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- Maxi Bergner
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- 27.02.2017
I will survive – das Tief des fünften Semesters
„Medizinstudium“ – allein das Wort lässt dein Gesicht aussehen, als hätte man dir eine Flasche Formalin unter die Nase gehalten? Herzlichen Glückwunsch, du bist an einem Punkt angekommen, an dem du nur noch wenig vom Stoff begeistert bist und du die Sinnhaftigkeit deines Studiums in Frage stellst. Was kannst du dagegen tun?
„Ich möchte einmal anderen Menschen helfen.“, spricht die Durchschnitts-Medizin-Erstsemestlerin mit verklärtem Lächeln und marschiert mit blauäugiger Vorfreude in die erste Anatomie-Vorlesung. „Ach, eigentlich will ich verstehen, wie der Mensch funktioniert.“, sagt sie ein Jahr später und geht weniger strahlend, aber durchaus konsequent in ihre Physiologie-Vorlesung.
„Warum tue ich mir das Ganze eigentlich an?“ … wieder ein Jahr später. Besagte Medizinstudentin sitzt kurz nach 6 Uhr morgens auf der Bettkante und weiß nicht so recht, ob sie aufstehen oder sich wieder hinlegen soll. Selbst ihr Hase dreht ihr den dicken, plüschigen Hintern zu und demonstriert damit deutlich, dass er um diese Zeit noch keinen Bock auf Möhre hat. „Aber ich auf Pathologie, oder was“ brummelt sie ihn an und schlurft in Richtung Kaffeemaschine. Der Motivationsgenerator für den Tag muss angeschalten werden.
Die Begeisterung für das Studium ist irgendwo in der Biochemie verstoffwechselt und mit der Anatomie im Defäkationsmechanismus ausgeschieden worden, bei der Untersuchung der Überbleibsel in der Labormedizin und beim Mikroskopieren durch die Pathologie ist die Konzentration nun deutlich unter dem Grenzwert. Das Ziel, einmal Patienten helfen zu können, ist nach wie vor erstrebenswert, aber nach der Hälfte der Studienzeit eben doch noch sehr fern. „Und jetzt?“ – die Studentin steht an ihrer Wohnungstür, der Prof liest bereits seit fünf Minuten, in Verbindung mit ihrer Müdigkeit würde sie wahrscheinlich wieder nur die Hälfte mitbekommen. Also macht sie kehrt, setzt sich an ihren Laptop und fängt an, im Internet zu stöbern. Es muss doch Abhilfe für ihren Zustand geben …
1. Nebenbeschäftigung suchen
Morgens für die Uni aufstehen, abends nach dem Lernen schlafen gehen. Wer das Studium zu seinem Lebensinhalt macht, der lebt den größten Teil des Semesters grau vor sich hin, kleine Erfolge zwischendurch – Fehlanzeige. Auch wenn Klausurergebnisse kurz den Eindruck eines Regenbogens am persönlichen Horizont vermitteln, so sind diese nur von kurzer Dauer und schnell nicht mehr von Bedeutung. Also such dir Tätigkeiten, die wirklich DICH definieren, Hobbys, die dir etwas zurückgeben. Sei es das Lächeln von Mitmenschen aufgrund ehrenamtlicher Tätigkeit, ein gutes Körpergefühl durch Sport, gemeinsames Stolzsein auf einen Orchesterauftritt… Das gibt notwendige Kraft, wieder still und einsam vor Lehrbüchern zu sitzen.
2. Von der 1 verabschieden
Das fällt schwer, ganz schwer. Durch den NC des Studiengangs geprägt, hält das Leistungsstreben unter den Studierenden hartnäckig an. Lass dich davon nicht beeindrucken, hör auf, dich mit den Ergebnissen anderer zu vergleichen. Und wenn, dann versuch es doch mal unter folgendem Aspekt, gerade in Verbindung mit Punkt 1: Ja, 25% haben besser abgeschnitten als du. Aber hey, was ist wohl mehr wert – sich für eine 1 zwei Wochen in der Bib einzumieten, oder sich gut fühlen, anderweitig Erfolge zu generieren und trotzdem gute 80% zu wissen?
3. Freundeskreis außerhalb der Medizin
Gleichgesinnung ist schön, gemeinsam jammern auch. Aber es muss auch andere Themen geben als immer nur Fächer, MC-Fragen oder exotische Patientenvorkommnisse. Such dir Philosophen, Juristen, Germanisten, … ganz egal, Hauptsache andere Hintergründe, andere Denkweisen. Das schafft einen notwendigen Abstand zur Medizin, um mit neuer Motivation die Inhalte zu beackern.
4. Der Lernstress ist auf dem Höhepunkt? Pause!
Du glaubst, du bewältigst den Lernberg nicht mehr? Es sind nur noch 2 Tage, aber 1000 Folien? Das ist der perfekte Zeitpunkt für eine Pause. Ja, richtig gehört. Ohne Regeneration, aber mit einem Cortisolspiegel von gefühlt 1000 µg/l merkst du dir leider eh nichts mehr von dem, was du gerade im Schnelltempo zu überfliegen und à la photographisches Gedächtnis abzuspeichern versuchst. Also verlasse dein Arbeitsumfeld und triff Freunde, geht Kaffee trinken oder spazieren. Aber versuche nicht, dich zu quälen, sowohl der Lern-, als auch vor allem der Klausurerfolg werden darunter leiden.
5. Überdenke Urlaubssemester genau
Die Lösung für die Überarbeitung liegt so nah, scheint so einfach: Urlaubssemester. Rauskommen, den Horizont erweitern, einmal durchgängig etwas ganz anderes machen. Aber nur pausieren des Pausierens willen ist meist eine schönere Bezeichnung für Flucht. Denn das ist es leider: ein Fliehen vor der Unfähigkeit, eine langanhaltende Lösung für die Unzufriedenheit zu finden. Spätestens wenn du zurückkommst, wird dich all das schnellstens wieder einholen, vor dem du wegrennen wolltest und der Ausspanneffekt verschwindet im Nu. Damit soll keine Anklageschrift gegen Urlaubssemester aufgesetzt werden, nur die Bitte an dich: Plane genau, was du aus der Zeit mitnehmen willst und vor allem, wie du deine Rückkehr gestalten willst. Wenn dir das nicht gelingt, dann lass lieber die Finger davon.
Die Studentin klappt den Rechner zu, einige Ideen schwirren ihr durch den Kopf … da klappert es hinter ihr, der Hase meldet sich in seinem Stall zu Wort. Er kann sich nun wohl doch eine Möhre vorstellen. „Du, ich mir das mit der zweiten Vorlesung mittlerweile auch“ – sagt sie, während sie seinen Forderungen nachkommt, und hat dabei seit langer Zeit einmal wieder ein Schmunzeln der Vorfreude auf den Lippen.