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  • Julia Hadala
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  • 19.11.2021

Zweifel, Sorgen und alles, was zum Medizinstudium dazugehört

Zweifel gehören zum Medizinstudium einfach dazu. Jedoch spricht kaum jemand darüber. Julia erzählt, woran sie oft zweifelt und wie sie damit umgeht.

 

Ich habe Zweifel daran, nach fast zwei Jahren Online-Lehre gut auf die Klinik vorbereitet zu sein und Zweifel daran, die anstehenden Prüfungen zu schaffen. Das Physikum habe ich bestanden – und doch plagen mich weiterhin die Gedanken, ob ich gut genug fürs Studium und den Arztberuf bin.  

Nach dem ersten Online-Jahr dachte ich, dass wir bald alle geimpft sein werden und dann endlich wieder in die Präsenzlehre starten können. Vor Beginn des 2. klinischen Studienjahres kamen dann Hoffnungen auf, Kurse fanden in Präsenz statt, Seminare zum größten Teil auch. Immerhin kann ich jetzt selbst entscheiden, ob ich die Vorlesungen in Präsenz besuche und an Seminaren vor Ort teilnehmen möchte. Eigentlich also ein Weg in die richtige Richtung - und das ist es auch. Aber als ich damals dachte, dass die Zweifel nur wegen der Online-Lehre aufkamen, wurde ich in diesem Semester wieder überrascht.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich in einem Radiologieseminar ein CT vom Gehirn sah und nun die anatomischen Strukturen benennen sollte, die ich noch vor zwei Jahren intensiv durchgekaut habe und die mir im Gedächtnis sein sollten. Wo sie nun hin sind? Ich weiß es nicht. Und in diesem Moment machte sich bei mir Angst breit. Angst, die letzten Semester nicht richtig studiert zu haben. Als hätte ich zwar immer für Prüfungen gelernt, aber dabei vergessen, dass ich nach diesem Studium das Gelernte im Berufsleben anwenden soll. Und es fiel mir noch schwerer darüber zu reden, bis ich meine Gedanken mit einem wunderbaren Menschen geteilt habe, der bei meinen Sätzen anfing zu lachen und sagte „Ich fühle mich manchmal wie ein Schwindler“.
Tatsache ist, dass fast jeder denkt, nicht gut genug zu sein und dass es vor allem im Medizinstudium nicht wirklich viel Lob gibt, dass die alte Schule mit „keine Kritik ist Lob genug“ weiterhin Standard ist und dass mentale Gesundheit oder Zweifel wenig Platz in der Öffentlichkeit haben.

In meiner letzten Famulatur hatte ich ein anderes Erlebnis. Neben der Tatsache, dass ich dort eine wunderbare Freundin fand, die ebenfalls mit mir dort Famulatur gemacht hat, habe ich einen Oberarzt kennengelernt, der uns an jedem Tag zeigen wollte, was wir eigentlich bereits können. In jedem Tutorium ließ er uns ausreden und lobte uns anschließend. Ich redete über Sorgen, Zweifel, Gedanken und Ängste über das PJ in zwei Jahren. Und anstatt es zu belächeln oder mir zu sagen, dass ich dann wohl nicht für das Studium gemacht bin, bekam ich die Antwort, dass es vielen so geht, es aber wenige aussprechen und dass die meisten Ärzte aus Routine wissen, was sie machen müssen und was nicht.

Und während andere sich auf Famulaturen freuen, haben andere Sorgen, nicht das zu zeigen, was sie können - oder das zu zeigen, was sie nicht können.

Dasselbe Gefühl hatte ich auch in meiner Doktorarbeit. Zu Anfang war ich voller Optimismus und Enthusiasmus und dann kamen Phasen, an denen ich kräftezerrend weitergemacht habe. Währenddessen habe ich so viele Studierende gesehen, die mir bewusst nur ihre eine Seite gezeigt haben: voller Erfolge und fröhlicher Momente. Ein befreundeter Medizinstudent hat mir dann in einer diesen Phasen eine kleine Anekdote erzählt, von der Kommilitonin, die weinend auf der Parkbank saß, weil sie dachte, das alles in sich zusammenfällt und sie es nie schafft. Und sie es trotzdem geschafft hat.

Zweifel sind keine schönen Gefühle, aber sie sollten genug Raum haben, um sich mit ihnen befassen zu dürfen. Vielleicht gibt es die perfekten Medizinstudierenden, die nie an sich zweifeln und jede Prüfung mit Bravour bestehen und jede Doktorarbeit im Schlaf schreiben – nur kenne ich tatsächlich keinen davon.
Selbst bei Menschen, bei denen ich genau das dachte, stellte ich später fest, dass sie es mir am Anfang nur nicht gesagt haben. Ängste, Sorgen und Misserfolge – sie gehören zum Studium einfach dazu.
Genauso wie sie zum Leben dazugehören.
Genauso, wie jeder diesen einen Ort haben sollte, an dem er Tränen und Zweifel zeigen kann, bis er sich daran erinnert, was er schon alles geschafft hat –und noch so vieles schaffen wird.
 

 

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