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  • Andrea von Figura
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  • 18.11.2005

PJ-Umfrage 2005: Nur ein Seepferdchenabzeichen für Ärzte?

Die Teilnehmer der diesjährigen PJ-Umfrage von Via medici stellen den Lehr- und Unikrankenhäusern kein gutes Zeugnis aus. Die beste Ausbildung erhalten offensichtlich die PJler, die ihre Koffer packen und für das praktische Jahr in die Schweiz gehen. Egal ob bei Betreuung, Fortbildungsangebot oder Lerneffekt: Südlich des Bodensees scheint alles besser. Meckern allein führt aber zu nichts. Eigeninitiative ist gefragt!

Die Schweiz ist für Bergsteiger und Käseliebhaber ein Paradies. Aber auch deutsche Studenten im Praktischen Jahr zieht es zu unserem südlichen Nachbarn.So wie Michael Sachse. Der junge Mediziner aus Berlin hat sein Chirurgie-Tertial im Spital Zofingen absolviert. Bereut hat er diese Entscheidung nie. „Die Zeit war toll: Ich habe viel gelernt, bin dafür bezahlt worden und konnte fantastische Wochenenden in den Schweizer Alpen verbringen“, schwärmt er.

 

Mit dieser Erfahrung ist Michael nicht allein. Die Ergebnisse unser diesjährigen PJ-Umfrage zeigen, dass mittlerweile fast jedes siebte Tertial in der Schweiz absolviert wird. Kein Wunder! Viele Studenten sind mit ihrer Situation während des PJs in Deutschland unzufrieden. Jeder dritte Teilnehmer unserer Umfrage empfand die Betreuung durch das ärztliche Personal als unzureichend. Dabei bleibt die Chirurgie das Sorgenkind.

 

 

 

Das Tätigkeitsprofil des „biologischen Hakenhalters“ ist einfach nicht totzukriegen. 65% aller befragten PJ-Studenten fühlten sich in ihrem Chirurgie-Tertial als billige Arbeitskraft missbraucht. Über die Hälfte gab zudem an, in dieser Zeit so gut wie gar nicht in den Stationsalltag integriert gewesen zu sein.

 

 

 

Deutlich besser sind da die Zustände in der Inneren und im Wahlfach. Hier empfanden sich 80% der PJler gut ins Stationsteam eingebunden. Ausgebeutet fühlten sich in der Inneren nur 40% und im Wahlfach sogar nur 15% der Studenten.

 

 

 

In allen Fächern gilt: Zeit für die PJler hat in erster Linie der Assistenzarzt. Oberärzte kümmern sich nur selten um junge Kollegen.

 

 

 

PJ-Zeit sollte Ausbildungszeit sein

Die bittere Wahrheit sieht anders aus: Nur 64% der PJler in der Inneren und nur 37% der Chirurgie-PJler beurteilten die Fortbildungen in dem Fach als hilfreich.Während in der Inneren immerhin 67% und im Wahlfach sogar 80% der Studenten angaben, in ihrem PJ etwas gelernt zu haben, bekommt die Chirurgie auch in dieser Kategorie schlechte Noten: Nicht einmal die Hälfte der befragten PJler mag einen Lerneffekt bemerkt haben. Besser fällt die Bewertung aus, wenn man nur Lehrkrankenhäuser beurteilt.

 

 

Ob ärztliche Betreuung, Fortbildungen oder Lerneffekt: Die kleinen Häuser liegen vor den Uni-Kliniken. Vor allem in den inneren Abteilungen der kleinen Häuser fühlten sich deutlich weniger Studenten zum reinen „Blutsauger“ degradiert. Bei der Gesamtbewertung ist im Vergleich zum Vorjahr kein Trend zur Besserung in Sicht.

Erstaunlich ist vor allem das Ergebnis für die Innere: Obwohl das Fach in den „Einzeldisziplinen“ ähnliche Beurteilungen wie im Vorjahr erhielt, rutschte es in der Gesamtbewertung um fast eine ganze Note auf 2,8 ab (2004: 2,0). Die Chirurgie erhielt eine 3,2 (2004: 3,0), für das Wahlfach gab es wie im Vorjahr eine 2,0.

 

 

Die Zeche für diese Defizite zahlen die jungen Mediziner

Weil das PJ seinem Auftrag, den Übergang vom Studium in die Berufspraxis zu schaffen, offensichtlich nur unzureichend nachkommt, wartet auf die meisten jungen Ärzte nach dem PJ der Sprung ins eiskalte Wasser. Das musste auch Marc Borrmann erfahren, als er Anfang des Jahres nach dem PJ in Deutschland seine erste Stelle in der Inneren antrat.„Ein Seepferdchen-Abzeichen hilft in einem Sturm auf offener See auch nichts“, so der 29-Jährige auf die Frage, ob das PJ ihn auf die Stationsarbeit vorbereitet hat.„Blutabnehmen reicht einfach nicht aus, um den ganz normalen Stationsalltag zu managen.“

 

 

Koffer packen als Lösung?

Logisch, dass viele Studenten große Teile ihres PJs im Ausland verbringen. Vor allem das Chirurgie-Tertial ist ein Exportschlager: Immerhin 38% der PJler absolvierten dieses Tertial im Ausland, davon gingen 18% in die Schweiz.„Der leckere Käse alleine war es nicht“, verrät Mariam Mirtsch, Assistenzärztin aus Oldenburg auf die Frage, warum sie sich für eine Chirurgiestelle als Unterassistentin – kurz „Uhu“ – in der Schweiz entschieden hatte.„Ich stand zwar auch viel im OP und musste Haken halten, aber immerhin habe ich Geld dafür bekommen.“

Aber es gab noch weitere Gründe für Mariams Entscheidung, ihren Wohnsitz für vier Monate ins Nachbarland zu verlegen.„Ganz wichtig war für mich auch der freundliche Umgangston. Selbst im OP erklangen Wörter wie ,Bitte‘ und ,Danke‘.“Auch die Möglichkeit, eigene Patienten zu betreuen und selbstständig Entscheidungen treffen zu können, hat ihr gut gefallen:„Ich war Teil eines Teams und nicht Handlanger für Aufgaben, die andere nicht machen wollten.“

Mariams positive Erfahrungen werden durch die Umfrageergebnisse bestätigt: Über 60% der Studenten, die ihr Chirurgie-Tertial in der Schweiz absolviert haben, fühlten sich gut in ihr Stationsteam integriert. Oberärzte nehmen sich dort deutlich mehr Zeit für die PJler als bei uns. Währendsich knapp 40% der PJler in Deutschland in ihren Tertialen als Billigarbeitskraft fühlten, lag dieser Anteil in der Schweiz nur bei 25%.

Deutlich besser schnitt die Schweiz auch hinsichtlich der Qualität der Ausbildung ab. Fast jeder Dritte beurteilte die Fortbildungsangebote als sehr gut bis gut, und drei Viertel aller Studenten gaben an, in ihrer PJ-Zeit auch wirklich etwas gelernt zu haben. Letzteres konnten nur 65% der PJler über Deutschlands Krankenhäuser sagen.

Dies macht sich auch in der Begeisterung für den Beruf bemerkbar: PJler, die ein Tertial in der Schweiz absolviert haben, waren danach stärker für den Arztberuf motiviert als Studenten, die ein Tertial zu Hause machten. Tertiale in der Inneren und in der Chirurgie wirken in Deutschland geradezu als Motivationskiller. Auf einer 10-Punkte-Skala sank die Motivation von 7,5 vor dem PJ auf 6,7 nach dem Innere-PJ und auf 5,9 nach dem Chirurgie-PJ. Nur das Wahlfach schaffte es, die Begeisterung der Studenten noch ein bisschen anzufachen: Von 7,5 vor dem PJ ging es rauf auf 7,6 nach dem PJ.

 

 

Mit den Rechten kommen die Pflichten

Natürlich nehmen mit der Bezahlung auch die Pflichten zu. Davon kann Max ein Lied singen:„Nacht- und Wochenenddienste waren die Regel, und das neue Jahr habe ich auf Station begrüßt. Aber wer bezahlt wird, muss halt auch dafür arbeiten.“Die Gesamtnoten für die Schweiz zeigen, dass sich die Mühe lohnt und PJler es schätzen, wenn sie gefordert werden: Die Chirurgie (2,4) und dieInnere (1,8) erhielten deutlich bessere Noten als bei uns. Das Wahlfach bekam wie in Deutschland eine 2,0.

300 bis 400 Bewerbungen deutscher PJ-Studenten pro Jahr erhält Prof. Dr. Markus Röthlin, Chefarzt der Chirurgie im Kantonsspital Münsterlingen. Mit der Mehrzahl seiner deutschen „Uhus“ ist er eigentlich sehr zufrieden.„Die meisten sind wirklich engagiert und bringen ein ausgezeichnetes Fachwissen aus ihrem Studium mit. In der Theorie sind sie sogar oft besser als ihre Schweizer Kollegen. Ihr grundlegendes Problem liegt allerdings darin, dass sie das theoretische Wissen durch ihre praxisferne Ausbildung oftmals nicht in einen klinischen Zusammenhang bringen können.“Er rät daher allen Studenten:„Fragt lieber nach, anstatt Dinge zu tun, von denen ihr keine Ahnung habt. Die Angst, sich eine Blöße zu geben, ist nicht gerechtfertigt.“

 

Mehr Kommunikation wagen

„Letztlich ist die Situation während des PJs immer das Ergebnis aus einem Kompromiss zwischen dem Ausbildungswunsch des Studenten und dem Arbeitsalltag des Arztes“, erklärt Michael Froneberg von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschland e.V. (BVMD).„Den Idealfall eines bezahlten Mentors nur für PJler wird es aus wirtschaftlichen Gründen wohl nicht geben. Dass einige Kliniken ganz konkret Ärztefür die PJler-Betreuung benennen, weist in die richtige Richtung.“

Aber auch die Studenten können ihren Beitrag leisten: „Wer Fragen hat, soll fragen. Klärt eure Erwartungen zu Beginn des PJs mit dem Stationsarzt ab und – ganz wichtig – informiert euch über eure Rechte!“, rät er den PJlern.

Gar nicht so selbstverständlich: Bei unserer Umfrage wusste nur die Hälfte der Studenten, dass es einen Ausbildungskatalog gibt, der die Rechte der PJler aufführt. Traurig: Nur 36% haben ihn auch gelesen.„Wir bemühen uns derzeit zusammen mit offiziellen Gremien und Fachgesellschaften, die Bedingungen im PJ für Studenten und Ärzte zu verbessern“, erklärt Michael Froneberg.

Solange dieser Weg noch keine spürbaren Erfolge zeigt, ist allerdings Eigeninitiative gefragt! Dem kann auch Mariam nur zustimmen:„Das deutsche PJ nur zu verteufeln ist falsch. Ich habe ein tolles Dermatologie-Tertial in Deutschland erlebt. Vieles hängt aber von der eigenen Motivation und Bereitschaft ab, etwas zu investieren.“

 

 

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