- Interview
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- Stephanie Zühlke
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- 22.02.2013
Studieren mit Behinderung an der LMU
Natürlich kann man auch mit einer körperlichen Behinderung an der LMU studieren, dachte ich. Aber stimmt das überhaupt? An der LMU wird einiges dafür getan, damit Menschen mit Behinderung möglichst barrierefrei studieren können, doch es tun sich auch immer wieder Probleme auf. Der körperbehinderte Xiao hat mir einiges darüber erzählt.
Der Anlass, über ein Studium mit Behinderung nachzudenken war für mich eine Vorlesung zu Amputationen und deren Folgen im Rahmen der Ringvorlesung. Dort wurde auf anschauliche und sehr bewegende Weise dargestellt, warum Gliedmaßen amputiert werden und was das für das weitere Leben bedeutet.
Natürlich ziehen nicht nur Amputationen eine Behinderung nach sich. "Behinderung" ist ein Begriff, der für eine körperlichen oder auch geistige Einschränkung im alltäglichen Leben steht. Das reicht von chronischen, oft nicht auf den ersten Blick sichtbaren Einschränkungen bis hin zur völligen Hilfsbedürftigkeit des Einzelnen. Es ist außerdem ein Begriff, der mir schwer über die Lippen geht. Bei jedem Gebrauch habe ich das Gefühl, jemandem auf die Füße zu treten und mit dem Zeigefinger auf eine Schwachstelle zu zeigen.
Zurückhaltung gegenüber Menschen mit Behinderung?!
Viele sind Menschen mit Behinderung gegenüber zurückhaltend. Wahrscheinlich geschieht das auch aus Angst heraus, etwas falsch zu machen. Um diese Hemmung abzumildern, gibt es beispielsweise Informationsbroschüren und Leitfäden in allen Lebensbereichen – so auch an der LMU für Lehrende, damit sie wissen, was besonders bei Studenten mit einer Behinderung zu beachten ist. Eine Behinderung bedeutet, dass viele –für nicht-behinderte Menschen alltägliche– Tätigkeiten mehr Zeit, Vorbereitung und damit auch Energie in Anspruch nehmen. Laut Erhebungen des Studentenwerks aus dem Jahr 2011 fühlen sich etwa acht Prozent der deutschen Studenten aufgrund ihrer Behinderung im Studium eingeschränkt.
Jeder fünfte Student ist betroffen
Insgesamt ist etwa jeder fünfte Student einer deutschen Universität chronisch erkrankt oder lebt mit einer Behinderung - eine Zahl, die vielleicht für Verwunderung sorgt. Derart präsent ist das so manchem Studenten und auch Lehrenden nicht – viele Behinderungen oder Erkrankungen sieht man nicht auf den ersten Blick. Auch sind viele Betroffene bemüht, nicht aufzufallen oder eine Sonderrolle einzunehmen. Das ehrt sie, doch genau dadurch lässt sich manchmal nur schwer erkennen, wenn sich etwas verbessern ließe.
Damit sich die Studienbedingungen für Menschen mit Behinderung verbessern, stehen seitens der LMU sowohl für Lehrende als auch für Studierende Informationsmaterialien auf der Uni-Homepage zur Verfügung. Dort kann man sich über Ansprechpartner, Gebäudepläne mit behindertengerechten Zugängen und Ruheräumen, Rahmenbedingungen zum Studium mit Handicap, Hilfestellungen und Fördermöglichkeiten informieren (siehe unten).
Doch genügt das, um ein "normales" Studentenleben an der LMU zu führen? Um diese Frage zu beantworten, habe ich mich mit Xiao getroffen. Er studiert im fünften Semester Politikwissenschaften an der LMU und hat eine spinale Muskelatrophie Typ IIIa. Ich treffen ihn in der Eisdiele eines Münchner Einkaufszentrums, das für ihn zum Glück in der Nähe des Studentenwohnheims liegt. Die Elektrik seines Rollstuhls spinnt nämlich momentan und ermöglicht Xiao nur kurze Fahrten.
Interview mit Xiao
> Wie unterscheidet sich dein Studienalltag von dem deiner Kommilitonen?
Jeden Morgen kommt der Pflegedienst zu mir, der mir beim Fertigmachen für den Tag hilft. Danach werde ich von einem Fahrdienst zur Uni gebracht, wo mir ein Studienbegleiter zur Seite steht. Montags muss ich außerdem noch einmal ums Hauptgebäude fahren, um zu meinen Veranstaltungen zu gelangen, weil es dort, wo ich hin muss, keine Rampe gibt.
> Wie kamst du dazu, an der LMU zu studieren und warum hast du dich für diese Fächer entschieden?
Nachdem ich schon einen Teil meiner Schulzeit hier verbracht habe und München mir gefällt –hier kann man mobiler sein und es gibt mehr gut fahrbare Wege–, wollte ich auch zum Studium hier bleiben. VWL hat mir schon in der Schule Spaß gemacht, war mir dann im Studium etwas zu formal und theorielastig. Nach vier Semestern konnte ich dann zu Politikwissenschaften wechseln, studiere aber weiterhin VWL im Nebenfach.
> Hast du das Gefühl, an der LMU bezüglich deiner Behinderung ausreichend unterstützt zu werden?
Der Bezirk Oberbayern erleichtert Körperbehinderten die Aufnahme eines Studiums nicht gerade. Es dauert oftmals lange, bis ein Antrag auf Hochschulhilfe genehmigt wird und um die Kostenübernahme eines Fahrdienstes zur Uni muss selbst für Wintermonate heftig gekämpft werden.
Insgesamt fühle ich mich aber von der Uni und der Behindertenberatung gut unterstützt. Nur einige Räume, besonders in den alten Gebäuden, sind für mich schwer oder nicht erreichbar. Vor der Kurswahl kann ich deshalb mit einem Studienbegleiter der Behindertenberatung die entsprechenden Räume abgehen und anschauen, ob sie barrierefrei sind. Ich kann auch die Dozenten kontaktieren, wenn ich nicht zu einem Raum komme. Dann wird die Veranstaltung in einen anderen Raum verlegt.
> Denkst du, du benötigst für deinen Studienalltag mehr Zeit als deine Kommilitonen?
Ja, auf jeden Fall. Schon allein die zwei Stunden Pflege jeden Tag rauben viel Zeit. Da kommt man mir aber auch entgegen. Für zeitabhängige Leistungen bekomme ich 50% mehr Zeit. Überfordert fühle ich mich mit meinem Studienalltag nicht. Allerdings ist ein gutes Zeitmanagement für mich essentiell. Zusammengefasst klappt das Studium aber besser, als ich selbst erwartet hätte.
> Welche beruflichen Perspektiven siehst du für dich?
Ich kann mir gut vorstellen, an der Uni zu bleiben oder aber auch Parteiarbeit zu machen oder für Organisationen zu arbeiten, ich bin da für vieles offen.
> Bist du zufrieden mit deinem Leben?
Ja!
> Das kam aber schnell und überzeugend! Und was würdest du dir wünschen, wenn du etwas in deinem Leben verändern könntest?
(überlegt) Ich hätte mir vielleicht ein paar Stufen in der Schullaufbahn ersparen können. Ich habe immer den kleinsten Schritt genommen. Vielleicht hätte ich mehr wagen, mir mehr zutrauen sollen.
Tief beeindruckt und voller Respekt danke ich Xiao, dass er sich die Zeit genommen hat, uns Einblick in seinen Alltag als Student an der LMU zu gewähren.
Einmal mehr ist mir bewusst, dass das Einbeziehen von Menschen mit Behinderung in unserer modernen Gesellschaft –sei es im öffentlichen Leben, an der Uni oder in der Schule– nur gelingen kann, wenn möglichst viele Menschen erkennen, dass gelebte Inklusion unseren Alltag bereichert.
Weiterführende Links
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