• Bericht
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  • Julia Hadala
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  • 03.03.2020

Physikum - das Mündliche

Das mündliche Physikum ist für viele Studies ein Angstgegner. Julia hat es hinter sich gebracht und erzählt schonungslos, wie anstrengend die Zeit war.

 

Spricht man mit Studierenden aus den klinischen Semestern, sagen die meisten, das mündliche Physikum sei eine Prüfung wie jede andere auch. Diese Aussage ist für mich der Ansporn für diesen Artikel, denn ich muss leider sagen: Nein, das mündliche Physikum ist nicht wie jede andere Prüfung auch und nein, ihr seid weder schwach noch „unpassend“ für das Studium, wenn ihr genau so fühlt, wie ich es vor meiner mündlichen Prüfung tat. Habe ich in diesem Jahr irgendetwas anderes gemacht, außer fast jeden einzelnen Abend vor dem Schreibtisch zu hocken? Hand aufs Herz - Nein.

Ich habe mich zwischen Biochemie, Physiologie und Anatomiebüchern verkrochen und nichts außer diesem einem Datum gesehen, als wäre das meine Henkerszeit, als wäre der 25.02.2020 ein Tag, an dem alles endet und es kein Danach gibt. Während mir andere von Plänen für das Jahr erzählten, saß ich da und dachte nur daran, wie viele Themen ich noch nicht kannte und wie viele Tage mir dafür noch blieben. Und so saß ich in der Bibliothek oder sprach Lernthemen mit Kommilitonen durch, bis ich wieder in Panik verfiel, weil XY etwas besser erklären konnte oder weil ich von Thema YX noch nie was gehört hatte. Meine Konsequenz daraus? So wenig wie möglich mit Medizinern über Medizin reden; Isolation ist meistens nicht der Schlüssel zum Erfolg, manchmal ist es aber auch genau das, was man braucht. Kommunikation über Medizinthemen erfolgten mit der Lerngruppe auf Whatsapp mit einer Handvoll der engsten Freunde. Es war beruhigend, dass bei manchen Themen jeder planlos war - weil es einfach so ist.

Anderthalb Wochen vor der mündlichen Prüfung nahm sich meine Mutter Urlaub und hielt mir das Händchen oder um der Wahrheit treu zu bleiben: eher meine Nerven zusammen. Ich redete viel: über Biochemie, Physio, Anatomie - und darüber, dass es mir verdammt gut tut, ein liebes Herz meiner Familie neben mir zu haben. Schäme ich mich davor zu sagen, dass ich Unterstützung brauchte? Nein, absolut nicht, denn in schweren Zeiten gibt es nichts Schöneres als jemanden zu haben, der einen aus purem Herzen unterstützt. An dieser Stelle also den größten Dank an meine wundervollen Eltern, die mir abends und morgens gesagt haben, dass sie an mich glauben und 24/7 für mich da waren. Vielleicht hätte ich es sogar irgendwie ohne ihre Unterstützung geschafft, aber ich musste es nicht. Und zugegeben, ich wäre nicht einmal ansatzweise in der jetzigen Verfassung diese Zeilen zu schreiben oder wieder mit einem grinsenden Lächeln und einer ausgeruhten Seele aufzuwachen.

Doch wie war es dann am 24.02? Am Abend drehte ich komplett durch, zig Nachrichten von Freunden, die entweder bestanden hatten oder nicht, Nachrichten davon, dass in jeder Gruppe mindestens einer nicht mal auftauchte, von Leuten, die psychisch so fertig waren, dass sie über ein Attest nachdachten - und ich, mit dem Handy in der Hand und dem Gefühl: Ich bin absolut nicht gut vorbereitet. Es folgte eine verdammt kurze Nacht, um 5 aufgestanden, damit ich für die Prüfung um 7:30 wach werde. Konnte ich den Großteil der Hormone malen? Nein. Fielen mir auf Knopfdruck alle infra- und suprahyalen Muskeln mit Ansatz, Ursprung und Innervation ein? Was für eine Frage, natürlich nicht.

Und dann wurden ich und die anderen meiner Prüfungsgruppe um 7:30 reingerufen. Ich bestätigte, dass ich außer einer übermäßig großen Portion an Nervosität und Angst, gesundheitlich topfit (oder so topfit, wie man nach 2 Monaten non stop Lernen sein kann) war und Runde Nr.1 ging mit Biochemie los. Diagnose hypotone Hyperhydratation gestellt, Krankheitsbild erklärt, Risiken benannt und Therapie erläutert. Patient? Wäre bei meiner Behandlung wohl verstorben, da ich zuerst Diuretika und dann Elektrolyte gegeben hätte - ups andersrum, Lektion gelernt. Dann Runde 2: Anatomie in Crashzeit; innerhalb von 10 Minuten einmal Wirbelgelenk, Makro Leber, 2 Histopräparate und Liquorabfluss erklären. Runde 3, schon unfassbar müde, Physio mit Gleichgewicht begonnen, beim Frank Starling Mechanismus weitergemacht und mit dem SEP beendet. Und dann war es auch schon 12 Uhr und wir wurden herausgebeten. Habe ich die Zeit gespürt? Ja, denn dafür habe ich leider zu oft auf die Uhr geschaut und schon nervös auf die nächsten Runden gewartet. Und dann war es soweit „Bestanden“; Hände wurden geschüttelt, ein paar motivierende Anekdoten für die Klinik erbracht und wir wurden entlassen.

Nach anfänglichen Lachattacken und Freudestränen fiel mir dann auf, wie unfassbar müde mich diese Zeit eigentlich gemacht hat. Wie ich an den nächsten Tagen, trotz 12h schlaf kaum aus dem Bett wollte und wie extrem ich es verlernt hatte, mich zu entspannen. Aber auch wie sehr mich das Physikum verändert hat. Wie sehr es Menschen verändert, etwas zu bewältigen, wovon sie nur im negativen Sinne träumen konnten. Wie unfassbar glücklich ich danach war, es geschafft zu haben - und wie unfassbar wichtig es mir ist, anderen zu sagen:
Keiner fühlt sich perfekt vorbereitet. Jeder macht sich unfassbar fertig, nur zeigen es mancheund manche eben nicht. Trotzdem schaffen es die meisten Studis irgendwann. Und es gibt Leute, die in dem Moment, in dem ihr nicht an euch selbst glauben könnt, es für euch mit doppelter Menge tun.
Und damit, an alle Physikumskandidaten, die die mündliche Prüfung noch vor sich haben: den größten Erfolg, die stärksten Nerven, eine liebe Unterstützung an eurer Seite und einen Funken Glauben an euch selbst, denn meistens reicht dieser Funken aus, um ein Feuer zu entfachen.

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