• Interview
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  • Justus Lamm
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  • 29.07.2023

Ausbildung statt Ausbeutung

Deutschlandweit fordern Studierende ein faires Praktisches Jahr (PJ). Welche Forderungen an Politik und Kliniken gestellt werden, erzählt Marleen, Vorsitzende des Fachschaftsrates Medizin an der Uni Greifswald.

 

 

 

Liebe Marleen, ich freue mich, dass du Zeit für dieses Interview gefunden hast. 
Könntest du unseren Leser*innen vorab erklären, was die Forderungen für ein faires PJsind?


Aufgrund prekärer Bedingungen im Praktischen Jahr (PJ), das zum erfolgreichen Abschluss des Medizinstudiums geleistet werden muss, gibt es bundesweit vier Grundforderungen:
Da wäre zunächst das Recht auf Krankmeldung durch die Trennung von Krankheits- und Fehltagen in der Approbationsordnung. Aktuell stehen uns im PJ insgesamt 30 Fehltage zu. Diese müssen die PJler*innen für sämtliche Anliegen, also als Krankheits-, „Kind-krank-“, Lern- und Urlaubstage nutzen. 
Der zweite Punkt ist die Forderung einer Aufwandsentschädigung – mindestens in Höhe des BAföG Höchstsatzes. Wir machen uns hier insbesondere für eine bundesweit einheitliche Regelung stark, die somit allen Betroffenen deutschlandweit eine Grundsicherung ermöglichen soll. Man muss sich das mal vorstellen: Die Studierenden arbeiten Vollzeit in den Kliniken und haben dennoch zum Teil neben der 40-Stunden-Woche einen Nebenjob, damit sie das PJ finanzieren können! 
Drittens setzen wir uns für einen Mindestabstand von mindestens vier Wochen zwischen PJ und dem 3. Staatsexamen ein. Auch das ist bundesweit unterschiedlich gehandhabt und nicht alle haben die gleichen Chancen für eine ausreichende Vorbereitung. 
Zuletzt streben wir auch eine Umsetzung der in der Approbationsordnung beschriebenen Programme für eine qualitativ gute Lehre an. Konkrete Beispiele wären gutes Mentoring, informative Lehrveranstaltungen und strukturierte Betreuung.
 

Das klingt äußert nachvollziehbar! 
Du hast im Juli am „Aktionstag faires PJ“ teilgenommen. Was war neben den vielen Forderungen deine persönliche Motivation dazu?


Nach dem Lesen des neuen Referentenentwurfes war ich enttäuscht, dass es keine Änderungen in den oben genannten Punkten gab – obwohl diese von allen PJler*innen und Ehemaligen immer wieder kritisiert werden. 
Als die „bvmd“ (Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland) dann überlegt hat, ob wir einen Aktionstag machen wollen, war es für mich und alle an unserem Standort keine Frage, dass wir uns einsetzen müssen – denn jetzt haben wir noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.


Du sprachst bereits von einer „bundesweit[en]“ Aktion. Wer hat das denn alles organisiert? 

Ursprünglich wurde der Aktionstag von der eben genannten bvmd initiiert. 
In der Ausgestaltung des Tages hat diese uns aber freie Hand gelassen. Deswegen haben wir uns nach einer Abfrage unter unseren Kommiliton*innen relativ schnell dazu entschieden, eine Demo sowie eine Infoveranstaltung zu organisieren – die Nachfrage hierfür war nämlich ziemlich groß. 
Die bvmd und der Marburger Bund haben uns anschließend in der Planung weiter unterstützt.
 

Hat sich dieser große organisatorische Aufwand denn gelohnt? 

Wir sind sehr zufrieden mit der Demo, denn in Greifswald waren circa 150 Studierende anwesend. Zwar hätte das Wetter besser sein können, aber alle haben trotz des Regens durchgehalten. Gerade das hat uns nochmal ganz besonders gezeigt, dass unseren Kommiliton*innen das Thema auch sehr wichtig ist.
 

Was sind denn eure Aussichten für die Zukunft? Wird es weitere Aktionen geben? 

Als grundlegendes Ziel galt es, mit dem bundesweiten Aktionstag Aufmerksamkeit für die zugehörige Petition unter den Studierenden, in der Bevölkerung und in der Politik zu erlangen. 
Mit diesem einen Tag ist es aber natürlich nicht vorbei! Die Aufmerksamkeit für das Thema muss jetzt hochgehalten werden, es müssen weiter Unterschriften gesammelt werden und der Austausch mit Akteur*innen aus der Politik gesucht werden. 
Langfristig hoffen wir, 100 000 Unterschriften zu erreichen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Karl Lauterbach und das Bundesministerium für Gesundheit sowie die Kultusministerkonferenz, aber auch alle die am Referentenentwurf mitarbeiten, auf unser Anliegen aufmerksam werden und die Dringlichkeit der Änderungen anerkennen und umsetzten.
 

Das Gesundheitsministerium ist ein gutes Stichwort, einige Plakate waren ja sogar direkt an Karl Lauterbach adressiert. Gibt es denn bereits ein Feedback aus der Politik oder zumindest von den Krankenhausleitungen? 

Wir haben am Aktionstag bereits Feedback von einem Krankenhausträger aus der Region bekommen und sehr interessante Gespräche geführt. 
Auch an unserer Fakultät ist das Thema präsent. Wir planen, dazu bei der Fakultätstagung unserer Uniklinik eine Podiumsdiskussion zu veranstalten, um das PJ hier am Standort noch zu verbessern – wir wissen, dass das natürlich kein Ersatz für eine bundesweite Lösung ist, sehen es aber immerhin als guten Anfang. 
Am Aktionstag war sogar Anna Kassautzki (Bundestagsabgeordnete der SPD) vor Ort. Ihr war das Thema noch nicht bekannt, aber sie hat es mitgenommen, um sich in der jeweiligen Arbeitsgruppe zu erkundigen. Wir hoffen, uns darüber mit ihr und anderen Politiker*innen in Zukunft weiter auszutauschen.

Das sind auf jeden Fall ambitionierte Ziele, denen ihr mit eurem Aktionstag sicherlich schonmal einen Schritt nähergekommen seid.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin! 

 

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