind die beiden verheiratet, nun ist Amina in der 33. Schwangerschaftswoche und gemeinsam freuen sie sich auf ihr Kind. Doch auch sie mussten lernen, dass nicht immer alles nach Plan verläuft.

"Ich hatte es so geplant, dass ich für meine Schwangerschaft das letzte Semester frei habe und kaum zur Uni muss." Nun aber ist Amina im Praktischen Jahr, was vieles erschwert. "Man kann nicht einfach sagen, dass man mal nicht kommen kann, weil es einem schlecht geht. Die Krankheitstage werden als Urlaubstage gezählt, die ich mir eigentlich für die Entbindung aufheben will."

Doch nicht jede Schwangerschaft verläuft reibungslos. Manchmal wird die Schwangerschaft komplizierter und anstrengender, dann schafft man unter Umständen weniger, als man sich vorgenommen hat. Amina hat Glück gehabt. Sie ist in ihrem Pädiatrie-Tertial kulanten Ärzten unterstellt, die sie oft früher nach Hause schicken und vor einigen Tätigkeiten verschonen - zum Beispiel der Arbeit auf der Infektionsstation.

Ein Kind –sei es noch im Mutterleib oder schon quietschfidel auf dem Spielplatz am Turnen– folgt keinem Terminkalender oder Studienplan. Gute Organisation ist das Eine, ein guter Notfallplan aber das Andere. Wichtig ist vor allem die Unterstützung von Familie und Freunden oder Mitstudenten in derselben Lage, die mit Rat und Tat zur Seite stehen und auch mal in der letzten Sekunden einspringen, um auf den Sprössling aufzupassen. Das sehen alle drei Paare so.

 

Die jüngsten Studenten

Wenn alle Stricke reißen, muss der Nachwuchs mit in die Uni genommen werden. Die Dozenten erweisen sich dann als mehr oder minder tolerant. "Ich habe fast durchweg positive Erfahrungen gemacht, wenn ich Hendrik mit in den Hörsaal genommen habe. Oft haben die Dozenten den "jüngsten Studenten" sogar direkt angesprochen und gefragt wie er die Vorlesung fand.", erzählt Maike und ergänzt: "Natürlich habe ich vorher darauf geachtet, dass es eine "jugendfreie" Vorlesung ist."

 

Die kleine Hania bei ihren ersten Reanimationsübungen - Foto: M. Thiel

 

Auch Johanna und Moritz haben positive Erfahrungen gemacht. Sie durften nach Absprache zusammen mit Hania an Klausuren teilnehmen. Immer sprungbereit, den Hörsaal zu verlassen, falls die Kleine zu schreien anfängt. Johanna erinnert sich und muss grinsen. "So schnell habe ich noch nie eine Klausur geschrieben."

Einmal hat Moritz sogar einen Einzel-Prüfungstermin bekommen, damit beide die Klausur mitschreiben konnten. Doch nicht immer ist es so einfach "Einige Professoren sehen Medizin als ein Fach nach dem Motto "Wenn du etwas erreichen willst, musst du auf Familie verzichten." Dann wird es schwierig. Manchmal ist viel Herzblut und Überredungskunst bei den Dozenten notwendig und manchmal ist trotzdem kein Entgegenkommen zu sehen. Das ist dann sehr enttäuschend."

Volle Stundenpläne und starre Anwesenheitspflichten sind oft die Realität. Krankheitsbedingtes Fehlen –sei es die schwangere Studentin mit Übelkeit oder die Mutter mit ihrem kranken Kind Zuhause– ist oft nicht erlaubt, dann muss der Kurs wiederholt werden. Letztendlich entscheidet der Dozent oder Lehrbeauftragte nach eigenem Ermessen. Und das frustiert.

 

Unterstützung seitens der Uni

In einem Punkt sind sich alle Eltern einig: Die Unterstützung an der Uni für junge Eltern im Studium könnte besser sein. "Wir sind eine Lücke im System. Es ist als würde der Staat oder die Universitäten nicht davon ausgehen, dass wir Studenten Kinder kriegen.", stellen Johanna und Moritz fest. "Gut unterstützt wäre etwas anderes", bestätigt Maike. Dabei liegt der Anteil an Studierenden mit Kind in ganz Deutschland konstant bei etwa 6 bis 7 %.

An der Medizinischen Fakultät in Köln gibt es Bemühungen, Studierende mit Kind zu unterstützen – mit einem Stillzimmer im Skills Lab und einer Beratungsstelle. Doch niemand von den Befragten Studenten ist so recht überzeugt von den Angeboten. Die Beratungsstelle hilft wenig, das Stillzimmer ist nicht den Ansprüchen angemessen. Die angebotenen Betreuungsmöglichkeiten bieten nicht genug Kapazität. Es fehlen Kita-Plätze. Anmeldung am Besten schon während der Schwangerschaft. Vor allem nach 17 Uhr, wenn Studenten oft noch in Praktika oder Klausuren sitzen, kann die Betreuung nicht mehr gedeckt werden.

Positiv ist, dass Studierende mit Kind ein Voranmelderecht für die Kurse haben. Auch Amina wurde in ihrer PJ-Planung unterstützt. Die PJ-Koordination hat versucht, die Tertiale so zu ordnen, dass sie Chirurgie nicht in der Zeit der Schwangerschaft absolvieren muss. Außerdem hatte sie einen Bonus für ihre Wunschkrankenhäuser, die sie sich in der Nähe ihrer Familie ausgesucht hatte.

In den letzten Jahren gab es einen regelrechten Aufschwung in den Angeboten der Uni. Doch es scheint, das Wort "Familienfreundlichkeit" hat noch nicht alle Ecken des Campus erreicht. Kinderteller in den Mensen sind schön und gut, doch essentielle Bedürfnisse nach Betreuungsmöglichkeiten und Informationsangeboten können noch nicht ausreichend abgedeckt werden.

 

Money, Money, Money ...

Neben der Betreuung ist Finanzierung ein weiterer wichtiger Punkt. Dabei sieht man vor lauter Bäumen manchmal den Wald nicht mehr: Familiengeld, Mutterschaftsgeld, Kindergeld, Bafög. Welches Geld gibt es wann und wie viel? Die Frage nach der Finanzierung ist schwierig, offizielle Informationsportale sind oft unübersichtlich. Informationsangebote im Internet speziell für Studierende mit Kind können Abhilfe schaffen.

Studentenkind.de

Trotz finanzieller Hilfe vom Staat reicht das Geld oft nicht aus. Es wird mehr gebraucht als ankommt. Deswegen gehen viele "Studi-Eltern" arbeiten. Eine weitere Verlängerung des Studiums ist vorprogrammiert.

Maike hat ihre eigene persönliche Lösung gefunden. Sie hat sich für eine Assistenzarzt-Stelle nach dem Studium in einer Psychiatrischen Klinik im Schwabenland verpflichtet, dafür wird sie jetzt monatlich bezuschusst. "Ich weiß, dass ich meine Weiterbildung in der Psychiatrie machen möchte. Die Klinik ist familienorientiert mit entsprechenden Angeboten und durch das monatliche Stipendium muss ich nicht mehr arbeiten. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe."

Auch mal den unüblichen Weg zu gehen wie Maike ist ein Weg der Lösung. Individuelle Lösungen für individuelle Situationen zu finden sollte ein fester Bestandteil der zukünftigen Betreuungs-, Informations- und Finanzierungsangebote für Studierende mit Kind werden.

 

Was man will, das schafft man

Ist es also machbar, das Studium mit Kind? "Irgendwie geht's immer", ist Johanna der Überzeugung. "Man muss sich vorher aber realistische Vorstellungen machen. Das betrifft zum Einen die ganz normalen Dinge, mit denen jede schwangere Frau zu kämpfen hat. Ich habe mich zum Beispiel schon während der Schwangerschaft mit postnataler Depression auseinandergesetzt, die leider noch oft wie Tabu-Themen behandelt werden." Sich damit auseinander setzen, darüber mit dem Partner reden – das hilft viel und nimmt die Angst, falls so etwas wirklich eintrifft.

Zum Anderen die Erwartungen, die das Studium betreffen: "Es ist klar, dass man sein Studium mit Kind nicht unbedingt in Regelstudienzeit schafft und länger braucht als die Mitstudenten. Das kann man sich nicht schön reden. Zu viel Pessimismus ist aber auch nicht gut. Man sollte sich nicht mehr Stress machen, als man sowieso schon hat."

Realistische Erwartungen, etwas Optimismus und sich nicht verrückt machen lassen – das hört sich nach dem perfekten Rezept an. "Doch jedes Kind ist anders", erklärt Maike. "Das eine Kind braucht viel Aufmerksamkeit, so wie mein Hendrik. Das andere wiederum schläft die Nacht durch und man kann in Ruhe lernen. Jedes Kind ist individuell und man kann nicht planen, wie viel Elternzeit man sich nehmen muss oder welche Kurse man auf Anhieb schafft." Mit Kind läuft alles halt weniger reibungslos als ohne.

 

Zukunftstrend?

Gerade das Medizinstudium ist ein sehr zeitintensives Fach mit vielen Pflichtfächern. Die lange Ausbildungsdauer im Arztberuf verkürzt das Zeitfenster für die Familiengründungsphase. 6 Jahre und 3 Monate dauert das Studium, nochmal 5 Jahre für eine Weiterbildung. Erst danach Kinder kriegen? Das kommt für viele nicht in Frage, weil sie dann schon zu alt sind. Doch die Weiterbildung zum Facharzt für ein Kind unterbrechen, das wollen wiederum viele nicht.

Schon im Studium die Parallelisierung von Ausbildung und Familiengründung anzustreben, erscheint als mögliche Alternative. Ist also Medizin studieren mit Kind der neue Zukunftstrend?

"Den perfekten Zeitpunkt zur Familiengründung gibt es nicht", erklärt mir Maike. "Und doch würde ich mich immer wieder so entscheiden." So wie die Mehrheit der Studierenden mit Kind, wie eine Umfrage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigte.

"Man muss selbst abwägen, wann es einem am besten passt", sind sich auch Amina und Farid einig. "Unserer Meinung nach ist es im Studium etwas einfacher, weil man, wenn das Kind mal krank ist, fehlen kann und Kurse auch später absolvieren kann. Man muss jedoch damit rechnen, dass das Studium damit auch verlängert wird."

Auch Johanna und Moritz sind überzeugt davon, Studieren und Kind zu verbinden. "Junge Eltern haben mehr Kraft und Ausdauer. Im Studium muss man viel selbstständig lernen, hat demnach aber auch mehr Zeit Zuhause als Berufstätige. Vieles spricht für ein Studieren mit Kind." Nachdenklich fügt Moritz hinzu: "Wenn wir später noch Kinder kriegen und schon arbeiten, werde ich wahrscheinlich weniger Zeit mit ihnen haben als ich jetzt im Studium mit Hania habe."

So stressig das Leben als Studierender mit Kind doch sein mag, am Ende wird man also "reich belohnt". Auch Maike sieht viele Vorteile in ihrer Lage. "Während sich viele Studenten keine Lernpausen nehmen und durchpowern, muss ich mir Zeit nehmen - ein Kind kann man nicht auf Standby stellen. Ob basteln oder an die frische Luft, diese Momente mit meinem Sohn geben mir Kraft und Gelassenheit, wieder voller Tatkraft an mein Studium zu gehen." Und auch für ihr späteres Berufsleben lernt sie Einiges. "Durch das Studieren mit Kind bin ich stressresistenter geworden. Das wird mir in meinem späteren Beruf als Psychiaterin helfen. Ich lasse mich von Herausforderungen nicht mehr so leicht einschüchtern."

Ob erst am Ende, mittendrin oder noch am Anfang – ein Medizinstudium mit Kind ist immer eine große Herausforderung und Gratwanderung. Doch mit dem Mut zum eigenen Weg und dem Willen, das Ziel zu erreichen, wird auch noch die größte Hürde genommen.

* Die Namen wurden auf Wunsch geändert.

 

Informative Links

Studieren mit Kind an der Medizinischen Fakultät Köln

Infobroschüre des ASta (2010)

Studieren mit Kind an der Uni Köln

Quellen

Studieren mit Kind - Ergebnisse der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System; Bundesministerium für Bildung und Forschung

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