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- Julia Hadala
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- 28.02.2024
Das Dilemma mit der Psychiatrie
Julia war während ihres Pjs in der Notaufnahme und hat vom Herzinfarkt bis zur Lungenembolie alles gesehen. Was jedoch auch häufig vertreten war: psychische Erkrankungen. Doch warum werden diese so oft stigmatisiert?
Im letzten November begann es: das PJ. Eines der wohl wichtigsten Kapitel des Medizinstudiums – und zugleich eines der letzten. Während andere gerade erst den Klinikteil beginnen oder sich auf das Physikum vorbereiten, gehe ich dem Ende meines Studiums entgegen. 6 Jahre Studium, um dann zu hören „aber Psychiater? Das sind doch keine richtigen Ärzte“.
In den letzten Wochen durfte ich viele Erfahrungen in der Notaufnahme sammeln und unzählige Patienten betreuen. Von netten Omas bis grantige Teenager, von Lungenembolie bis Appendizitis war alles vertreten. Was jedoch auch häufig vertreten war: Panikattacken, depressive Episoden, Suizidversuche. Und auch hier war es ähnlich: von jung bis alt wurden verschiedenste Menschen aus den verschiedensten Lebensabschnitten und den verschiedensten Berufsgruppen in der Notaufnahme vorstellig. So war der Verdacht einer Lungenembolie gelegentlich dann doch der Hinweis auf eine rezidivierende Panikattacke und die Bauchschmerzen Ausdruck von Nervosität vor einer kommenden Prüfung oder einer beruflichen Herausforderung – und die Therapie keine Tablette, sondern ein paar einfühlsame Worte und ein offenes Ohr.
Dass die Psychiatrie in der Gesellschaft keinen wirklich guten Stellenwert hat, war mir schon lange bewusst; und dass psychisch erkrankte Menschen häufig stigmatisiert werden, ist leider kein Vorurteil, sondern eine reine Tatsache, mit der sie täglich im Job oder in der Familie konfrontiert werden. Verständnis ist häufig eine Frage des Sichtbaren: dass jemand eingeschränkt ist, wenn er sich das Bein gebrochen hat, ist selbstverständlich - dass jemand eingeschränkt ist, wenn er eine Depression hat, eher weniger.
Jemand, der eine depressive Episode erleidet, gilt in der Gesellschaft häufig pauschal als „psychisch labil“ und das, obwohl in Deutschland jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von mindestens einer psychischen Erkrankung betroffen sind. Diese Stigmata erklären jedoch auch die nächste Statistik: Pro Jahr nehmen nur ca. 18,9 % dieser Menschen überhaupt Kontakt zu Leistungsanbietern auf, um ihre Erkrankung zu behandeln (DGPPN). Die Gründe mögen vielfältig sein: fehlende Therapieplätze, Scham, berufliche Schwierigkeiten, keine oder eine erschwerte Verbeamtung und Berufsunfähigkeit oder einfach der Angst, dem gesellschaftlichen Druck nicht nachgeben zu können. Im PJ wurde manchmal bei Patientenübergaben die psychische Erkrankung zuerst genannt, als wäre es wichtiger darauf hinzuweisen, dass die Patientin neben ihrem Herzinfarkt auch eine bipolare Persönlichkeitsstörung hat – oder dass der Patient mit einer Synkope nebenbei auch Borderline hat. Häufig war das medizinisch überhaupt nicht erwähnenswert – gesellschaftlich wurde aber dazu Stellung genommen, als würde die psychische Erkrankung den Patienten definieren und als müsste man diese Patienten von anderen Patienten mit lediglich somatischen Erkrankungen abgrenzen und anders behandeln. So wurde teilweise von Ärzten unsensibel abgefragt „Schon mal daran gedacht sich das Leben zu nehmen?“ um im Arztbrief ein paar Minuten später dokumentieren zu können, dass kein Hinweis auf eine akute Suizidalität vorliegt. Als würde dieses kurze Gespräch wirklich ausreichen, dass sich ein Patient dem Arzt gegenüber öffnet und sich von seiner verletzlichsten Seite zeigt, wenn gerade doch Ärzte wissen sollten, wie schwer es ist ein Problem zuzugeben, anstelle es zu bestreiten.
Und die Stigmatisierung hört an diesem Punkt nicht auf. Gibt der Patient wider Erwarten doch zu, schon einmal den ein oder anderen Gedanken gehegt zu haben, muss ein psychiatrisches Konsil her. Doch was ist eigentlich ein Psychiater? Und wo ist der Unterschied zu einem Psychologen? Und sind Psychiater überhaupt richtige Ärzte?
Vorurteile, die nicht nur in der Allgemeinbevölkerung vertreten ist – nein, gerade von ärztlichen Kollegen aus anderen Fachbereichen wird dann der Fachbereich der Psychiatrie gerne einmal belächelt und gesagt, dass Psychiatrie ja wenig mit der richtigen Medizin zu tun hat, als wäre es abwegig einen Menschen unter anderem mit Gesprächen diagnostizieren oder behandeln zu können.
Der Arzttermin bei einem Psychiater sollte in der Gesellschaft genauso akzeptiert werden, wie der Termin bei einem Internisten oder Chirurgen. Wir sind sowohl in der allgemeinen als auch in der medizinischen Fachgesellschaft noch meilenweit davon entfernt. Und dabei ist der Bedarf so hoch wie noch nie: Die Zahl der psychisch Kranken steigt seit Jahren, auch bei Ärzten. Nach einer Studie der Harvard University haben fast 30 % der jungen Mediziner weltweit mindestens depressive Symptome und dem Ärzteblatt zufolge zeigten im Jahr 2021 mehr als 50 % der Ärztinnen und Ärzte Burnout-Symptome. Das Dilemma dieser Zahlen?
Gerade Ärzte sind die schlechtesten Patienten, wenn es darum geht, seine eigene Hilfsbedürftigkeit einzugestehen und Unterstützung anzunehmen.
Wenn also nicht einmal die Psychiatrie in der Medizin entstigmatisiert und als gleichwertig zu anderen Fachbereichen wahrgenommen werden kann, wie soll es dann dein Nachbar tun?