- Interview
- |
- Alexander Schöllkopf
- |
- 20.12.2023
KI in der Medizin - Interview mit Dr. med. Severin Rodler
Artificial Intelligence, kurz AI, ist spätestens seit der Einführung von ChatGPT in aller Munde. Auch in die medizinische Praxis haben AI-Anwendungen bereits Einzug gefunden, z.B. im Rahmen der radiologischen und pathologischen Diagnostik. Vielerorts wird nun erforscht, inwiefern AI die medizinische Versorgung verbessern kann. Lokalredakteur Alexander hat PD Dr. med Severin Rodler zu diesem spannenden Thema interviewt.
PD Dr. med. Severin Rodler leitet als Facharzt für Urologie die AG Künstliche Intelligenz und digitale Technologie in der Urologie an der LMU und ist ein Experte auf diesem Gebiet. Aktuell befindet er sich im Rahmen eines Research Fellowships in den USA, wo er die tatsächliche Anwendung von KI im Alltag des Urologen bzw. der Urologin von der Diagnostik bis zur Unterstützung im OP erforscht.
> Herr Dr. Rodler, was hat Sie schon vor Jahren dazu bewegt, sich mit der Anwendung künstlicher Intelligenz in der Medizin zu beschäftigen? Waren Sie damit nicht eine Zeit lang ein Exot unter Ihren Kolleginnen und Kollegen?
Absolut, KI war bis vor einem Jahr ein Spezialistenthema. Für die meisten Forscherteams war künstliche Intelligenz genauso wie für die Allgemeinbevölkerung nicht wirklich zugänglich. Mit der Schaffung von öffentlich zugänglichen Large Language Models (LLM) wie ChatGPT hat sich das grundsätzlich geändert. Jetzt haben zum ersten Mal technische Laien Zugang zu dieser Technologie, was auf der einen Seite die Anzahl der getesteten Anwendungen exponentiell erhöht, auf der anderen Seite aber nicht unbedingt die Stärken solcher Modelle voll ausnutzt. Unser Team an der LMU hat jedoch in Kooperation mit einem Konsortium der Europäischen Fachgesellschaft (Young Academic Urologist Group for Urotechnology) bereits seit Jahren an Künstlicher Intelligenz geforscht. Daher ergibt sich natürlich ein gewisser Vorsprung.
> In Ihrer AG wird an künstlicher Intelligenz und digitaler Technologie in der Urologie geforscht. Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen, womit Sie sich genau beschäftigen?
Wir beschäftigen uns mit zwei Perspektiven: Wie kann KI Diagnostik und Therapie verbessern und wie muss die Mensch-Maschinen-Schnittstelle gestaltet werden, damit KI effektiv eingesetzt werden kann. Zuletzt ist ein großes Projekt im Bereich „Vertrauen in künstliche Intelligenz“ fertig geworden. Hier konnten wir zeigen, welcher Ansatz in Zukunft von Urologinnen und Urologen verfolgt werden sollte, wenn KI in der Praxis eingesetzt wird. Es zeigt sich hier, dass der Einbezug von KI als „Copilot“ für Entscheidungsfindungen wichtig ist. Patienten mit Prostatakarzinom vertrauen Urologinnen und Urologen, die die Technologie einsetzen, bereits heute mehr, als denjenigen, die es nicht machen oder wenn sie nur von einem Algorithmus behandelt werden. Aktuell laufende Projekte untersuchen, wie KI Ärztinnen und Ärzten helfen kann, sichere Diagnosen zu stellen und im OP keine Fehler zu machen.
> Betrachten wir die Medizin als Ganzes: Was Sind aus Ihrer Expertensicht die vielversprechendsten Anwendungsgebiete von AI und digitalen Technologien in der Medizin?
Wichtig ist nicht die konkrete Technologie, sondern die Art des Einsatzes. Wie bei ChatGPT gesehen, können selbst extrem teure LLM schlecht performen, wenn Nutzer*innen sie falsch benutzen. In der Medizin haben wir zusätzlich ethische und regulatorische Herausforderungen, die beim Einsatz beachtet werden müssen. KI wird daher immer als Copilot des jeweils anwendenden Arztes bzw. der jeweils anwendenden Ärztin eingesetzt und nicht als Standalone-Lösung. Wo das bereits heute gut funktioniert, ist die Pathologie, Radiologie und Dermatologie. Alle drei Fächer haben statische Bilder, weshalb hier ältere Computer Vision Modelle gut funktionieren. Spannender werden in Zukunft bewegte Bilder und Text- / Sprachverarbeitung. In der Chirurgie werden „Fahrassistenzsysteme“ für jede Art von endoskopischer Operation spannend, wo eben genau diese bewegten Bilder live ausgewertet werden. Und zuletzt werden LLM Ärztinnen und Ärzten helfen, schneller und effizienter zu arbeiten.
> Der eine oder die andere Leser*in möchte sich vielleicht selbst gerne mit der Vernetzung von AI und Medizin beschäftigen. Was würden Sie denjenigen empfehlen? Gibt aus Ihrer Sicht bestimmte Fähigkeiten, die man sich aneignen sollte? Ich denke da zum Beispiel an Programmierkenntnisse oder den sicheren Umgang mit großen Datenmengen und Statistik-Software?
Wichtiger als konkrete Programmierfähigkeiten sind Statistikkenntnisse und Wissen, wie welches Modell funktioniert und was Stärken und Schwächen sind. Gerade LLM sind ja massentauglich geworden und können beim Programmieren eigener Programme helfen. Trotzdem verstehen viele nicht, wie die Programme funktionieren und setzen sie dann falsch ein. KI sollte als Tool gesehen werden, dass korrekt eingesetzt werden muss. Genauso wie beim OP-Roboter, wo der bzw. die Operateur*in auch nicht genau wissen muss, wie das technisch funktioniert. Jedoch sollte er bzw. sie wissen, welches Patiententklientel am meisten profitiert oder bei welcher Art der OP der Einsatz Sinn macht.
> Sie selbst haben an der LMU studiert. Haben Sie Tipps für Famulaturen, außercurriculare Aktivitäten oder dergleichen?
Während meines Studiums hat die LMU im Hinblick auf KI keinen Kurs angeboten, was sich mittlerweile geändert hat. Extracurriculäre Aktivitäten wie Mecum Sigma, KUM oder ähnliches sind sicher erste gut Anlaufstellen. Für Leute, die sich intensiver mit Thematiken beschäftigen wollen, gibt es mittlerweile auch viele Forschungsgruppen, die gute Projekte machen, an denen man teilnehmen kann.
> Herr Dr. Rodler, damit sind wir mit unserem Interview am Ende. Vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Einblicke, die Sie uns gewährt haben. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine gute Zeit in den USA und spannende Ergebnisse für Ihre Forschung.