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  • Romana Mikes
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  • 13.05.2005

Der Präparierkurs - eine ethische Ausnahmesituation

Seit zwei Wochen ist es auch für mich soweit - ich verbringe drei Nachmittage die Woche im Rahmen des ersten Teils unseres Präparierkurses im Präpariersaal. Die Eindrücke, die ich bisher in diesem Kurs gewinnen konnte, sind eindrucksvoll. Zum ersten Mal wird deutlich, dass gerade im Fach Anatomie neben dem Wissen auch das Handeln im Mittelpunkt steht.

Der erste Kontakt mit einem toten Menschen

Durch die Tätigkeit des Sezierens eignet man sich Wissen praktisch an, ganz anders als man es gewöhnt ist, nämlich aus Büchern. Erstmals bekommt man einen "Einblick" in den menschlichen Körper. Ein kleiner Teil der "Faszination Mensch" wird aufgeklärt und das "Begreifen" bekommt plötzlich eine viel intensivere Bedeutung. Doch für viele bedeutet der Sezierkurs auch den ersten bewussten Kontakt mit einem Leichnam. Auch ich hatte bis zu diesem Tag noch keinen Leichnam gesehen und war unsicher im Umgang mit dem vor mir liegenden, konservierten Körper. Aus diesem Grund habe ich darüber nachgedacht, ob man an den Universitäten überhaupt genügend gut auf den (ersten) Kontakt mit Leichen vorbereitet wird, ob das nötig ist und welche ethischen Fragestellungen sich in diesem Bereich auftun können.

Langsam an den Tag x herangeführt werden

Der Präparationskurs gehört zum Medizinstudium einfach dazu, dennoch haben viele Studenten Hemmungen im Umgang mit den Präparaten. An einem toten Menschen Muskelursprünge, Leitungsbahnen und Organsysteme zu studieren ist sicherlich eine absolute Ausnahmesituation, mit der jeder anders (gut) umgehen kann. Daher ist es meiner Meinung nach hilfreich, ja sogar erforderlich langsam auf den Tag X vorbereitete zu werden. Leider fehlt es dazu oft an Zeit. Glücklicherweise haben sich unsere Anatomieprofessoren ausreichend Zeit genommen, um uns langsam an den Umgang mit Präparaten zu gewöhnen. Stufenweise sind wir in unseren Übungen dem "echten" Präparat näher gekommen. Zuerst lernten wir Knochenpunkte, Bänder und Muskeln von Abbildungen, dann an Knochen- und Muskelmodellen und schließlich im Kurs an Leichen kennen.

Einen kleinen "Vorgeschmack" auf den ersten Teil unseres Präparierkurses bekamen wir bereits vor einigen Wochen, als wir im Rahmen der Übungen, einen Abstecher in den Präpariersaal machten. Dort wurden uns an ausgewählten Präparaten, die in den Übungen eben gelernten Bänder gezeigt. Auch wenn ich selbst nicht aktiv an den Präparaten arbeiten durfte, war ich davon fasziniert. Es ist eben doch ein großer Unterschied, ob man echte Knochen und Bänder vor sich hat, oder Modelle bzw. lediglich einen Atlas.

Ich muss zugeben, dass der Formalingeruch etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber nach einigen Minuten hatte ich mich daran gewöhnt. Für StudienkollegInnen, die eine empfindlichere Nase haben, hatte unser Anatom gleich einige Tipps parat. Wer weiß, vielleicht mache ich auch noch einen Abstecher in die nächste Apotheke oder Drogerie um mich mit einem ausreichenden Vorrat an WickVaporub oder diversen anderen intensiv riechenden Substanzen einzudecken.

Selbst hier im Kurs werden wir vorerst nur mit den Extremitäten (von unseren Kollegen aus dem Vorjahr bereits bis zu den Muskeln präpariert) konfrontiert. Im großen Präparierkurs, der im September nächsten Jahres beginnen wird, werden wir schließlich eine vollständige Leiche präparieren. Ich bin erleichtert, dass wir nicht den Sprung ins kalte Wasser wagen müssen.

Kurz vor Beginn meines Präparierkurses hatte ich Besuch von einer Freundin aus Wien. Sie studiert Komparatistik und Anglistik und auch wenn sie begeisterte C.S.I - Seherin ist, kann sie mein Interesse am menschlichen Körper nicht teilen. Vor allem der Gedanke, an toten Menschen lernen zu müssen, befremdet sie sehr. So ergab sich bald eine angeregte Diskussion über eben dieses Thema. Einige unsere Diskussionspunkte möchte ich aufgreifen um über das spannende Thema des Präparierkurses bzw. des Umgangs mit dem Leichnam zu reflektieren.

Würde der Menschen wahren

Die Würde des Menschen zu wahren steht für mich an erster Stelle. Doch wie viel Würde kann man im Umgang mit einem Leichnam wahren?

Ich finde es sehr wichtig, respektvoll mit den Präparaten umzugehen, denn man darf nicht vergessen, dass diese Menschen sich bereits zu Lebzeiten dazu entschlossen haben, der Wissenschaft zur Verfügung zu stehen. Dieser respektvolle Umgang beinhaltet für mich, dass man das Präparat nicht als eine beliebige Sache ansieht und somit in seinem Wert degradiert.

Ebenso soll ein Ort der Erinnerung an den Verstorbenen geschaffen werden oder des Verstorbenen im Rahmen eines Gottesdienstes gedacht werden. So kann man seinen Respekt zeigen und vom Verstorbenen Abschied nehmen. Ich glaube, das ist vor allem für die Angehörigen ein sehr wichtiger Schritt, denn auch wenn es der Wille dieses Menschen war, sich der Anatomie zu vermachen, so heißt das nicht, dass auch die Angehörigen mit dieser Entscheidung gut umgehen können.

Wo ich bei einem weiteren Punkt unserer Diskussion angekommen wäre. Der Frage warum manche Menschen sich dazu entschließen sich der Anatomie zu vermachen.

Ein besonderer Umgang mit dem eigenen Tod

Es gibt sicherlich zahlreiche Gründe aus denen sich Menschen noch bei Lebzeiten dazu entscheiden, sich nach ihrem Tod der Anatomie zu vermachen. Manche entschließen sich zu diesem Schritt da sie auf diese Weise einen Beitrag zur medizinischen Ausbildung leisten können, andere um eine Form der Dankbarkeit der Medizin, die sie ihr Leben lang begleitet, unterstützt und geholfen hat, zu erweisen; andere wiederum wollen schlichtweg ihren Angehörigen nicht "zur Last fallen" und ihnen auf diesen Weg die Kosten eines Begräbnis ersparen.

Fest steht auf jeden Fall, dass sich Menschen, die sich der Anatomie vermachen, intensiv mit ihrem Tod auseinander gesetzt haben. Dieses Bewusstsein ist bemerkenswert, denn der Großteil unserer Gesellschaft hat Angst vor dem Tod, und möchte sich darüber keine Gedanken machen. Ich bewundere in diesem Zusammenhang Menschen, die Religionen angehören, in denen der Tod nicht gefürchtet wird. Der Tod wird hier als Teil des Lebens angesehen, manche gehen noch einen Schritt weiter und sehen den Tod nicht als Ende des Lebens, sondern als den Anfang eines, weiteren, besseren, vollkommeneren Lebens an.

Der Umgang mit dem Tod nimmt in der Medizin einen wichtigen Stellenwert ein und auch wenn sich die Einstellungen in diesem Bereich zunehmend verändern, so sind wir immer noch weit davon entfernt den Tod zu akzeptieren und ihn somit zu normalisieren. Die moderne Medizin versucht eher, die natürlichen Grenzen auszuweiten und den Tod weiter von sich zu schieben.

Ein ganz besonderer Schutzmechanismus in diesem Zusammenhang ist die Entpersonalisierung, auf die ich nun eingehen möchte.

Entpersonalisierung

Sehe ich als Medizinstudent den vor mir liegenden Menschen als Menschen oder als Präparat und werte ich ihn automatisch ab, indem ich ihn als Präparat bezeichne? Aber ist es andererseits nicht notwendig den Menschen als Studierobjekt anzusehen? Diese und weitere Fragen geistern seit dem Präparierkurs durch meinen Kopf und beschäftigen mich.

Ich bin zu der Auffassung gekommen, dass es sehr wohl notwendig und auch sinnvoll ist, den Körper der vor einem liegt, von der Person, die einmal gelebt hat zu trennen. Da ich vorerst nur Extremitäten präpariere, fällt mir diese Trennung nicht schwer, anders wird die Situation sein, wenn ich kommenden Herbst eine ganze Leiche vor mir liegen habe.

Diese Entpersonalisierung schafft Distanz und somit wird die Belastung, wenn man sich mit dem Tod konfrontiert sieht, minimiert. Die Betrachtung des Menschen als Präparat ist meiner Empfindung nach also nichts anderes als ein Schutzmechanismus. In meiner späteren Ausbildung werde ich noch oft in Situationen kommen, in denen ein solcher Schutzmechanismus notwendig ist.

Aber auch von Seiten des Verstorbenen muss Abstand geschaffen werden. Das wird erzielt, indem die Identität nicht preisgeben wird/werden darf. Die Anonymität des Präparates ist somit auch Möglichkeit, diesem Würde und Respekt entgegenzubringen.

Umgang mit Erfahrungen in der Öffentlichkeit

Wie ich anfangs schon erwähnt habe, hinterlässt der Präparierkurs starke Eindrücke bei mir. Aus diesem Grund tausche ich diese Erfahrungen auch gerne mit meinen Studienkollegen aus. Ärzte und ich denke Medizinstudenten genauso sind für ihren eigenwilligen Humor bekannt. Da verwundert es nicht, wenn man sich beim Abendessen angeregt über den eben dargestellten Muskel unterhält, doch für Außenstehende ist diese Euphorie nur schwer nachvollziehbar.

Aus diesem Grund bin ich auch der Meinung, dass man sich in der Öffentlichkeit mit seinen detailgetreuen Schilderungen ein wenig zurückhalten sollte (auch wenn mir das nicht immer leicht fällt)- der Präpariersaal ist schließlich auch kein öffentlich zugänglicher Ort. Auch der Präparierkurs richtet sich eben an eine bestimmte Zielgruppe und soll den in den Präparaten aufgehobenen Informationsgehalt auf sachgemäße Weise vermitteln ohne dabei die Würde des Menschen zu verletzen.

Gegen eine angenehme, normale Arbeitsatmosphäre sei aber nichts einzuwenden. Ich bin froh, dass bei uns im Saal normal gesprochen wird und nicht andächtig geschwiegen wird und hoffe, dass sich daran auch im großen Präparierkurs nichts ändern wird. So gelingt es die anfängliche Ausnahmesituation zu etwas Normalem zu machen.

Das sind sicherlich alles heikle Aspekte, die man auf keinen Fall nur in eine Richtung gehend betrachten kann. In unserer Gesellschaft gibt es zahlreiche Auffassungen, den Umgang mit Präparaten betreffend. Gunther von Hagens Ausstellung "Körperwelten" hat dieses Thema sogar in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gebracht. Deshalb ist man mehr denn je bemüht allgemeingültige Richtlinien zu finden, die es uns erleichtern sollen, Antworten auf die meisten unserer Fragen zu finden. Letztendlich bleibt es aber an jedem einzelnen sich zu entscheiden, ob der Umgang mit Präparaten ethisch vertretbar ist oder nicht.

Medizin handelt nicht nur von der Fähigkeit eines Menschen, die Gesundheit anderer zu fördern, zu bewahren oder wieder herzustellen. Als Mediziner muss man sich auch mit Aspekten der ethischen Vertretbarkeit oder auch Verwerflichkeit beschäftigen. Im Mittelpunkt der modernen Medizin stehen viele Themen, über die es sich nachzudenken lohnt.

 

 

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