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  • Melanie Poloczek
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  • 04.02.2020

Experimentelle Doktorarbeit: Einfach mal Versuche(n)

Viele Mediziner machen eine Doktorarbeit, doch der Start ins Forscherleben ist mit Fragen und Respekt verbunden: Was eine PCR ist, weiß jeder, wie man sie durchführt, weiß fast keiner. Melanie berichtet über ihre Beweggründe, Bewerbungsstrategie und den Alltag im Labor.

 

Keine zehn Pferde bringen mich dazu, später einmal freiwillig im Labor zu arbeiten – das hatte ich mir schon im Chemiepraktikum geschworen, als ich freitagabends unbeholfen vor Titrationsbüretten und Versuchsprotokollen stand. Das Biochemiepraktikum mit seinen Antestaten und misslungenen Versuchen hat mich in diesem Vorsatz nur bestätigt und zählte für mich zu den bitteren Pillen der Vorklinik. Knapp zwei Jahre sind seitdem vergangen, momentan gehe ich fast täglich im Labor ein und aus. Seit sechs Monaten bin ich Teil einer sogenannten Arbeitsgruppe und hantiere mit Zellkulturen, weil ich mich für eine experimentelle Doktorarbeit entschieden habe.  


Was hat mich zum Umdenken bewegt? Wie findet man die passende Doktorandenstelle? Und wie kommt man als Neuling im Labor zurecht, wenn man nicht mehr als die zwei Druckpunkte einer Eppendorf-Pipette kennt?


Frau Doktor muss nicht Doktor sein

Alles kann, nichts muss. Wer in Deutschland Arzt werden möchte, bekommt mit Abschluss des Studiums nicht automatisch den Doktortitel geschenkt. Das ist ein Irrglaube, der sich hartnäckig in den Köpfen der (vorwiegend älteren) Bevölkerung hält. Auch ich musste meiner Oma mehrmals erklären, dass die Doktorarbeit einen freiwilligen Aufwand zusätzlich zum Studium darstellt und warum ihr Hausarzt gar kein „Dr. med.“ auf sein Praxisschild graviert hat – natürlich bleibt er trotzdem der Herr Doktor.

Das ist bereits ein (wenn auch nicht der beste) Grund für viele Mediziner, eine Doktorarbeit anzufertigen: Sich Arzt und Doktor nennen zu dürfen, vielleicht mit dem Hintergedanken, dass sich einige Patienten tatsächlich lieber an „richtige“ Doktoren wenden. Das sind nicht unbedingt nur ältere Patienten; Für die junge Generation, die Google nach Ärzten in der Nähe fragt, könnte der Doktortitel ein Kriterium sein.

Fakt ist aber, dass aktuell und wohl auch in Zukunft kein Mediziner einen Doktortitel braucht, um auf dem Berufsmarkt erfolgreich zu sein. Wer eine universitäre Karriere anstrebt und die Spitze der Hierarchie erklimmen möchte (was auf die wenigsten Mediziner zutreffen dürfte), sollte sich hingegen Gedanken über eine Promotion machen. Eine Karriere an der Uniklinik geht ohnehin mit einem zweiten Standbein in der Wissenschaft einher. Aber wie kann man wissen, ob man für die Forschung gemacht ist, wenn man nie hineingeschnuppert hat?


If you never try, you’ll never know

Einer meiner guten Gründe, eine Doktorarbeit ins Studium einzuschieben, war das Ausprobieren: Wie soll ich wissen, ob mir eine Karriere in der Forschung tatsächlich missfällt, wenn ich nie für längere Zeit wissenschaftlich gearbeitet habe? Das Biochemiepraktikum aus der Vorklinik repräsentiert gewiss nicht den Laboralltag.

Nach dem Studium hätte ich mir vermutlich nicht die Zeit genommen, ein Forschungsjahr einzulegen, weil ich weiterhin vermutet hätte, dass mir Laborarbeit keine Freude bereitet, und weil nach dem langen Studium schlussendlich die Klinik ruft. Das ist übrigens ein guter Grund dafür, schon während des Studiums die Doktorarbeit anzufertigen; mit der Approbation ändern sich freie Zeit und Prioritäten.

Der Grund, Forschung auszuprobieren, war für mich von dem Wunsch begleitet, sich endlich einmal richtig in etwas vertiefen zu können. Medizin studieren bedeutet oft, an der Oberfläche zu kratzen, weil hundert Themen gelernt werden müssen, die man nicht alle im Detail begreifen kann, und wenn Details gelernt werden, dann nur, weil sie prüfungsrelevant sind. Sich also bewusst Zeit zu nehmen, um sich in ein Thema (das der Doktorarbeit) zu vertiefen, ist ein starker Motivator.

Zu guter Letzt wäre da noch das offene Geheimnis, dass der Dr. med. relativ einfach zu erlangen ist – zumindest im Vergleich zu anderen akademischen Graden. Die Medizin ist das einzige Fach, in dem während des Studiums promoviert werden kann (auch, wenn der Titel erst mit Abschluss des Studiums in Kraft tritt) und während andere Wissenschaftler mehrere Jahre in ihre Doktorarbeiten stecken müssen, kommen Mediziner mit geringerem Aufwand davon. Das heißt nicht, dass medizinische Doktorarbeiten weniger wert sein müssen (auch in ihnen steckt viel Arbeit und die Ergebnisse können wegweisend sein), aber der Weg ist bedeutend kürzer. Ich gebe offen zu, dass ich wahrscheinlich keine Vollzeit-Promotion begonnen hätte, die erst nach dem Studium beginnt und Jahre in Anspruch nehmen würde. Der Weg zum Facharzt ist noch lang genug.


Die Experimentelle Doktorarbeit

Es gibt grundsätzlich drei Arten medizinischer Doktorarbeiten: Die experimentelle Arbeit im Labor, die klinische Doktorarbeit rund um Patientendaten und Studien sowie die medizinhistorische Doktorarbeit. Forschung auszuprobieren war, wie oben erwähnt, einer meiner Gründe für eine experimentelle Doktorarbeit. Ich habe den Spieß auch umgedreht und mich gefragt: Was spricht gegen die beiden anderen Arten der Promotion?

Im Fall der klinischen Doktorarbeit trägt das Gegenargument genau einen Namen: Statistik. Eine klinische Studie ist mehr als das Erstellen und Verteilen von Fragebögen, die per Oberstufenmathematik ausgewertet werden. Ein Studienmodell muss Hand und Fuß haben, muss bestenfalls von einem Biometriker (also jemand, der Ahnung von Statistik hat) begleitet werden, muss Einflussfaktoren berücksichtigen und ist summa summarum etwas, von dem ich nicht viel Ahnung, sondern großen Respekt habe – zu großen Respekt, um eine Promotion in dem Bereich anzufangen.

Eine medizinhistorische Doktorarbeit hätte ich mir (als jemand, der literaturaffin ist) schon eher vorstellen können: Man wählt ein Thema aus dem Bereich Geschichte/Theorie/Ethik der Medizin, betreibt intensive Literaturrecherche (auch im Universitätsarchiv) und schreibt letztendlich eine Arbeit, die längenmäßig einem Buch gleicht. Das fordert viel Ausdauer und Schreibvermögen, lässt dem Autor allerdings viel Freiraum und Selbstständigkeit. Es gibt keine Patienten oder Laborversuche, die feste Termine beanspruchen oder sich entgegen der eigenen Erwartungen verhalten können.


Der richtige Zeitpunkt im Studium

Ich hatte mich also entschieden: Eine experimentelle Doktorarbeit sollte es sein. Bevor ich mich um eine Stelle bewerben konnte, stellte sich natürlich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt. Wann im Studium möchte ich dieses Projekt überhaupt angehen? Und bin ich bereit, mir ein Freisemester für dieses Vorhaben zu nehmen? Zum Thema Freisemester später mehr.

Die ersten ernsthaften Gedanken zur Doktorarbeit habe ich mir nach dem Physikum gemacht: Ich habe zunächst überlegt, ob und welche Form der Promotion ich machen möchte. Danach stellte sich die Frage nach dem Wann (vor allem in Verbindung mit dem Freisemester, weil dieser Entschluss circa ein Vierteljahr vor Semesterbeginn stehen sollte und ich für ein Stipendium auch Bewerbungsfristen einhalten musste). Ich habe mich schließlich entschieden, nach dem sechsten Semester – also nach einem Jahr Klinik – ein Freisemester einzulegen und danach mit Semester sieben weiterzumachen. Das scheint ein gängiger Zeitpunkt zu sein und auch für mich fühlte sich das richtig an: Nach dem sechsten Semester war die Luft irgendwie raus, die anfängliche Klinikmotivation ein wenig verpufft und ich hatte Lust, mir einmal Zeit für etwas anderes zu nehmen.


Die Sache mit dem Freisemester

Viele scheuen sich, ein Semester für die Doktorarbeit auszusetzen. Man fällt (wenn auch aus gutem Grund) aus der Regelstudienzeit, verlässt seine Semesterkohorte und befürchtet, womöglich für den Rest des Studiums auf sich alleingestellt zu sein, da man den Anschluss verliert. Heute, nach meinem Freisemester, weiß ich sicher, dass diese Sorgen unbegründet sind.

Den Kontakt zu Unifreunden verliert man nicht. Auf dem Campus läuft man sich häufig über den Weg, verabredet sich zum Mittagessen in der Mensa oder abends in der Stadt. Außerdem wird man nach dem Physikum festgestellt haben, dass mit der Zeit immer wieder neue Gesichter im eigenen Semester auftauchen und alte Bekannte verschwinden. Die meisten Medizinstudenten verlassen irgendwann ihr eigenes Semester (für Doktorarbeiten, Auslandsaufenthalte, Prüfungswiederholungen), am Ende des Studiums besteht eine Examenskohorte zum Großteil aus Leuten, die ursprünglich nicht in dieser Semestergruppe waren. Ich persönlich habe kein Problem damit, nach dem Freisemester einer neuen, mir fremden Klinikgruppe zugeteilt zu werden – die Erfahrung lehrt, dass die meisten Mediziner nette Menschen sind, und wer schließt nicht gerne neue Freundschaften?

Auch spielt das Thema Regelstudienzeit für mich, die dieses Studium direkt nach dem Abitur aufgenommen hat, keine große Rolle. Im Gegenteil, mir und anderen, die mit jungen Jahren ihren Studienplatz erhalten haben, jagt die „Torschlusspanik“ hinsichtlich des nahenden Abschlusses manchmal eine Heidenangst ein. Das Studium schreitet schnell voran, vielleicht schneller, als man sich der wartenden Verantwortung gewachsen fühlt. Die Vorstellung, mit Mitte zwanzig Ärztin zu sein, ist eben auch beängstigend. Was spricht also gegen ein zusätzliches Semester für Forschung, Ausland und Co in diesem ohnehin schon langen Studium?  

Was ebenfalls für ein Freisemester spricht, ist die Erfolgsquote der Doktorarbeiten. Viele Betreuer sagen, dass die besten Arbeiten oder gar die, die überhaupt vollendet werden, von Doktoranden im Freisemester kommen. Das ist nachvollziehbar: Wer die Promotion parallel zum normalen Studienverlauf anfertigt, kann der Doktorarbeit nicht seine alleinige Aufmerksamkeit widmen. Pflichtveranstaltungen und Klausuren müssen sich Zeit und Fokus mit der Laborarbeit teilen. Rückblickend wäre das zwar möglich, aber ein wahrer Kraft- und Organisationsakt gewesen. Gerade zu Beginn, wenn man Experimente noch nicht von A bis Z alleine durchführen kann, ist man auf die Hilfe der LTAs angewiesen – und die haben nun mal ihren Feierabend und stehen nicht abends nach dem letzten Seminar noch im Labor.

Eine Alternative zum Freisemester ist das Aufteilen eines Semesters auf zwei Semester, also die Belegung von nur 50% der Lehrveranstaltungen in je zwei Semestern (oder 30% und 70%, je nachdem). Dadurch verlängert sich das Studium zwar auch um ein Halbjahr, allerdings steht nach der Laborphase mehr Zeit für das Schreiben der Doktorarbeit zur Verfügung, da der Stundenplan nicht so gefüllt ist wie unmittelbar nach einem Freisemester.


Doktorarbeit finden: Bewerbung, Thema, Doktorvater

Der Entschluss, eine experimentelle Doktorarbeit im Freisemester zu machen, stand also fest. Nun galt es, eine Doktorandenstelle zu finden, bestenfalls in einem Fachbereich, der mich interessiert. Hier drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Wie bewerbe ich mich um eine Doktorarbeit, und bei wem? Wie früh sollte eine Bewerbung erfolgen? Nach welchen Kriterien sucht man eine Arbeitsgruppe aus? Muss ich mir selbst ein Thema ausdenken?

Es gibt eine Reihe Punkte, die man beachten sollte. In der Regel gibt es an den Universitäten Informationsveranstaltungen zur medizinischen Promotion (in Münster jeweils zu Semesterbeginn) und eine Sprechstunde für speziellere Fragen. Ich kann nur von meinem eigenen, individuellen Weg erzählen, da die Erfahrungen je nach Arbeitsgruppe (AG) sicherlich variieren:


Im Internet habe ich die Seiten der Institute/Kliniken aufgerufen, die mich interessieren, zum Beispiel Neurologie, Gynäkologie, Anatomie. Oft gelangt man nach wenigen Klicks auf die zugehörige Forschungsseite und findet dort den Verantwortlichen für das betreffende Labor/Studienbüro. Hier kann man sich bereits einen Überblick verschaffen, woran genau die AG forscht – in der Regel hat jedes Labor einen Schwerpunkt, und auch für die Bewerbung schadet es nicht, sich ein wenig über die Inhalte zu informieren.

Aller Fachneigungen zum Trotz solltet man vor der Bewerbung für sich klären, was methodisch in Frage kommt und was nicht. Wer keine Tierversuche durchführen möchte, sollte sich beispielsweise eine AG suchen, die nur an Zellen forscht. Das Fachgebiet selbst spielt in der Grundlagenforschung ohnehin eine untergeordnete Rolle, es kommt viel mehr auf die Art der Versuche an. Eine PCR bleibt eine PCR, egal, ob die genutzte DNA aus Nieren- oder Brustzellen stammt. Wer bestimmte Methoden durchführen möchte (z.B. Patch-Clamp-Technik in der Physiologie), sollte eine AG danach aussuchen. Hinweise darauf, welche Experimente in der AG regelmäßig durchgeführt werden, geben alte Doktorarbeiten: Auf den Internetseiten der Universitäten sind die Arbeiten ehemaliger Doktoranden einsehbar, werft einfach einen Blick in den Methodenteil.


An das Forschungslabor meiner Wahl habe ich schließlich eine kurze(!) Bewerbung im E-Mail-Fenster verfasst, in der ich erwähnt habe, wer ich bin und dass ich – aus dem und dem Grund – Interesse an einer experimentellen Doktorarbeit in genau dieser AG habe. Formhalber habe ich einen Lebenslauf mitgesendet und auf eine Antwort gewartet.

In meinem Fall vergingen zwei Wochen ohne Rückmeldung. So viel Zeit wollte ich dem Verantwortlichen lassen, bevor ich nachhake. Ich habe es dann telefonisch versucht, wurde prompt durchgestellt, habe mein Anliegen erneut vorgetragen und wurde zu einem Gespräch eingeladen (entweder ist meine E-Mail tatsächlich untergegangen, oder der Betreuer wollte herausfinden, ob ich ernsthaftes Interesse zeige).

Dieses erste Gespräch war nicht wirklich ein Bewerbungsgespräch. Mein zukünftiger Doktorvater wollte zwar wissen, wie und wieso ich auf die AG aufmerksam geworden bin, hat aber von Beginn an signalisiert, dass eine experimentelle Arbeit in jedem Fall möglich sei – vor allem, nachdem ich meinen gewünschten Arbeitszeitraum genannt hatte: Beginn in einem Dreivierteljahr, das war als Bewerbungszeitpunkt also früh genug. In der verbleibenden Zeit war ich noch vier- fünfmal im Labor, um Formalitäten zu klären: Dokumente mussten unterschrieben werden (Die Doktorandenvereinbarung für das Promotionsbüro, Anträge für ein Stipendium) und ein genaues Thema musste auch gefunden werden.


Der Titel der Doktorarbeit liegt nicht in euren Händen – zumindest nicht ganz. Ich durfte eine Präferenz nennen (ob ich denn lieber etwas zum Ovarialkarzinom oder zur Endometriose machen wolle), aber an was genau ihr forscht, legt der Doktorvater fest. Dieser kennt die aktuellen Veröffentlichungen und weiß zum Beispiel, welches Moleküle in welcher Erkrankung eine Rolle spielen könnte (Stichwort: Arbeitshypothese).


Betreuung ist das A und O

Mit der Bemühung um eine Doktorandenstelle geht die Suche nach einem geeigneten Doktorvater einher. Viele Doktorarbeiten scheitern an einem schlechten Betreuungsverhältnis, sei es, weil der Doktorvater für Rückfragen nicht erreichbar ist oder keinen konkreten Projektplan für seinen Doktoranden ausgearbeitet hat. Mit der Verteilung eines Themas ist es schließlich nicht getan: Es empfiehlt sich für jede Promotion, vor Beginn ein Arbeitsprogramm vom Doktorvater einzufordern. In diesem sollte grob drinstehen, welche Versuche für das Projekt vorgesehen sind und welcher Durchführungszeitraum realistisch ist. Denn wenn an Tag X der neue Doktorand im Labor steht, aber weder er, noch die Laborkollegen wissen, was eigentlich zu tun ist, gibt es bereits das erste große Problem.

Ein verlässlicher Betreuer sollte möglichst präsent sein (und nicht den Großteil seiner Arbeitszeit auf Kongressen verbringen, womöglich noch im Ausland), um vor allem theoretische Rückfragen beantworten zu können: Die Besprechung von Versuchsergebnissen und deren statistische Auswertung sind zwei gute Beispiele. Bei der Stellensuche kann man erfragen, ob die Arbeitsgruppe regelmäßig Laborbesprechungen durchführt (meist einmal wöchentlich), das ist ein guter Indikator.


Die LTA, dein Freund und Helfer

Gute Betreuung hängt aber nicht nur vom Doktorvater ab, denn der hält selten selbst die Pipetten in der Hand. Experimente durchführen, Puffer ansetzen oder wissen, was wo zu finden ist (kurz: den Laden bzw. das Labor am Laufen halten) ist Aufgabe der LTA. Sie ist in der Regel die Person, die euch in den ersten Wochen an die Hand nimmt. Sie erklärt und begleitet die ersten Experimente, kann die verschiedensten Rückfragen zur Methodik beantworten und ist die Lösung für das große Rätsel aller laborunerfahrenen Mediziner: Wer sagt mir, was genau ich im Labor zu tun habe? Woher weiß ich, wieviel von was ich wo hinein pipettieren soll? Wer zeigt mir, wie Forschung geht? Was eine PCR ist, weiß jeder. Wie man eine PCR durchführt, weiß nur, wer regelmäßig eine macht. In der Laborphase meiner Doktorarbeit war die LTA wichtiger als der Doktorvater, sie hat mir mehr als einmal aus der Klemme geholfen.

Auch die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe spielen für die Doktorarbeit eine große Rolle. Forscher sind in der Regel sehr bemüht, sich gegenseitig zu helfen: Person A hat ein Versuchsprotokoll optimiert, Person B kennt jemanden, der jemanden kennt und Person C ist Samstag ohnehin im Labor und kann den simplen Mediumswechsel übernehmen.  

Mit etwas Glück wird die eigene Arbeitsgruppe zur zweiten Familie. Ich werde Geburtstagsfeiern, Besuche auf Weihnachtsmarkt und Kirmes, Workshops und Essen mit dem Chefarzt in Erinnerung behalten.


Beginn der Laborphase

An einem Montagmorgen im August war es soweit, mein Laboralltag konnte beginnen. Nach Sicherheitseinweisung und Arbeitsplatzzuweisung musste ich direkt ins kalte Wasser springen. Einer argentinischen Gastforscherin sah ich beim Zellenumsetzen über die Schulter, um das direkt danach an meiner ersten eigenen Zellkultur durchzuführen – im nächsten halben Jahr würde ich mich um Zellen kümmern müssen wie eine Mutter um ihre Kinder. Zellen brauchen regelmäßig neues Nährmedium, müssen vor Kontamination bewahrt werden und was Zellen vielleicht von Kindern unterscheidet, ist, dass man seine Kinder nicht den Abfluss runterspült, wenn es zu viele werden.


Ein großes Thema zu Arbeitsbeginn war Überforderung, doch die ist ganz normal. Am Anfang wusste und konnte ich nichts, bis das Fragezeichen über meinem Kopf in den kommenden Wochen nach und nach verblasst ist. Als Neuling hat man die einfachsten Dinge noch nicht verinnerlicht, während die ersten kniffligen Versuche nicht lange auf sich warten lassen. In den ersten Tagen bin ich gar nicht hinterhergekommen, alle Mengenangaben und Versuchsschritte in mein Notizheft zu kritzeln (um sie später ausführlich in das Laborbuch zu schreiben), weil schon die nächsten Versuchsschritte fällig waren. Eine Laborphase ist wie Autofahren – zu Beginn würgt man den Wagen ständig ab, später denkt man nicht mehr aktiv daran, die Kupplung treten zu müssen. Einfache Versuchsschritte automatisieren sich allmählich: Wie man Zellen zählt muss irgendwann nicht mehr im Laborbuch nachgelesen werden, nur für komplizierte Versuche braucht man später noch ein Protokoll (und die komplizierten Versuche sind dann gar nicht mehr so kompliziert, weil sich die üblichen Abläufe verselbstständig haben und die volle Aufmerksamkeit den großen Experimenten gilt).


Laboralltag: Tagesablauf

Mit der Zeit wird man sicherer, schneller und selbstständiger in dem, was man tut. Wie viele Stunden an wie vielen Tagen ich im Labor verbracht habe, hat in meinem Freisemester stark variiert.

Zu Beginn war ich häufig und lange im Labor, etwa von Montag bis Freitag von neun bis siebzehn Uhr (Funfact: Morgens auf dem Campus sind mir regelmäßig Kommilitonen begegnet, die bereits auf dem Weg zur zweiten Vorlesung waren, während ich erst ins Labor marschiert bin – Laboralltag ist durchaus etwas für Spätaufsteher). Das waren einerseits die Arbeitszeiten der LTA, ohne die am Anfang nicht viel möglich ist. Weiterhin habe ich in den ersten Wochen viele Versuchsschritte durchgeführt, die Zeit in Anspruch nehmen oder lange Inkubationszeiten haben; Es dauert viele Tage, bis man den Weg von Zellen zu Western-Blot-Banden zurückgelegt hat. Die meisten Experimente führt man mindestens dreimal durch, damit man sie statistisch auswerten kann. Hinzu kommt, dass ich in den ersten Wochen nicht nur langsamer gearbeitet habe, sondern auch sehr ausführliche Protokolle ins Laborbuch geschrieben habe: Versuche sollten mindestens einmal kleinkariert festgehalten werden, was später dem Methodenteil der Doktorarbeit zugutekommt.


Die Lernkurve ist steil und die Überforderung ebbt ab. Weitere Versuche kann man mit der Zeit eigenständig durchführen und auch eigenständig planen, meist bin ich erst am späten Vormittag ins Labor gegangen und nach ein paar Stunden wieder verschwunden. Es gab auch Versuche, für die ich abends oder am Wochenende noch einmal wiederkommen musste, weil zum Beispiel in regelmäßigen Zeitabständen ein Foto gemacht werden musste. Diese Tage lassen sich an drei Händen abzählen und waren für mich kein Problem, weil ich in Campusnähe wohne und per Chipkarte jederzeit ins Labor komme. Es hat sogar einen gewissen Charme, ganz alleine im Labor zu sein – die Musikwahl trifft man ganz allein.


Nebst Versuchsdurchführung und Protokollierung fallen in der Laborphase Ergebnisauswertung und Literaturrecherche an. Ein Dozent sagte mal, dass ein Tag in der Bibliothek eine Woche im Labor erspart, ganz Unrecht hat er nicht: Vor allem zu Beginn sollte man sich in die Materie einlesen (Paper für den Forschungsinhalt, alte Doktorarbeiten für die Methodik). Das ist notwendig, um den Zusammenhang zwischen Experiment und Arbeitshypothese zu verstehen, ist Vorarbeit für die Schreibphase und spätestens fällig, wenn man beim nächsten Lab Meeting selbst derjenige ist, der seine Forschung präsentieren muss.  

Spätestens nach Abschluss einer Versuchsreihe, also dreimaliger Wiederholung zum Beispiel, ist die statistische Analyse fällig, dabei sollte euch der Doktorvater zur Seite stehen. Verglichen mit einer klinischen Doktorarbeit ist die Anwendung von Statistik in experimentellen Arbeiten allerdings keine große Hürde. Bei der Wahl der richtigen Tests kann die Arbeitsgruppe helfen. Wem Excel für die Analyse nicht reicht (weil mehr als ein t-Test fällig ist), kann zum Beispiel auf R (kostenlos), SPSS (über die Uni meist kostenlos, aber für den Laien kompliziert) oder GraphPad (kostenpflichtig, aber speziell für Biomediziner) zurückgreifen.

Aber auch ohne anstehende Präsentation ist es ratsam, peu-à-peu Diagramme zu erstellen oder seine Blots rechtzeitig zu beschriften. Das ist der Teil der Nachbereitung, der am meisten Zeit beansprucht (zumindest, wenn man perfektionistischer Excel-Laie ist). Zwar gibt es Software, die Ergebnisauswertung, Statistik und grafische Darstellung vereint (z.B. GraphPad), die kostet aber eine Stange Geld und wer ein wenig Zeit und Mühe investiert, kann auch mit herkömmlichen Programmen seriöse Grafiken erstellen. Als Durchschnittswert für das Nacharbeiten in der Laborphase würde ich zwei bis drei Stunden pro Woche ansetzen.


Unterm Strich war der Laboralltag für mich angenehmer als erwartet. Die Vermutung, dass Vorklinik-Praktika kein echtes Bild von Forschung vermitteln, ist richtig. Der Gang ins Labor ist nicht mit Stress behaftet, weil keine Antestate zu bestehen sind; es müssen keine chemieunterricht-ähnlichen Protokolle geschrieben werden, weil man ein Laborbuch anders führt; man weiß, was zu tun ist, weil es in der Forschung geregelte Abläufe und hilfsbereite Kollegen gibt; vor allem weiß man, was man warum tut – für eine Doktorarbeit nimmt man Dinge nicht einfach so hin, man weiß Bescheid oder hinterfragt sie.


Die Schreibphase

Die eigentliche Doktorarbeit, die schlussendlich geschrieben, eingereicht, geprüft, bewertet und verteidigt werden muss, ist ein großes Dokument, in dem die Forschung der vergangenen Monate erzählt wird. Sie kann über hundert Seiten fassen, wobei die Seitenzahl nicht entscheidend ist, sondern das Verhältnis der einzelnen Bestandteile – das wären Einleitung, Fragestellung, Methodenteil, Ergebnisse und deren Diskussion.


Ein Großteil der Doktorarbeit wird „hinterher“ geschrieben – also nach der Laborphase. Die Arbeit muss am Ende eine zusammenhängende Geschichte ergeben und solange die Forschung nicht beendet ist, können weder Ergebnis- noch Diskussionsteil zusammenhängend geschrieben werden (dies sind die Kernstücke der Arbeit; für Einleitung und Methodenteil interessieren sich die wenigsten Leser – zunächst will jeder wissen, was herausgefunden wurde). Selbst die Einleitung, die man instinktiv zuerst verfassen möchte, kann zu Beginn nicht vollständig geschrieben werden, weil Bezüge zum Ergebnisteil erkennbar sein sollten. So ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Doktoranden das große Schreiben aufs Forschungsende vertagen. Wer Stunden im Labor steht hat ohnehin wenig Lust, sich hinterher noch stundenlang schriftlich mit der Arbeit auseinanderzusetzen. Außerdem gibt es beim Schreiben keinen Zeitdruck: Es gibt keine Deadline, keinen Zeitpunkt, an dem die Arbeit im Promotionsbüro eingereicht werden muss. Im Gegenteil, es muss (zumindest gemäß der Münsteraner Promotionsordnung) mindestens ein Jahr zwischen Promotionsanmeldung und Promotionsprüfung vergehen. Deshalb ist es wichtig, seine Promotion pünktlich vor Forschungsbeginn anzumelden.  


Zur Schreibphase selbst kann ich nicht viel sagen, sie liegt noch vor mir. Es gibt allerdings ein paar Bausteine der Doktorarbeit, die schon während der Laborphase verfasst und vorbereitet werden können, dazu zählt vor allem der Methodenteil.


Wer täglich Laborbuch führt, schreibt Versuchsschritte nicht nur auf, sondern hat sie zu dem Zeitpunkt auch verstanden (ein halbes Jahr später könnte das schon anders aussehen). Es bietet sich also an, parallel zum Experimentieren den Methodenteil der Doktorarbeit zu verfassen: Hier muss kleinschrittig, möglichst in ganzen Sätzen, dargelegt werden, wie genau Versuche durchgeführt wurden – inklusive Mengen- und Herstellerangaben. Der Methodenteil sollte so geschrieben sein, dass Fremde die durchgeführten Versuche nach Lesen der Arbeit eins zu eins wiederholen könnten.

Wann immer ich ein neues Experiment gestartet habe, habe ich innerhalb der nächsten Tage den Versuch in einem Word-Dokument ausformuliert. Das lässt sich gut in den Laboralltag integrieren, wenn man Inkubationszeiten zum Schreiben nutzt. Außerdem ist das Ausformulieren jedes Versuches eine einmalige Angelegenheit: In der Doktorarbeit muss eine PCR nur einmal erläutert werden, ins Laborbuch hingegen notiert ihr sie nach jedem Durchführen.

Die Platzierung von Tabellen (für Volumenangaben oder Materialauflistung) kann den Methodenteil ein wenig auflockern. Für die mühsamen, aber verpflichtenden Materialangaben habe ich ein Excel-Dokument angelegt und für jedes Experiment eine Mappe eröffnet. In den Mappen gab es je drei Spalten: Materialname – Hersteller – Sitz des Herstellers (zum Beispiel: BioPhotometer 6131 – Eppendorf – Hamburg, Deutschland). Dort habe ich regelmäßig die verwendeten Materialien aufgelistet, um nicht am Ende des Freisemesters das halbe Labor auf der Suche nach Reagenzien, die womöglich schon aufgebraucht sind, durchsuchen zu müssen. Vorsorge ist besser als Nachsorge!


Fazit

Mit der Wahl einer experimentellen Doktorarbeit bin ich nach wie vor zufrieden. Ich weiß, dass es je nach Arbeitsgruppe und „Forschungserfolg“ individuell große Unterschiede hinsichtlich der Erfahrungen gibt: Einige Doktoranden haben nichts zu bemängeln, werden optimal betreut und die Versuche laufen nach Plan, andere müssen ihrem Doktorvater hinterherlaufen oder haben mit unbrauchbaren Ergebnissen zu kämpfen; einige sind so unzufrieden, dass sie ihre Arbeit sogar abbrechen. Letztendlich kommt es vor allem darauf an, eine zuverlässige Arbeitsgruppe zu finden, denn aller Selbstständigkeit zum Trotz ist ein gutes Betreuungsverhältnis unverzichtbar. Auch ist eine Doktorarbeit kein Muss: Wer keine Lust auf Labor und Studien hat und für  sich selbst keinen Nutzen in diesem zusätzlichen Aufwand sieht, sollte sich zu nichts drängen lassen – ein Mediziner muss nicht Doktor sein, und ein Doktortitel macht noch lange keinen guten Mediziner.

Hier geht's zum zweiten Teil: Medizinische Doktorarbeit: Tipps für die Schreibphase

 

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