• Bericht
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  • Schirin Ibrahim
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  • 16.09.2013

Gratis für Studenten: Reisen und dabei was lernen!

Lokalredakteurin Schirin Ibrahim hatte die Chance zur Dreiländertagung der Gefäßchirurgen nach Linz zu fahren und berichtet hautnah, wie das Kongressleben so abläuft und was man als Studentin alles erleben kann.

Der Linzer Taubenmarkt und die Landstraße, von Süden gesehen - Foto: Otto Normalverbraucher/Wikipedia.de

Studenten an einem Fachkongress und dazu noch mit einem eigenen Veranstaltungsprogramm? Vor zwanzig Jahren hätte man darüber nur den Kopf geschüttelt. Aber die Zeiten ändern sich und die Not macht erfinderisch.Wie zum Beispiel Reisestipendien an Chirurgiekongresse im In- und Ausland, für die sich jeder bewerben kann. Erstmalig fand dieses Jahr die Nachwuchskampagne „Magic“ der Gefässchirurgie an der Dreiländertagung in Linz statt. Die Hauptstadt Oberösterreichs wäre auch ohne den Kongress der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Gefäßchirurgen eine Reise wert, aber zusammen mit einem tollen Programm, welches extra für die Studenten erstellt wurde, ist das Angebot nicht ausschlagbar. Also packte ich meine Sachen und fuhr im Nachtzug von Zürich nach Linz. Um 05:45 Uhr stand ich verschlafen und orientierungslos zum ersten Mal am Linzer Hauptbahnhof und wünschte mir, mein Hotel wäre gleich nebenan. Die Organisatoren der Nachwuchskampagne hatten für alle teilnehmenden Studenten aus den drei Ländern die Hotelzimmer organisiert und leider waren diese ein bisschen ausserhalb der Stadt. So früh am Morgen konnte man noch nicht einchecken und auch die Anmeldung am Kongress war erst ab 8 Uhr möglich. Der Himmel war noch nächtlich dunkel und die Orientierung über die Stadt daher beschränkt. Ich beschloss im Warteraum des Bahnhofs zuerst mein angefangenes Frühstück vom Zug zu essen - der Zugbegleiter hatte mich zu spät geweckt und ich musste fast aus meiner Kabine springen - und die Morgendämmerung abzuwarten. Einige Sitze neben mir döste ein Mensch von Tragtaschen umgeben vor sich hin. Ich nahm hungrig einen grossen Bissen von meinem Margarinebrot und liess meinen Blick wandern. Leider blieb er an den Turnschuhen des dösenden Menschen hängen, die von einer dickflüssigen braunen Sauce besudelt waren. „Hoffentlich erbricht er sich nicht erneut, solange ich noch am Essen bin.“, dachte ich mir und schlang das Brot eilig hinunter. Ich hatte Glück und schaffte es ohne angespuckt zu werden aus dem Warteraum auf den Bahnhofsplatz in den Sonnenaufgang hinein.

Ein hilfsbereiter Busfahrer brachte mich zum DesignCenter, dem Tagungsort nahe der Innenstadt. Der öffentliche Verkehr in Linz ist kinderleicht zu verstehen und die Busse und Trams fahren tagsüber dicht getaktet. Besonders toll ist, dass die Trams mit gratis W-Lan ausgestattet sind. So weit ist Zürich noch nicht. Das DesignCenter klingt eleganter, als es ausschaut. Es ist ein normales Messegebäude mit Auditorien mit dickem Teppichboden und starken Klimaanlagen, so wie überall auf der Welt. Ich warte weiterhin auf den Tag an dem man Kongresse in Bergstationen, alten Klöstern oder Freizeitparks abhält. Nach der Registrierung beginnt der Spaß erst richtig. Man bekommt eine Kongresstasche, auch „goodie bag“ genannt, mit vielen tollen Geschenken und manchmal auch Naschereien drin (diesmal nicht) und danach kann man sich auf dem Messegelände austoben. An den Ständen der Industrieaussteller bekommt man gratis Prospekte, Unterlagen und Kugelschreiber, sowie Taschen, Schokolade, Kaffee und Smoothies, je nach Kongress sogar Alkoholika. Auch konnte ich das Neuste an Nahtmaterialien testen und mich vom breiten Angebot an modischen Stützstrümpfen überzeugen lassen. Die Frage der Vertreters nach meinem Bedarf eines Strumpfs für die Ulcustherapie verneinte ich höflich und fügte dann ein „noch nicht“ hinzu.

Für die Studenten wurde ein eigenes Programm mit passender Rahmenveranstaltung organisiert und die Veranstalter haben sich große Mühe gegeben, alle Interessen und Vorkenntnisse abzudecken. Viele der Studenten waren mit ihrem Doktorvater angereist und haben schon praktische Erfahrung in der Gefäßchirurgie gesammelt. Ich hatte jedoch keine Ahnung, was ein Gefäßchirurg genau macht, zumal es diesen Facharzttitel in der Schweiz gar noch nicht gibt. Daher waren die Vorträge während den vier Kongresstagen sehr aufschlussreich für mich. Es wurde nicht nur die Gefäßchirurgie vorgestellt und auf die exzellenten Karriereaussichten aufmerksam gemacht, wir bekamen auch praktische Vorträge über die Kunst des Präsentierens, Paper-Interpretierens und Publizierens zu Gehör. Die Stimmung war immer sehr angenehm und meist waren die 40 Studenten unter sich und da traut man sich eher mal, eine Frage zu stellen als wenn die versammelte Elite der Gefäßchirurgie anwesend ist.

Am ersten Abend war die offizielle Eröffnung mit mehreren Festreden, darunter auch die eines Philosophen, der den Auftrag hatte, uns den Sinn des Lebens zu erörtern – was er auf beeindruckende Weise tat (mehr dazu im Anhang). Mit seiner Botschaft im Ohr fuhr ich zum Hotel und ließ mich auf das große Bett fallen, dessen aufgeschüttelte Decken unter mir nachgaben und mich tief in sie hineintauchen ließen.

Blick auf Linz - Foto: S. Ibrahim

Am nächsten Tag stand eine Stadtbesichtigung auf dem Programm. So lange man noch keine beruflichen Verpflichtungen mit diesen Tagungen verbinden muss, hat man auch wunderbar Zeit, sich die Städte anzuschauen, was ich wirklich nur empfehlen kann. Ich weiss nicht wann ich sonst nach Linz gereist wäre und ob überhaupt. Die Altstadt ist bezaubernd, prächtige Bauten unter einem hellblauen Himmel zierten die Gassen und die Österreicher sind allgemein sehr herzlich und freundlich. Kulinarisch hat Linz auch einiges zu bieten, nur die Preise sind verwirrend. Für einen grossen Teller Samosas mit Gemüse und Salat bezahlte ich in einem Restaurant 5 Euro, in der Teestube gegenüber musste ich für eine Tasse Tee jedoch 4,80 Euro hinblättern. Der Tee war allerdings vorzüglich und es gab einen kleinen Keks dazu. Nachdem ich genug gesehen hatte fuhr ich brav zum Kongress um mir noch einige Vorträge anzuhören. Länger als bis 17 Uhr dauert das Programm meistens nicht, daher hat man auch am Abend noch Freizeit und diese wird von Kongressteilnehmern gerne für anregende Gespräche im gastronomischen Umfeld genutzt. Ich war eingeladen am Schweizerabend teilzunehmen, dem alle beiwohnten, welche aus der Schweiz stammten oder in der Schweiz arbeiteten. Daher nahmen auch viele Deutsche an diesem Essen teil. Ich lernte dort einige sehr bezaubernde Menschen kennen, mit denen ich hoffentlich auch nach diesem Kongress noch in Kontakt bleiben werde. Das Essen war natürlich tadellos, vier exquisite Gänge österreichischer Kochkunst, abgerundet durch Übernahme der Rechnung von einigen Firmen. Da ich deren Namen nicht mehr weiss, komme ich aber nicht in Interessenskonflikt. Irgendwann nach Mitternacht fand auch mein Taxi den Weg zum Hotel zurück und ich legte mich für einen Verdauungsschlaf in das tolle Bett im wunderschönen Hotelzimmer.

Den dritten Tag begann ich mit Yoga auf der Terrasse meines Zimmers. Ich wünschte, ich hätte so etwas zu Hause. Das durchgehend fabelhafte Wetter passte zur fabelhaften Stimmung der Kongressbesucher, die sich in den Pausen an frischen Smoothies und Gebäck erfreuten. Ich verfolgte wieder einige der Vorträge und fand im einzigen anderen Studenten aus der Schweiz einen Verbündeten um die Industrieausstellung zu durchforsten. Wir versuchten unter anderem, die Herkunft des Baristas an einem Stand für Ersatzaorten herauszufinden, doch es stellte sich als unmöglich heraus, da es dem Barista sichtlich gefiel uns an dieser Aufgabe scheitern zu sehen. Er war vermutlich Skandinavier, aber wir werden es nie erfahren. Also zogen wir weiter und freuten uns, dass wir an jedem Stand sogleich Geschenke, Getränke und Esswaren dargereicht bekamen und sich umstehende Gefäßchirurgen sehr für die Studenten zu interessieren schienen. Überall wurden Loblieder auf dieses Fach angestimmt und die positiven Aspekte hervorgehoben. Dass man auch mit Tod und Krankheit konfrontiert wird und die Gefäßchirurgie keine Fehler verzeiht wurde zwar in einem Vortrag, im direkten Gespräch dann aber nur beiläufig erwähnt. Aber es ist sicher ein Aspekt, den man nicht vergessen darf. Das Highlight des dritten Tages war dann spät abends die Party der jungen Gefäßchirurgen im Ars Electronica Center an der Donau, ein wunderschön modernes Glasgebäude, das durch bunte Neonröhren den Anbruch einer neuen Ära verheisst. In einer der oberen Etagen tummelten sich die jungen und zu meiner Überraschung auch viele der älteren Chirurgen, deren Gesellschaftsabend angeblich nicht so spannend war und daher mit einem Besuch bei den Jungen verbunden wurde. Auch hier gab es natürlich wieder freien Eintritt und gratis Getränke sowie kalte Häppchen, eine Band hatte auch gespielt, aber da wir zwei Schweizer „fashionably late“ ankamen, war diese gerade dabei, noch die letzten Kabel wieder einzupacken und zu verschwinden. Wir amüsierten uns jedoch auch ohne musikalische Untermalung und führten tolle Gespräche mit ganz interessanten Menschen und erfreulicherweise zeigten sogar Chefärzte keinerlei Kontaktscheu oder Hierarchiedenken. Noch später als die Nacht zuvor sank ich schließlich ins Bett und konnte nicht einschlafen, da ich vor lauter schönen Erlebnissen und Begegnungen euphorisch und aufgekratzt war.

Der letzte Tag, ein Samstag, wurde dann von allen Teilnehmern sehr gemütlich angegangen. Ein langes Frühstück, check out im Hotel, Kaffee am Kongress, noch einen letzten Vortrag oder zwei anhören und sich dann von den neuen Freunden verabschieden. Ein bisschen wehmütig, denn eigentlich soll es immer so bleiben, so frei und unbeschwert, so voller Elan und Entdeckungslust, so neugierig auf andere und aufs Leben, so gemeinschaftlich. Aber alle müssen zurück in ihre Welt, ihre Möglichkeit leben. Die Möglichkeit, die niemand sonst für sie leben kann. Ich habe mir zwar nichts gekauft in Linz, ausser Geschenke für die Familie, aber ich fühle mich dennoch bereichert. Reisen nährt und bildet, ein weiterer Fleck auf meiner inneren Weltkarte wurde mit Erlebnissen, durchgehend schönen Erlebnissen, gefüllt. Nach und nach kann ich mir so die Welt erschliessen. Ich habe mir vorgenommen, mein Geld nun vermehrt zu sparen und dann auf Reisen zu gehen, das bringt die Seele weiter. Ich merke wie das Reisen mich auf positive Art verändert. Und ich habe mir vorgenommen, ein bisschen mehr über die Gefäßchirurgie zu erfahren. Das Fach ist herausfordernd aber hat sehr viel zu bieten. Und die Gefäßchirurgen die ich kennengelernt habe sind höflich, freundlich und menschlich. Mit solchen Leuten arbeitet man gerne zusammen.


 

Anhang: Ausführungen des Philosophen

Seinen Überlegungen zufolge sind wir, jeder einzelne Mensch, im Grunde genommen alle gleich. Wir sind eins, da wir gleich in die Welt kommen und gleich daraus gehen (Geburt und Tod) und da wir aus den gleichen atomaren Einheiten bestehen. Wenn wir also nicht Milliarden von Individuen sind, sondern ein und dieselbe Sache in milliardenfacher Ausführung, was ist dann der Sinn davon? Der Sinn ist, dass jede dieser Ausführungen eine Möglichkeit im Universum darstellt. Mein Lebenslauf ist eine Möglichkeit aus Milliarden von anderen Möglichkeiten und nur ich kann diese Möglichkeit verwirklichen, niemand kann mir das abnehmen, weil jeder andere seine eigene Möglichkeit ausleben muss. Wenn ich Chirurgin werde und nie heirate ist das ok, weil das ist meine Möglichkeit, die ich leben muss auch wenn sich meine Eltern etwas anderes wünschen. Wenn mein Nachbar freier Künstler ist und acht Kinder hat, dann ist das ok, das ist seine Möglichkeit. Er hat allerdings nicht gesagt, dass unser Leben schon irgendwo aufgeschrieben feststeht.  Man kann also zu jeder Sekunde den Wagen wenden und in eine andere Richtung fahren, die einem besser gefällt. Das ist Ihre Möglichkeit die Sie da ausleben. Schön, oder?


Informationen zur Dreiländertagung (nächstes Mal in drei Jahren in der Schweiz) und weiteren Reisestipendien (von der DGG) findest du hier:

http://www.dreilaendertagung2013.at/

http://www.gefaesschirurgie.de/

http://www.vasc-surg.at/

http://www.swissvasc.ch/

 

 

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