- Artikel
- |
- Sophia Gunkel
- |
- 06.02.2025
PJ und danach?
Im Wahnsinn des deutschen Krankenhaussystems bleiben, sechs Jahre lang das Privatleben aufgeben, ein möglichst kleines Fach wählen oder der direkten Patientenversorgung den Rücken kehren? Sophias teilt ihre Gedanken zu Facharztwahl und Work-Life-Balance.
Angekommen im letzten Abschnitt meines Medizinstudiums, dem Praktischen Jahr, frage ich mich – wie viele andere meiner Kommilitonen und Kommilitonen – was danach auf mich zukommt. Falls es dir genauso geht: Du bist nicht allein!
Vor dem Studium sah ich mich immer in der Forschung und hatte sogar überlegt, medizinische Biologie zu studieren. Ich bekam mit meinem 1,6er Abischnitt einen Studienplatz im Nachrückverfahren und war überglücklich. Im siebten Semester fing ich mit meiner Doktorarbeit an der Uniklinik Gießen an. Ziemlich schnell hatte ich genug vom (pseudo-) wissenschaftlichen Arbeiten.
Faszinierend fand ich außerdem die Innere, oder die „richtige“ Medizin, wie Ärzte aus der Inneren Medizin ihr Fach gerne bezeichnen. Die Vielseitigkeit des Fachs ist wohl Fluch und Segen zugleich, man braucht ein breit gestreutes Wissen, aber kann sich auch immer weiter spezialisieren. Problem ist die demografische Entwicklung, so dass geriatrischen Patientinnen und Patienten eigentlich immer auf eine internistische Station „geturft“ werden können und die Notaufnahme konsequent überfüllt ist. Der ganz normale Wahnsinn eben!
Die stationären Patientinnen und Patienten sind leider oft multimorbide, dement, und so richtig „heilen“ kann man die Wenigsten. Naiverweise dachte ich früher, das Heilen charakterisiere den Arztberuf.
Eine Assistenzarztstelle in der Inneren bedeutet viele Schichten, Dienste, Überstunden und kaum Freizeit (in der schläft man doch sowieso?). Manchmal verstehe ich nicht, warum sich so viele kluge Menschen das alles antun möchten. Leiden sie alle am Helfersyndrom?
Natürlich ist Patientenkontakt etwas sehr Schönes und Bereicherndes, es macht den Tag weniger eintönig. Jede*r bringt seine persönliche Geschichte mit, jede*r Mensch ist indivuduell. Manchmal erlebt man kleine oder große Wunder. Aber auf Dauer geht man doch kaputt an dem Stress?! Pflegekräfte werden nicht umsonst zu „Schwester Rabiata“ und Ärztinnen und Ärzte zu unempathischen Robotern... Es wundert mich, dass nicht mehr Angestellte im Gesundheitswesen ein Burnout erleiden.
Hört man sich bei den Assistentinnen und Assistenten um, ist es schwer, etwas Positives herauszufiltern. Wie soll man sich dann für diesen Beruf begeistern, wenn alle um einen herum pessimistisch, müde und ausgebrannt sind? Natürlich gibt es auch ein paar Gegenbeispiele, die alles super managen und beispielsweise auch als Frau Karriere und Familie unter einen Hut bekommen. Respekt dafür! Aber es ist doch eher die Seltenheit.
Je länger ich Zeit hatte, mir Gedanken über meine Zukunft zu machen, desto mehr kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht unbedingt in der direkten Patientenversorgung arbeiten möchte. Plötzlich schienen mir Fächer attraktiv, die ich davor nie in Betracht gezogen hätte.
Ein kleines chirurgisches Fach, wie zum Beispiel die Dermatologie, ist vielleicht doch nicht so langweilig und eklig wie gedacht? Oder ist Radiologie die richtige Wahl? Kann ich mir vorstellen, tagein tagaus Röntgen, CTs, MRTs und Angiographien zu befunden, interventionell tätig zu werden, interdisziplinär zu arbeiten? Muss man fürchten, in ein paar Jahren von einer künstlichen Intelligenz ersetzt zu werden? Ich weiß es nicht.
Alternativ kommt natürlich auch ein Job im Bereich der medizinischen Informatik oder im Medizinjournalismus in Frage, für die man allerdings oft noch eine weitere Ausbildung oder ein Zweitstudium benötigt.
Letztgenannte Fächer wären vermutlich mit weniger Stress und psychischen Problemen behaftet und auch Teilzeit wäre ein eher zu realisierendes Thema.
Insgesamt höre ich wohl auf mein Bauchgefühl, schreibe wie immer eine Pro-Contra-Liste und hoffe, dass irgendwo da draußen der „perfekte Beruf“ auf mich wartet. Ich bin sicher, jede*r von uns geht ihren oder seinen Weg, ob er nun geradlinig ist oder nicht. Hauptsache, man ist am Ende glücklich im Leben. Führen wir uns vor Augen, dass es viele andere vor uns geschafft haben. Wir lassen uns nicht vom großen Ganzen erschlagen, sondern gehen einfach Schritt für Schritt.
Auch wenn manche Patientinnen und Patienten ungemütlich sind und wir den ein oder anderen Fehler machen werden, glaube ich fest daran, dass man aus Rückschlägen lernt und aus jedem/jeder überforderten PJler*in am Ende ein guter Arzt oder eine gute Ärztin wird.