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  • Thang Le
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  • 09.10.2020

Studieren in Corona-Zeiten: Wie war das zweite Semester in Marburg?

Auch das schöne, relativ überschaubare Marburg ist von den Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie nicht verschont geblieben – digitale Angebote ersetzten klassische, altbekannte Präsenzveranstaltungen. Lässt sich das zweite Semester auch bequem von Zuhause aus studieren?

 

Die Anzahl der zu belegenden Fächer im zweiten Semester erinnert im Grunde genommen an das vergangene erste Semester. Ein Blick auf den Semesterplan verrät, dass Biochemie, Chemie, Histologie, Physik, Physiologie, Psychologie und Soziologie einen großen Teil unserer Freizeit beanspruchen werden. Doch keine Panik, immerhin haben es die älteren Jahrgänge auch irgendwie geschafft. Dass der Ausbruch einer globalen Pandemie, angefangen mit einer unbekannten Lungenkrankheit in China, derart weitreichende Konsequenzen für die universitäre Lehre in Deutschland mit sich bringen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch keinem bewusst.

Mit dem Konzept „Lehren und Lernen auf Distanz“ – das heißt sowohl digitales Lehren und Lernen als auch ein gut strukturiertes Selbststudium – wurden wir in unser zweites Fachsemester begrüßt. Statt Vorlesungen im Hörsaalgebäude und Kleingruppenarbeit in Seminarräumen hieß es nun, Vorlesungsvideos vom Bett und digitale Videokonferenzen vom Sofa aus zu besuchen. Den Spagat von traditioneller Präsenzlehre zu einem strukturiert aufbereiteten, digitalen Semester meisterten die Fachbereiche der medizinischen Fakultät unterschiedlich gut.

Am härtesten hat die Umstellung die naturwissenschaftlichen Fächer getroffen: Während die Psychologen beispielsweise einfach kurzerhand ihre Vorlesungsvideos hochladen konnten und damit auch schon die meiste Arbeit getan war, quälten sich vor allem die Chemie und die Physik mit der Frage, wie sie ihre Pflichtpraktika stattfinden lassen können, ohne die Hygieneregeln in den teilweise relativ engen Laboren zu missachten.

Umso faszinierender war der großartige Umgang der Chemiker und Physiker mit der aktuellen Lehrsituation in Marburg. Das Semester wurde offiziell in zwei unterschiedlich ausgerichtete Phasen aufgeteilt: Während des Semesteranfangs wurde auf Präsenzlehre vollkommen verzichtet. Zu diesem Zeitpunkt wurden theoretische Inhalte und experimentelle Aufbauten bequem von Zuhause aus aufbereitet. Professionell und sinnvoll strukturierte Lehrvideos wurden zum Selbststudium zur Verfügung gestellt, Vorprotokolle und auch die fertigen Versuchsprotokolle konnten über ein digitales Abgabesystem direkt an die Dozierenden gereicht werden. Das Semesterende hingegen war von praktischen Inhalten geprägt. Experimente und Laborversuche wurden in komprimierteren Zeiträumen und unter Einhaltung der Hygienestandards vor Ort durchgeführt und ausgewertet. Während dieser beiden Phasen herrschte durch und durch kommunikative Transparenz. Nicht zuletzt zeigten die Lehrenden bezüglich Abgabefristen große Nachsicht und Geduld. Das gesamte Prinzip erinnert letztendlich an die einer Fernuniversität – erst Zuhause pauken, dann vor Ort abliefern. Und es hat tadellos funktioniert, Hut ab!

Doch nicht alle Fächer zeigten sich den Studierenden gleichermaßen wohlgewollt und gut vorbereitet. Als eines der lernintensivsten Fächer des zweiten Semesters bekannt, präsentierte sich die Histologie weniger kooperativ und nachsichtig. Statt informativen und an die aktuelle Ausnahmesituation angepasste Lehrvideos, wurden lediglich die Vorlesungsfolien hochgeladen. Die extra integrierten Erklärungstexte auf den Folien trugen mehr zur Unübersichtlichkeit der Vorlesung als zur Aufklärung von relevanten Fragen bei.

Wesentlich sinnvoller wurde hingegen der praktische Anteil der Histologie-Veranstaltungen organisiert. So blieb es meinem Semester beispielsweise erspart, stundenlang in ein Mikroskop zu schauen, um irgendwelche histologischen Präparate – mühsam wechselnd zwischen Vergrößerung und Verkleinerung – zu erkennen. Stattdessen wurde uns von Seiten des anatomischen Instituts ein eigens eingerichtetes, virtuelles Mikroskop zur Verfügung gestellt: Alle Präparate des Histologie-Kurses waren somit ortsunabhängig von Laptop, Tablet oder Handy aus zu bestaunen und ganz intuitiv mit Mausklick oder Fingerbewegung verstellbar.

Insgesamt hat das Corona-Semester gezeigt, dass jede Form von Lehrkonzept sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Durch hochgeladene Lehrvideos, online durchgeführte Gruppenseminare und digital angelegte Abgabesysteme wird ein hohes Maß an örtlicher und zeitlicher Flexibilität gewährleistet – vor allem im Sommersemester ließ sich die eine oder andere Veranstaltung auch von der Sonne geliebkost an der frischen Luft genießen. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Implementierung von digitaler Lehre an Universitäten greifbar ist, sofern ausreichend Ressourcen mobilisiert werden und Offenheit für neue, digitalisierte Lehrkonzepte gezeigt wird.

Nichtsdestotrotz war das vergangene Semester auch sehr fordernd und belastend. Der Wegfall von Präsenzveranstaltungen war zwar kurzfristig Segen, langfristig jedoch Fluch. Irgendwann fühlte man sich ausgelaugt und sozial depriviert: die Ausgangsbeschränkungen machten sozialen Kontakt quasi unmöglich, das altbekannte Marathonlernen konnte ausschließlich in den eigenen vier Wänden stattfinden (es sei denn, man wollte den ganzen Tag mit Maske in der Bibliothek verharren) und die hohe Flexibilität während des Semesters erforderte ihrerseits größte Selbstdisziplin und Organisationskunst. Dass der kurze Spaziergang um den Block zum Highlight der Woche wird, zeigt, wie wenig Ausgleich während des Semesters möglich war.

Irgendwo in der Mitte liegt meiner Meinung nach die Zukunftsperspektive. Umso mehr freue ich mich nun auf das dritte Semester, denn Studium und Lehre sollen im kommenden Winter als „Hybrid-Semester“ stattfinden, sprich eine Mischung aus digitalen und Präsenz-Angeboten. Alle Studierenden werden die Möglichkeit erhalten, vor Ort zu studieren; gleichzeitig bleiben Web-Konferenzen, aufgezeichnete Lehrvideos und Lern- und Lehrplattformen im Internet weiterhin relevant. Ich bin gespannt und halte euch auf dem Laufenden!

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