• Bericht
  • |
  • Johanna Reiser
  • |
  • 19.01.2011

Präpassistenz: Ein spannender HiWi-Job

Endlich in der Klinik! Als unendlich frisch erholter Fünftsemester stehe ich Anfang Oktober im weißen Kittel auf dem Flur und bin etwas nervös. Mir steigt ein Geruch in die Nase, den wohl kein Mediziner je vergisst. Es ist kein Desinfektionsmittel, welches da in mir so vielfältige Erinnerungen aufsteigen lässt, sondern Formalin. Und hinter der Milchglastür, auf welche es nun im Pulk zugeht, warten auch keine Patienten, sondern Leichen.

Keine Zeit für nostalgische Gefühle

Der vor mir liegende Präpariersaal ist kein Deja-vù und auch kein wiederkehrender Albtraum: Ich bin als Präparationsassistentin zurückgekommen und ähnlich unruhig, wie vor ziemlich genau einem Jahr. Wobei: Damals war ich entsetzlich aufgeregt, zwischen wesentlich gelasseneren Kommilitonen eingeklemmt bemühte ich mich in der Vertikalen zu bleiben.

So mag es im ersten Augenblick noch mehr erstaunen, dass ausgerechnet ich mich nun schon wieder in den Kreis von zehn murmelnden Studenten um einen Tisch schiebe. Vielleicht auch, weil ich mir einen Benefit davon erhoffe, das Blut eher im Kopf als in den Beinen zu haben...

Zeit für Nostalgie bleibt aber keine. Wir Assistenten werden erst jetzt den Tischen und damit den Professoren zugeordnet. Ich bedauere, nicht unter meinem damaligen Professor assistieren zu können, den jetzigen kenne ich nicht. Er hält die Anfangsrede, dann stellen wir zwei Helfer uns vor, und schon wird die Leiche abgedeckt.

 

Zwei Kurse - ein Leiche

Zwar wusste ich, dass dieser Kurs anders strukturiert sein würde, als noch in unserem Jahrgang, doch es trifft mich trotzdem unangenehm, dass unsere Spenderin auf dem Bauch liegt und in den Hautschnitten auf dem Rücken das Unterhautgewebe gelb glänzt.

Es ist das erste Semester, in welchem sich die zwei Kurse eine Leiche teilen: Der Montag-Mittwoch-Kurs hat schon mit der Präparation begonnen, und "mein" Dienstag-Donnertag-Kurs hat nicht einmal die Gelegenheit, der alten Dame ins Gesicht zu sehen. Stattdessen schauen die Studenten mich an.

 

Klingen dran, loslegen!

Zärtlich-zögernd wird begonnen, zupfende Pinzetten tasten im Gewebe herum. Habe ich auch so unbeherzt dagestanden? Und haben wir auch an jeder kleinsten Hautvene verunsichert eingehalten? Und den Tischassistenten gefragt, was das sei, wie es heiße, was damit geschehen solle? Oh ja!

 

Eine knappe Angelegenheit

Richtige Sektions- und Präparationsassistenten sind wir ja nicht, denn diese Bezeichnung gehört zu einer einjährigen Ausbildung in Berlin. "Präpassi" ist ein Hiwi-Job und kann (zumindest hier in Freiburg) von allen gemacht werden, die den Kurs der Anatomischen Makroskopie erfolgreich bestanden haben. So sind die meisten meiner Kollegen Zahnmediziner, die ihr reguläres fünftes Semester bis zum Physikum neben dem Lernen mit Arbeiten füllen oder Humanmediziner, welche im kommenden Frühjahr zur M1-Prüfung antreten.

Nicht wenige Menschen meiner Umgebung äußern sich verwundert über meinen Nebenjob im Präpsaal: Ja, ist dafür denn in der Klinik überhaupt Zeit? Oh Gott, ich würde da nie freiwillig noch mal reingehen!

Zeitlich ist es tatsächlich eine knappe Angelegenheit: Nicht selten endet eine meiner klinischen Veranstaltungen um 14 Uhr - und schon beginnt der Präpkurs. Um 18 Uhr die gleiche Raserei in die andere Richtung gen Mikrobiologie, Pathologie, Vorlesungsgebäude. Kein Tag der Woche ist frei geblieben, auch kein halber.

Leider gab es auch Schwierigkeiten bei der Kommunikation zwischen Anatomischen Institut und Sekretariat des klinischen Abschnitts, sodass so manche Veranstaltung noch unpassender liegt, als es ohnehin schon sein müsste.

Und trotzdem stehe ich voll hinter meinem Job: Ich mag die Arbeit als Tutorin. Als Mittler zwischen Professor und Student haben wir - vor allem als Assistent mit Physikum - eine angenehm neutrale Position. Die Drittsemester fragen uns ohne Hemmungen Löcher in den Bauch, erkundigen sich nach Lernmethoden, nach tatsächlicher Wichtigkeit manch "unverzichtbaren" Wissens oder bekommen auch mal ein Schulterklopfen, wenn der abgezogene Professor hängende Köpfe zurückgelassen hat.

 

Vorteile des Präpassi-Jobs

Andererseits kann man den Dozenten nun selbst völlig unverkrampft ausfragen, denn in seinem eigenen Anatomiekurs war man meist völlig erschlagen von Basisinformationen - und konnte auch nicht einschätzen, ob eine Frage doch ein bisschen "dumm" wäre. Nun entsteht so manch interessante Diskussion, völlig frei von der Sorge, man könnte diesem Menschen nicht nur in einem Testat, sondern sogar im Physikum gegenüber stehen.

Auch das anfängliche "Pech", nicht bei meinem geschätzten Professor zu arbeiten, relativiert sich, denn erstaunt höre ich so manchen neuen Sachverhalt und mir unbekannte Anekdote.

Beglückend ist auch zu sehen, dass der Präpassi mal merkt, wie viel er gelernt hat in den tausend Stunden am Schreibtisch, wo ihm im Dämmerzustand morgens gegen halb 3 das Gefühl beschlich, mit jeder weiteren Lehrbuchseite nur noch entsetzlich dümmer zu werden.

Starrte ich vor meinem ersten Anatomie-Testat interessiert auf den in Vierbeinerhaltung abgebildeten, psychedelisch gestreiften Menschen in meinem Atlas und merkte mir Codekombinationen wie Th 1-N. cut. antebr. med., so wird mir erst heute - mit einem Jahr Verspätung - klar, dass ich erst nach dem fünften, dem Neuro-Testat, begriffen hatte, um was es da eigentlich geht und was es bedeutet.

Auch die Verknüpfung mit den anderen Vorklinik-Fächern, welche ja zum Teil dem Anatomiekurs folgten, lässt einen den Körper auf dem Tisch anders begreifen, wesentlich komplexer.

Ganz abgesehen davon, dass man ja einen anderen Menschen vor sich liegen hat. Und so komme ich dazu, eine Knie-TEP von allen Seiten begutachten zu können, einen ZVK in situ, Lebermetastasen, innere OP-Narben aller Art und überhaupt die Vielfalt physiologischer Spielvarianten des menschlichen Körpers.

Der menschliche Körper bezaubert mich in seiner komplexen Ästhetik nach wie vor; sogar noch, wenn ich ihn, mit der jahreszeitlich bedingten immer früheren Dunkelheit vor den blinden Fenstern des Saals, von einer menschlichen Einheit entfremdet finde.

 

Organisations- statt Lehrauftrag

Natürlich ist manche Stunde am Tisch auch einfach nur anstrengende Arbeit und die Präpassistenz eben ein 33 Stunden monatlich umfassender Studentenjob, der einem ein wenig Geld in die Kasse bringt. Zwischen 8 und 9 Euro die Stunde gibt's, dazu Weihnachtsgeld. Vorbereitung muss man noch extra mit einkalkulieren. Dabei geht es allerdings weniger um die anatomischen Inhalte als um die Reihenfolge und Art der Präparationsschritte.

Auch organisatorisch bin ich sehr gefragt: Anwesenheit, Referate, Aufteilung der zu bearbeitenden Gebiete, verlorene Präpbestecke,... Natürlich soll ich dann bitteschön auch mal, von der kurzen Handmuskulatur aufschauend, kurz sagen, ob dies der Levator veli palatini ist und welcher Hirnnervenkern dazugehört, aber Unterrichten gehört offiziell nicht zu unseren Aufgaben - woher sollten wir das auch können? Dann schäle ich mich eben aus den Handschuhen und blättere im Atlas. Immerhin fällt mir dann auch meist wieder ein guter Merkspruch ein.

Die Gesichter um uns Präpassis herum verraten immer wieder Erleichterung: "Wenn die/der das irgendwie geschafft hat, müsste das bei mir doch mit dem Teufel zugehen, wenn's nicht hinhaut…"

Wahrscheinlich ist es für viele Präpassis das erste Mal, dass sie für die Kenntnisse, die sie im Medizinstudium erworbenen haben, finanziell entlohnt werden. Das ist durchaus motivierend. Und doch schon fast wieder nebensächlich, wenn einen der Professor grüßt - mit Namen! Oder wenn man von seinen jüngeren Kommilitonen ein dankbares Grinsen erntet, nachdem man pantomimisch hinter dem Rücken des Professors "Processus ptergoideus" dem Befragten zugemorst hat.

 

Fazit: Noch mal von vorn!

Allen Klinikern sei also gesagt, dass es sich trotz der terminlichen Enge lohnt, bei Interesse am Anatomischen Institut anzufragen.

Und den Vorklinikern sei bei allem Stöhnen und der Sehnsucht nach dem "richtigen" Medizinstudium leise ins Ohr geflüstert, dass ein Menschenherz in der Hand tausendmal spannender ist als die Dosierung eines Medikaments, dessen Wirkmechanismus nicht bekannt ist; dafür aber eine Liste mit siebenundfünfzig nicht logisch zusammenhängenden Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Interaktionen. Genießt es!

Und wenn ihr auch auf den wahnsinnig arbeitsintensiven Präpkurs flucht (wie ich), so kommt hoffentlich auch von euch der eine oder andere zurück und sagt (wie ich): Noch mal von vorne bitte!

Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen