• Artikel
  • |
  • Michaela Gruber
  • |
  • 20.11.2008

Medizinstudium mit Kind in Österreich

Laut der letzten Studierenden-Sozialerhebung sind 10,9% der Studierenden Eltern. Angesichts des straffen Stundenplans der neuen Medizin-Curricula stellt sich die Frage, ob und wie denn Studium und Kind realisierbar sei. Im Folgenden ein paar Beispiele, die zeigen, dass es dennoch möglich ist. Gerade angesichts der hart umkämpften Facharztausbildungsstellen und der 60-Stunden-Wochen im Turnus ist das Studium nicht der schlechteste Zeitpunkt, um einem Kinderwunsch nachzugehen.

 

Studieren mit Kind in verschiedenen Lebenssituationen

Heute ist der 2. Oktober, Uhrzeit 06:30 - mein Wecker läutet den ersten Tag des neuen Semesters ein. Ich bin jetzt im dritten Studienabschnitt und freue mich auf mehr Praxisnähe und auf Patientenkontakt. Dies bedeutet aber auch 100% Anwesenheitspflicht - jeden Tag, in allen Lehrveranstaltungen. An nicht wenigen Tagen beginnt mein Unitag um 8:00 ca. eine Stunde Fahrzeit von Wien entfernt in Tulln und endet um 16:00 oder gar später, mit einer halben Stunde Mittagspause.
Meine Kollegin Lisi (24) hat mit mir zu studieren begonnen. Letzten Dezember hat sie erfahren, dass sie schwanger ist und im August hat sie ihre kleine Tochter Laura bekommen. Nun kann sie sich ihr Leben ohne die Kleine schon gar nicht mehr vorstellen und ist froh über ihre Entscheidung, das Kind trotz Studium bekommen zu haben. Das kommende Jahr wird sie jedoch pausieren sowie wahrscheinlich auch noch ein zweites Jahr, da ihr Freund Peter bereits im Turnus ist. Die junge Familie kann auf sein Einkommen nicht verzichten. Wenn sie sich an die neue Lebenssituation gewöhnt hat und Laura etwas älter ist, möchte Lisi an ihrer Diplomarbeit weiterarbeiten. Sie hofft, dass sie danach den zweiten Abschnitt in Mindestzeit abschließen kann.

Harald (33) studiert ebenfalls Medizin, er hat davor jedoch schon 14 Jahre gearbeitet und auch ganz gut verdient. Er ist verheiratet und hat mit seiner Frau zwei Kinder. Seine Familie unterstützt ihn dabei, seinen Lebenstraum Medizinstudium zu verwirklichen. Die beiden Söhne Daniel und Jakob gehen bereits in die Grundschule und seine Frau arbeitet Teilzeit in einem Büro. Vom Staat bekommt Harald 606 Euro Selbsterhalterstipendium im Monat sowie die Studiengebühren rückerstattet. Nebenbei programmiert er freiberuflich Homepages und arbeitet als Tutor im Lernzentrum der Universität. Im Sommer arbeitet er meist zwei Monate als Krankenpfleger in einem Gemeindespital. Er erreicht damit die Zuverdienstgrenze für die Studienbeihilfe fast jedes Jahr ziemlich genau. Natürlich ist das Geld für eine vierköpfige Familie etwas knapp. Der Umstieg von gut 2000 Euro Monatsverdienst plus Weihnachts- und Urlaubsgeld zu nunmehr knapp dem halben Einkommen ist nicht leicht gefallen. Aber Harald bereut die Entscheidung fürs Medizinstudium keineswegs und ist froh, dass er nun wieder mehr Zeit für seine Kinder hat als früher.

Andi (23) und Eva (22) sind schon seit der Schulzeit ein Paar. Sie haben vor 3 Jahren gemeinsam mit dem Zahnmedizinstudium begonnen. Voraussichtlich müssen sie etwa 2 Jahre auf einen Platz in der Zahnklinik, also der praktischen Ausbildung, warten. Während dieser Zeit können sie ansonsten nur an der Diplomarbeit arbeiten. Sie wollen beide auf jeden Fall Kinder bekommen. Sie überlegen nun, ob es nicht eine gute Idee wäre, diese Wartezeit dafür zu nutzen.

 

Ist ein Medzinstudium mit einem Kind vereinbar?

Laut dem letzten "Bericht zur sozialen Lage der Studierenden" des Bildungsministeriums haben österreichweit 10,9 % der StudentInnen eines oder mehrere Kinder. Das Medizinstudium ist insbesondere seit der großen Curriculumnovelle 2002 besonders schwer mit Familie zu vereinbaren, da das Studium sehr verschult, unflexibel und mit viel Anwesenheitspflicht verbunden ist. Hat man den EMS für Wien oder Innsbruck bzw. das entsprechende Auswahlverfahren in Graz geschafft, muss man erst mal mit hunderten Vollzeit-Studierenden um einen der raren Plätze für das nächste Studienjahr kämpfen. Nur knapp jedeR zweite StudienanfängerIn kann in Wien für den Herbst 2007 mit einem Platz im zweiten Abschnitt rechnen.
Im sechs Semester dauernden zweiten Abschnitt existieren in Wien immerhin eigene Kleingruppen, die Berufstätigen und Studierenden mit Kind offen stehen, bei denen alle Pflichtveranstaltungen nach 17:00 stattfinden. In den letzten beiden Studienjahren finden in Wien die klinischen Tertiale statt. Hier muss man wieder mit täglicher Anwesenheitspflicht an der Uni rechnen, wobei die klinischen Praktika um 8:00 beginnen und am Nachmittag meist Seminare stattfinden. Mit einigen Abwandlungen unter anderem hinsichtlich der Dauer der Abschnitte ist die Situation in Graz und Innsbruck sehr ähnlich. Somit hat sich die Vereinbarkeit von Medizinstudium und Kind in den letzten Jahren erheblich verschlechtert.

Die geschilderten Situationen meiner KollegInnen zeigen bereits, dass "Studierende mit Kind" eine sehr heterogene Gruppe sind, die sich abgesehen von den beiden Tatsachen dass sie studieren und Kinder haben in den verschiedensten Lebenssituationen befinden und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Für den einen mag der Nachwuchs eine zusätzliche Motivation für ein zügiges Studium bedeuten, für den anderen kann es der entscheidende Fallstrick sein, der zum Abbruch des Studiums führt. Was jedoch unterscheidet diese beiden Gruppen Warum scheitert im einen Fall das Studium mit Kind und im anderen Fall nicht?

 

Praktische Informationen zu staatlichen Beihilfen

Eine häufige Sorge von angehenden Eltern ist die finanzielle Situation der jungen Familie. Zumindest für die ersten Lebensjahre des Nachwuchses sieht es aber in Österreich gar nicht so schlecht aus. Für die ersten 30 Lebensmonate des Kindes bekommt man als ÖsterreicherIn 14,53 Euro Kindergeld pro Tag, dazu kommen für ein Kind bis zum 3. Geburtstag ca. 155 Euro Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag monatlich. Für AlleinverdienerInnen und einkommensschwache Familien kann man noch einen Zuschuss von 6,06 Euro täglich zum Kindergeld beziehen. Den Zuschuss muss man jedoch grundsätzlich zurückzahlen, wenn man später finanziell dazu in der Lage ist.
Ist der/die Studierende bei Geburt des Kindes noch nicht 26 bzw. 27 Jahre alt, beziehen seine/ihre Eltern für ihn/sie ebenfalls ca. 200 Euro Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag. Kommt man aus einer einkommensschwachen Familie, kann man zusätzlich monatlich bis zu 400 Euro Studienbeihilfe sowie 60 Euro Zuschlag für studierende Eltern beziehen. In diesem Fall werden die Studiengebühren zurückerstattet. Am Ende dieser komplizierten Rechnung stehen also im Idealfall ca. 1250 bis über 1400 Euro Monatseinkommen aus staatlichen Transferleistungen. Das Kindergeld erhält man aber höchstens bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Man erhält keine Studienbeihilfe bekommt, wenn die eigenen Eltern gut verdienen. Man verliert sie trotz sozialer Bedürftigkeit ebenfalls, wenn man für einen Studienabschnitt zu lang braucht. Mit etwas Pech erhält man also statt in Summe 1250 Euro ab dem dritten Geburtstag des Kindes auf einmal nur mehr 170 Euro monatlich.

 

Wie soll man davon leben, geschweige denn studieren können?

Abgesehen von finanziellen Problemen, insbesondere bei allein erziehenden Studierenden, ist es oft noch mehr ein zeitliches Problem, Kind und Studium zu vereinbaren. Es gibt leider nur wenige Kinderbetreuungseinrichtungen, die den flexiblen Bedürfnissen studierender Eltern entsprechen. Das fängt schon damit an, dass die meisten Kindergärten die Kinder erst ab einem Alter von 3 Jahren aufnehmen. Als Studierender benötigt man aber oft nur für die Dauer des Seminars/ Praktikums jemanden, der Söhnchen oder Töchterchen ein paar Stunden beaufsichtigen kann. Auch wenn das Seminar mal von 18:00 bis 20:00 dauert.
Der entscheidende Faktor hinsichtlich der Vereinbarkeit von Studium und Kind ist daher in sehr vielen Fällen das soziale Umfeld. Existiert ein Partner, mit dem man sich Betreuungsaufgaben auch mal teilen kann, ist die Studienzeit als angehendeR Arzt/Ärztin nicht der schlechteste Zeitpunkt Kinder zu bekommen. Großeltern, die sich gerne manchmal um das Enkerl kümmern und die junge Familie gegebenenfalls auch finanziell unterstützen, sind auch eine große Hilfe.

Die ÖH-Vertretungen auf den Medizinischen Universitäten haben zum Thema "Studieren mit Kind" jede Menge Infomaterial und beraten bei Fragen zu Beihilfen und sonstigen Förderungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Beurlaubung vom Studium sowie zu Angeboten der Universität für betroffene Studierende.

 

Stipendium für Studierende mit Kind

http://www.mawista.com/stipendium/

Bücher für die Vorklinik

PROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem
Michael Schünke, Erik Schulte, Udo SchumacherPROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem

LernAtlas der Anatomie

EUR [D] 79,99

Mein Studienort

Medizinstudenten berichten aus ihren Unistädten

Werde Lokalredakteur Die Unistädte auf Google Maps
Medizin im Ausland

Erfahrungsberichte und Tipps aus über 100 Ländern

Erfahrungsbericht schreiben Auslands-Infopakete
Cookie-Einstellungen