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  • Neslihan Demirtas
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  • 16.02.2023

Ab ins Studium - oder auch nicht?

Eigentlich plante und glaubte ich, über die Abiturbestenquote ins Studium zu kommen. Zwei Jahre habe ich mich dafür jeden Tag angestrengt. Falsch gedacht, - die Abiturprüfungen liefen katastrophal und der Masterplan Medizinstudium war gelaufen. Glaubte ich zumindest erst mal.

 

 

Sprachlos starre ich auf das Blatt Papier, das ich in der Hand halte. Vor gerade einmal 5 Sekunden hat meine Tutorin es mir überreicht, mit einem strahlenden Lächeln und einem “Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur”. Aber das Fünkchen Freude, das meine Tutorin auf mich projiziert hat, fühlt sich fast sofort wie eine veraltete, surreale Erinnerung an. In diesen paar Sekunden habe ich auf meinen Namen geguckt, die Noten meiner einzelnen Prüfungsfächer überflogen, ohne sie wirklich wahrzunehmen und dann meinen Abischnitt gesehen. Die Note schockiert mich, mehrfach springen meine Augen zwischen meinem Namen und dem finalen Abischnitt hin und her. Das muss ein Fehler sein, denke ich, das kann nicht sein. Und dann realisiere ich es. Das Blatt vor mir, diese beiden Zahlen, getrennt durch ein Komma, schwarz auf weiß, sind mein Abischnitt. Die Wucht dieser Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht und ungefähr 15 Sekunden nach Erhalt des Blattes fange ich an zu weinen und höre erst mal nicht wieder auf. Eine Woche danach habe ich mein Medizinstudium für mich beerdigt, mich gegen drei Nachprüfungen zur Verbesserung meiner Note entschieden (nach dem Motto ‚jetzt ist alles ega‘l). Mein Leben ist gelaufen, der Medizinstudienplatz ist für mich unerreichbar und so lande ich nach dem Abiball erst mal ein paar Wochen in Italien.

Das Ganze ist jetzt ein halbes Jahr her und es hat sich seither viel verändert. Die Sonne in Italien hat mir gutgetan und ich habe mich zögerlich zum TMS angemeldet, wohlwissend, dass ich mindestens besser als 85% aller Teilnehmer*innen sein muss, um an meine Wunschuni zu gelangen. Der Test für medizinische Studiengänge, in der Kurzform auch TMS genannt, ist ein Vergleichstest, der sich aus acht Untertests zusammensetzt und den viele Anwärter*innen fürs Medizinstudium schreiben, um ihre Chancen signifikant zu verbessern. Nachdem ich mich also zwei Monate intensiv auf diesen Tag vorbereitet habe, stehe ich am sechsten November 2022 also vor der Stadthalle in Aschaffenburg und weiß, dieser Test entscheidet über so einiges. Es ist kalt, ich zittere sowieso vor Aufregung und die ganzen jungen Menschen, die auch hier stehen und auch alle im medizinischen Bereich studieren wollen, helfen nicht besonders. Ehrlich gesagt, ist “helfen nicht besonders” eine totale Untertreibung, denn es macht mich verrückt zu sehen, wie viele Mitbewerber*innen allein an dem Standort Aschaffenburg schreiben. Ich schaffe es, das alles irgendwie auszublenden, der Tag vergeht wie im Flug und ich stehe nach sechs Stunden kreuzen vor eineinhalb Monaten Wartezeit, die sich anfangs wie eine Ewigkeit anfühlt und eigentlich nur der Entspannung dient. Anfangs.

Und dann rückte der 20. Dezember unausweichlich näher. Ich habe mich erdrückt gefühlt, nicht mal aus Angst vor dem Ergebnis, sondern wegen der Ungewissheit, die mit dem Unwissen einherging. Wo bin ich nächstes Jahr? Muss ich den TMS noch mal schreiben? Soll ich mich auf ein FSJ bewerben, reisen, eine Ausbildung machen? Oder werde ich eventuell schon im Februar die Zusage bekommen, im April studieren? Mittlerweile kann ich sagen ja, das werde ich. Ich darf ab April Medizin studieren. Aber vor nicht einmal einem Monat hat es sich nicht so angefühlt. Es war wie Unterwasser zu schwimmen und die Sonne durch das Wasser zu sehen, aber immer wieder runtergespült zu werden. Niemals die Sonne, ohne eine trennende Schicht Wasser gesehen zu haben, geschweige denn geatmet zu haben. Vereinfacht gesagt: ich ging langsam, aber sicher in meinen Gedanken und Gefühlen unter. Die Ergebnisse kamen dann aber doch schon am Abend des 19. Dezembers. Ich erinnere mich, gerade mit Freunden telefoniert zu haben, bis ich online gelesen habe, dass die ersten schon ihre Ergebnisse hatten. Nachdem ich dann also mindestens eine Million Mal (Spoiler: es war nicht so oft) versucht habe, auf die konstant abstürzende TMS-Website zu kommen, stand da plötzlich der Satz, auf den ich die letzten zwei Monate hin gefiebert hatte: “Rufen Sie Ihr Ergebnis hier ab”. Alles ging so plötzlich, ich habe nur noch runtergescrollt und gesehen; ich habe 99%, einen Standardwert von 121. Es war noch keine Zulassung, aber es war die Garantie dafür. Und ich war endlos dankbar.

Und das ist die Geschichte, wie ich es ins Studium geschafft habe. All die ganzen sechs Monate ein riesiges Auf und Ab, nur um dann bald die Zulassung in den Händen zu halten. Die zwei Jahre Abitur davor, nur um dann wegen den Abiturprüfungen das Gefühl zu haben, der Traum wäre wie eine Seifenblase geplatzt. Ich habe am Anfang auch überlegt, ob ich den TMS überhaupt schreibe, alle anderen würden sowieso besser sein als ich und fast hätte ich es wegen meinen Selbstzweifeln auch komplett gelassen. Aber ich habe in den letzten Monaten irgendwo zwischen dem ganzen Bangen und dem Stress dazugelernt und bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass alle, einschließlich mir selbst, ihre Ziele erreichen können, egal wie lange es dauert. Ich würde es immer wieder so tun.

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