- Bericht
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- Christina Erhardt
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- 27.09.2016
TMS 2016 – Ein Kampfbericht
Einige medizinische Fakultäten in Deutschland verwenden das Ergebnis des Tests für medizinische Studiengänge (TMS) als ein Auswahlkriterium für einen Studienplatz. Eine gute Chance für alle, die ihren NC verbessern möchten. Der Haken dabei: Man kann diesen Test nur einmal im Leben schreiben.
Sie schwappt hinein, kaum, dass die Tür geöffnet wurde: eine Welle hunderter junger Menschen kämpft sich ihren Weg durch die Eingangshalle in Richtung der Aufnahmeschalter. Sie alle vereint das selbe ehrgeizige Ziel, einen raren Medizinstudienplatz in Deutschland zu ergattern. Ellenbogen werden ausgefahren, hier und da die so wertvollen Vorbereitungsmappen noch fester wie bunte Pappschutzschilder umklammert, damit sie im Getümmel nicht verloren gehen. Denn man hat ihnen viel zu verdanken – bisher zumindest das bloße Gefühl, gut vorbereitet in diese Prüfung zu starten.
Es ist der 30. April, der Tag des Tests für Medizinische Studiengänge 2016 in Nürnberg und ich bin mitten drin. Es ist auch der Tag, an dem ich angesichts der Halle voll von Menschen zum ersten Mal realisiere, dass es neben mir alleine im Raum Nürnberg noch Hunderte mehr gibt, die auf einen heiß begehrten Studienplatz der Medizin spekulieren – und bereit sind, mit allen Mitteln dafür zu kämpfen. Hier sind es keine Bewerbernummern, keine – in ihrer Gesamtheit erschreckend hohen – Ziffern in Berichten, die mir in der Halle begegnen, sondern echte Menschen. Ich sehe ihre verbissenen, gelösten, nervösen oder entspannten Mienen, teilweise noch bis kurz vor Prüfungsbeginn hinter Vorbereitungsmaterial vergraben. Sie alle wollen mit dem TMS zumindest versuchen, ihre Chancen zu verbessern. Wie viele von ihnen wohl am Ende ihr großes Ziel erreichen, als Sieger hervorgehen? Einschlägigen Studien zufolge übersteigt die Zahl der Bewerber die der verfügbaren Studienplätze um das Vierfache. Also erhält nur etwa jeder Fünfte tatsächlich einen Studienplatz, so wie ich. Welche vier Mitbewerber ich inzwischen wohl auf dem Kampffeld hinter mir gelassen habe? Ich will es gar nicht wissen.
Nach drei Monaten mal lascher, mal ehrgeizig intensiver Vorbereitung stehe ich also in einem Wirrwarr aus Stimmen, Gesichtern und Mappen, geordnet zu einer Warteschlange, die mittlerweile von der Garderobe bis hinaus auf den Vorplatz der Messehalle Nürnberg reicht. Bevor man überhaupt in die Nähe des Testraumes kommt, muss man sämtliches Gepäck mit möglicherweise verfänglichem Inhalt in genau choreographierter Exerziermanier abgeben. Übrig bliebt mir noch eine Wasserflasche, Schreibausrüstung, Ausweis und eine Banane. Erst später bestätigt man seinen Kriegseintritt an einem der Anmeldeschalter und erhält mit einem albernen bunten Bändchen für das Handgelenk Zutritt zu den heiligen Hallen.
Die erdrückende Menschenmenge verläuft sich schnell. Ich entscheide mich dafür, bis zum Testbeginn in eineinhalb Stunden den Testraum strategisch zu umkreisen und meine Gedanken zu ordnen. Da der Versuch die Konkurrenz anhand von Gesichtszügen und Verhalten einzuschätzen, bereits zuvor wenig überraschend gescheitert war, bleibt mir nur, mich wiederholt zur Ruhe zu ermahnen und vor dem Testraum in abwartender Position niederzulassen.
Dann geht alles furchtbar schnell. Die Türen schwingen auf, die Teilnehmergruppe B und ich strömen in einen hellen, holzgetäfelten Raum und beziehen an den fein säuberlich, fast militärisch penibel aufgestellten Tischreihen sitzend Stellung. Wenig später erhebt die Testleitung auf der Bühne vor uns das Begrüßungswort, um im selben Atemzug zur Wiederholung der Regeln zu kommen. Die Testhefte werden ausgeteilt, eine angespannte Ruhe kehrt ein, bis der Befehl zum Öffnen der Hefte erteilt wird. Die Schlacht beginnt.
Das Geräusch, das die kritzelnden Stifte auf dem Papier machen, hört sich an wie Maschinengewehrfeuer. Jeder hier im Raum schlägt nun seine eigene Schlacht. Dann und wann hört man ein Stöhnen der Kapitulation, aus der gegenüberliegenden Ecke ein siegessicheres Zischen. Als ich meinen Stift nach Bearbeitung der letzten Zeilen erschöpft fallen lasse, spüre ich nicht viel mehr als Erleichterung und das letzte Bisschen Gehirnmatsch, das mir von diesem alles entscheidenden, bereits siebenstündigen Kampf bleibt. Meine Banane, der treue Kumpan im vergangenen Gefecht, liegt noch unberührt vor mir. Mit ihr in der Hand passiere ich erst die Garderobe, dann den Ausgang, lasse den Schauplatz des grausamen Kriegsgeschehens schwerfällig hinter mir. Als ich meine Eltern auf dem Parkplatz mir hektisch zuwinken sehe, recke ich triumphierend ein mit den Fingern geformtes Victory-Zeichen in die Luft. Ich habe es geschafft. Die Schlacht ist geschlagen.
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