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  • Dr. med. Karin Maria Franke
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  • 05.12.2014

Packungsbeilage PJ - Was dürfen Famulanten und PJler?

Wer kennt sie nicht – die tollen Kommilitonen, die in Famulatur und PJ ganze Stationen alleine „schmeißen“ und von Lumbalpunktion bis i.v.-Medikation alles im Griff haben? Mal ganz abgesehen davon, wie realistisch solche Storys sind: Wie sieht es rechtlich aus, wenn etwas schiefgeht? Zu Risiken und Nebenwirkungen ... lies diesen Artikel.

 

 

 

PJler sollten verantwortungsbewusst arbeiten und nur das tun, was sie sich zutrauen. Übertriebene Panik vor dem Gesetz ist aber nicht angebracht. Fälle, in denen sich Studierende direkt vor Gericht verant- worten müssen, sind äußerst selten. Foto: Dieter Schmid

 

 

Noch heute überkommt Patrizia H.* ein flaues Gefühl, wenn sie an die nette türkische Patientin denkt. Sie war eine der ersten, die Patrizia als PJlerin aufnahm. Ewigkeiten, so schien es ihr damals, kramte die Dame nach ihrem Allergie-Pass. „Ich dachte, wenn sie wesentliche Allergien hätte, würde sie mir davon auch ohne Pass berichten“, erinnert sich Patrizia. Ungeduldig ging die Studentin deshalb zur nächsten Anamnese-Frage über – und übersah eine Me­tamizol-Unverträglichkeit.

 

Wenige Stunden später kämpften die Ärzte um das Leben der Patientin, die nach Schmerztropfen einen anaphylakti­schen Schock erlitten hatte. Patrizia machte sich schwere Vorwürfe. Am nächsten Tag beichtete sie dem Oberarzt. Zum Glück ging alles gut: Die Patientin erholte sich schnell, und der Oberarzt ging diskret mit dem Geständnis um. Aber was wäre passiert, wenn die Patientin bleibende Schäden erlitten hätte? Welche rechtlichen Folgen kann ein ­Fehler eines PJlers oder eines Famulus haben?

 

Praktisches Jahr: Fahrschule für Medizinstudenten

In der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) steht zum PJ Folgendes: Die Studierenden sollen entsprechend ihres Ausbildungsstandes unter Anleitung, Aufsicht und Verant­wortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen. Im Klartext: Das PJ ist wie eine Fahrschule für Ärzte. Der PJler lernt nach der Theorie des Studiums das Arztsein unter den Augen eines anleitenden Arztes. Der Arzt übernimmt dabei für seinen Schützling die Verantwortung nach bestem Wissen und Gewissen. Er setzt also fest, was der Student darf und was nicht.

 

Einen geschickten Studenten wird er demnach häufiger dazu ermuntern, in die Pleura zu stechen oder Aszites ablaufen zu lassen, als einen PJler, der unsicher scheint. Theoretisch darf er Studierende auch am Blinddarm operieren lassen, wenn er bereit ist, das Risiko zu tragen. „Allerdings“, betont die Medizinrechtsanwältin Henri­ette Marcus, „muss der Arzt eingreifen, sobald sich ein Fehler anbahnt oder er erkennt, dass der PJler noch nicht reif ist.“ Solange der Student das tut, was er vom Anleiter bzw. Ausbilder aus darf, bewegt er sich auf rechtlich sicherem Terrain, erläutert die Rechtsanwältin aus Frankfurt. Läuft dann etwas schief, haftet die Klinik oder der ausbildende Arzt**. Gleiches gilt für die Famulatur.

 

Curricula erhellen die rechtliche Grauzone

Die ÄAppO listet allerdings keine Details auf. Ob ein PJler zum Beispiel grundsätzlich eine Chemo anhängen oder eine Lumbalpunktion machen darf, regelt sie nicht. Henriette Marcus erklärt, dass für PJler, Anleiter und Ausbilder auch die von den Dekanaten der Unikliniken geschaffenen Richtlinien rechtlich bindend sind. Allerdings bringen auch diese wenig Licht ins Dunkel. Im Wesentlichen regeln sie alles zum PJ im Ausland, zu Studientagen und zu möglichen Lehrkran­kenhäusern. Was genau ein Student tun darf, beleuchten sie sehr unterschiedlich.

 

Manche verweisen auf die ÄAppO, andere führen Tätigkeiten auf. „Je weniger geregelt ist, desto mehr arbeiten sowohl Ausbilder als auch Auszubildender in einer rechtlichen Grauzone“, so Marcus.
Manche Unis haben zusätzlich Curricula eingeführt, in denen die Ausbildungsstandards der Uni und der Lehrkrankenhäuser vereinheitlicht sind. Dass diese Curricula so rar sind, ist der Geschichte des PJs geschuldet: Als man es einführte, fürchteten die Krankenhäuser die viele Arbeit, die PJler den Stationen machen würden.

 

Also setzte man die Ausbildungsschwelle so niedrig wie möglich und definierte nicht, was Studierende lernen sollten. Seitdem die neue ÄAppO in Kraft ist, bemühen sich aber mehr Kliniken um ein eigenes Curriculum. Das der Würzburger Uniklinik listet etwa alle praktischen Tätigkeiten auf, die jeder PJler durchführen sollte, und versieht sie mit einem Punktwert. Hundert Punkte müssen Studierende pro Tertial sammeln.

 

Freiheiten vom Kittelzipfel

Je weniger Richtlinien oder Curricula regeln, desto mehr Verantwortung bleibt am Studierenden und mehr noch am anleitenden Arzt hängen. Wie erfahren muss ein Arzt sein, der einen PJler unter seine Fittiche nimmt? Muss er Facharzt sein? „Nein“, sagt Henriette Marcus, theoretisch könne jeder approbierte Arzt anleiten – allerdings darf dies nicht zu Lasten der Qualität gehen. Jedes Krankenhaus garantiert Patienten den Facharztstandard. Darunter versteht man, dass Patienten nach dem Standard der jeweiligen Fachgesellschaft und unter der Supervision eines Facharztes behandelt werden. „Nur wenn der Anleiter ausreichend ,fit‘ ist, reicht das für die Beaufsichtigung des PJlers.“

 

Trotz Aufsichtspflicht des Arztes dürfen PJler durchaus vom Kittelzipfel des Anleiters weichen. „Der Auszubildende darf alleine tätig werden, wenn die gesammelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die konkrete Aufgabe ausreichen“, erklärt Henriette Marcus. Individuell entscheidet sich also, was PJler oder Famulant selbstständig tun dürfen. Patrizia hat im PJ neben Aufnahmen und Braunülenlegen etwa allein Verbände gewechselt, Furosemid gespritzt und Antibiotika angehängt.

 

Beim Kreuztest und den Blutkonserven schaute ihr ein Arzt über die Schulter, und die Leber punktiert oder eine Pleuradrainage gelegt hat sie nur mit der helfenden Hand des Arztes. Auch wenn PJler mit wachsender Erfahrung selbstständiger werden: Der anleitende Arzt muss ihre Arbeit immer kontrollieren und jeden Befund gegenzeichnen. Die Unterschrift eines PJlers zählt nicht.

Prozesse sind selten

Das Eis, auf dem sich PJler und anleitende Ärzte bewegen, scheint dünn. Umso erstaunlicher, dass rechtliche Probleme rar sind. „Gibt es einen Haftungsfall durch einen Behandlungsfehler, stehen PJler nicht regelmäßig in der Schusslinie“, weiß Dr. iur. Britta Specht, Vorsitzende der „Medizinrechts­anwälte e.V.“. Anwälte verklagen in der Regel den Träger. Alle nachgeordne­ten Ärzte sind mitversichert. „Ein PJler kann sich am besten entschuldigen, und bei ihm ist am wenigsten zu holen.“

 

Fälle, in denen sich Studierende direkt vor Gericht verantworten müssen, sind äußerst selten. Dies geschieht, wenn ein Student vorsätzlich gehandelt oder einen groben Behandlungsfehler begangen hat, oder wenn er unerlaubt handelt und seine Kompetenzen überschreitet. Im Gegensatz zum Arzt ist das Leben eines PJlers oder Famulus noch recht unbeschwert. Ob er überhaupt eine berufliche Haftpflichtversicherung braucht, hängt vom individuellen Versicherungsbedürfnis ab. Er sollte aber immer wissen, ob und gegen was er durch das Krankenhaus versichert ist.

 

Sicher ist sicher

Rechtlich gesehen ist das PJ eine ziemliche Grauzone. Wenn du ein paar ­Spielregeln beherzigst, kommst du aber trotzdem sicher durchs letzte Studienjahr:

PJler sollten ...

  •  ... sich immer als Studierende ausgeben. Erst die Approbation macht sie zum Arzt. Am besten ein Namensschild mit dem Zusatz „Student/in“ am Kittel tragen.
  • ... nicht eigenmächtig handeln und nur das tun, wozu sie beauftragt sind.
    (Sich immer fragen: Tue ich, was ich tun darf, oder tue ich mehr?)
  • ... nur das selbstständig tun, was sie auch können. Natürlich schmeichelt es, wenn einem etwas zugetraut wird, und es kostet Zivilcourage, zuzugeben, dass man es noch nicht kann – trotzdem: im Zweifel immer fragen.
  • ... immer wissen, wer ihr Anleiter und wer ihr Ausbilder ist.
  • ... überprüfen, wie sie haftpflichtversichert sind und wie umfangreich die Versicherung ist.
  • ... alle Versicherungen aus einer Hand nehmen. Kommt es wirklich einmal zum Haftungsfall, streiten diese sonst, wer den Schaden übernimmt.

 

Wäre die Geschichte von Patrizias Patientin damals schlimmer ausgegangen und hätten die Angehörigen die Klinik verklagt – sicher wäre jedes Detail ans Licht gekommen. Aber selbst dann wäre die PJlerin wohl nicht belangt worden: Der Arzt hätte sich, bevor er der Patientin die Trop­fen gab, nochmals vergewissern müssen, dass bei ihr keine Allergien bekannt waren. Der Schock saß bei Patrizia auch ohne Prozess tief genug. Nie wieder hat sie seither darauf verzichtet, sich einen Allergie­-Ausweis zeigen zu lassen.

 

 

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