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  • Anne Hartmann
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  • 19.04.2021

Mein Pflegepraktikum auf der Intensivstation

Drei Monate Pflegepraktikum – drei Monate Patienten waschen, Blutdruck messen, Kaffee kochen. Das Pflegepraktikum wird oft als zusätzliche Belastung angesehen, die es zwischen Vorlesungszeit und Klausuren-Phase irgendwie unterzubringen gilt. Über mein zweites Tertial im Praktikum, das so gar nicht den oben genannten Erwartungen entsprach.

 

Der erste Tag im Praktikum. Für mich geht es einen Monat auf die Intensivstation für Herz-, Thorax-, und Gefäßchirurgie. „Semesterferien“ werde ich zwischen Schichtdienst und der Vorbereitung auf den berüchtigten Präparier-Kurs, der im hallensischen Curriculum schon für das zweite Semester vorgesehen ist, wohl nicht haben. „Da kannst du sicher viel mitnehmen“, meint die Mitarbeiterin des Personalreferats über die kommenden 30 Tage auf Station, als ich morgens in Krankenhaus ankomme. Ich lächele müde und denke mit Sorge an die Berge an Uni-Stoff, vor denen ich nun die Nachmittage verbringen werde.

Mein erster Eindruck der Station ist geprägt von der Geräuschkulisse. Aus sämtlichen Zimmern dringt Piepsen, Klingeln, Läuten. Die Warnsignale der Screening-Monitore und Perfusoren empfinde ich an diesem ersten Tag als besonders laut und störend, ich fühle mich gestresst. Nach einigen Tagen gehen die Geräusche jedoch im Rauschen des Arbeitstags unter, man gewöhnt sich doch an alles.
 
Ich bekomme eine kurze Führung über die Station, – rund 20 Patienten werden hier von einem Team aus etwa sechs Intensivfachkräften pro Schicht betreut, mal mehr, mal weniger. Unterbesetzung ist auch hier ein großes Thema – und auf Intensivstationen ein besonders kritisches, da es hier des Öfteren zu lebensbedrohlichen Notfällen kommt, in denen dann nicht adäquat agiert werden kann. Um Personallücken zu schließen, werden Mitarbeitende von anderen Stationen tageweise „ausgeliehen“ oder Springer auf Station versetzt. Doch wie sollen Augenärzt*innen, Radiolog*innen oder Pflegekräfte ohne Wissen zum Umgang mit Beatmungsmaschinen hier eine wirkliche Entlastung darstellen?

Schnell stelle ich fest, dass sich der Arbeitsalltag der Intensivfachkräfte deutlich von dem auf Normalstation unterscheidet. Die Pflege scheint sehr viel „maschineller“, da die Patienten meist nicht ansprechbar sind und somit das in der Pflege sonst so wichtige Zwischenmenschliche eine untergeordnete Rolle spielt. Zudem sind die hier Behandelten in der Regel in einem instabilen Zustand, oftmals kommt es aus heiterem Himmel zu lebensbedrohlichen Notfallsituationen.

Einmal muss in der Folge eines solchen Notfalls sogar ein operativer Eingriff auf Station durchgeführt werden. Innerhalb weniger Minuten wird das Krankenzimmer in einen Operationssaal verwandelt. OTAs, Kardiotechniker, Pflegekräfte, Ärzte hetzen über die Stationsflure, während der Chirurg bereits den Thorax der kollabierten Patienten öffnet. Die 46-Jährige war am Vortag am Herzen operiert worden, nun ist es zu einer intrathorakalen Schwellung gekommen. Während der OP wird der Chefarzt der Herzchirurgie angerufen und um Rat gefragt – kein gutes Zeichen, erkenne auch ich als Laie. Der Thorax soll nun ein paar Tage offengehalten werden, bis die Entzündung abgeklungen ist. Trotz aller Mühen überlebt die Patientin den Vorfall nicht, Diagnose: Hirntod. Das ist das erste Mal, dass ich einen Todesfall auf Station miterlebe. Es ist schrecklich zu sehen, wie die Frau so aus ihren Leben gerissen wurde. Zu akzeptieren, dass die Medizin Grenzen hat und nicht alles „repariert“ werden kann, finde ich schwer.

Während des gesamten Praktikums sind die Konfrontation mit Langzeitfolgen und Tod bleibende Themen. „Ich sitze im Zug“, antwortet eine verwirrte Patientin die Frage, ob sie denn wisse, wo sie sei – auch ich habe an manchen Tagen das Gefühl, in einer Bahnhofshalle zu arbeiten. Die Menschen, die hier liegen, wissen noch nicht, ob sie aus dem Zug aussteigen werden, weiterleben, oder an allen Bahnhöfen dieser Welt vorbei in eine unbekannte Welt rauschen.

Auf der anderen Seite passiert hier auch Wunderschönes. Hier werden Leben gerettet, es wird Menschen wirklich geholfen.
Besonders im Kopf bleiben mir die Geschichten der Menschen, die an einer koronaren Herzkrankheit erkrankt sind, einem nach außen fast unsichtbarem Leiden. Bei einem Patienten, Mitte 50 und Vater zweier Töchter, wird eine Dreigefäßerkrankung diagnostiziert. Das Risiko, dass dieser in den nächsten Jahren durch einen Herzinfarkt aus dem Leben gerissen wird, kann durch einen Stent deutlich reduziert werden. Auch wenn der Mann vor dem Eingriff unter Angstzuständen leidet, in der Regel ein schlechtes Omen, verläuft alles wie geplant.

Auch nach den ersten zwei Wochen bin ich morgens noch gespannt, was der Tag bringt. Ständig treten noch nicht da gewesene Situationen auf, in die ich mich neu einfinden muss. Einerseits erlebe ich das als anstrengend, andererseits macht es die Arbeit unglaublich abwechslungsreich. Ein weiterer Vorteil des Einsatzes auf der chirurgischen Intensiv-Station ist auch, dass sich Gelegenheiten bieten, bei diversen OPs und Untersuchungen dabei zu sein. So kann ich beim Ausbau einer ECMO zusehen, per Monitor mitverfolgen, wie Radiologen ein Loch in einer Arterie ausfindig machen, Patienten zum CT begleiten oder bei Pleura-Punktionen und Tracheotomien assistieren. Mein persönliches Highlight ist der Tag, den ich im Herz-OP verbringen darf. Ich begleite einen Patienten, bei dem eine Bypass-OP ansteht und stehe während des gesamten Eingriffs mit am Operationstisch! Nachdem ich morgens ein Herz habe schlagen sehen, fällt es mir nachmittags auch um so leichter, nochmal an den Prometheus aufzuschlagen.

Auch die Osterfeiertage fallen in den Zeitraum meines Praktikums. Doch anders als 2020 sitze ich in diesem Jahr nicht bei Kaffee, Kuchen und Diskussion über das neuartige Virus aus Wuhan am elterlichen Küchentisch. Im Krankenhaus sehe ich, wie die Pandemie das Gesundheitssystem herausfordert. Sämtliche Prozesse, von der Müllentsorgung über die Reinigung bis zur Pflege erfordern ein Plus an Zeit, Mühe und Material. Auch auf der Station, auf der ich tätig bin, werden COVID-Patienten behandelt. Die unmittelbare Konfrontation mit den Langzeitfolgen oder dem Tod der Patienten durch das Corona-Virus fühlt sich anders an, als wenn in den 20-Uhr-Nachrichten über die steigende 7-Tage-Inzidenz berichtet wird. Plötzlich sehe ich die Menschen hinter den Zahlen und nehme teil an deren tragischen Geschichten. Neben dem Willen mitanzupacken, zu helfen, ist da die Angst Familie, Freunde, Fremde anzustecken, selbst zu erkranken. Die wird wohl bleiben, in dem Beruf.

Gegen Ende des Praktikums kann ich sagen, das Ziel, das ich laut der ärztlichen Approbationsordnung im Pflegepraktikum erreichen soll, kann ich wohl doppelt und dreifach abharken. Paragraf 6, Absatz 1 zufolge sollte ich als Medizinstudentin im Rahmen des Pflegepraktikums in den Betrieb und die Organisation des Krankenhauses sowie den Stationsalltag eingeführt werden. Eine Zielsetzung, zu deren Erreichen es, wie ich finde, keiner 90 Tage als unterqualifizierte Hilfskraft bedarf. Dank einiger Pflegekräfte, PJler*innen und Ärzt*innen, die immer bereit waren, zu erklären, mich viel selbst haben ausprobieren lassen, konnte ich jedoch viel mehr mitnehmen! Fast wichtiger ist für mich jedoch, dass das Praktikum Praxisbezug in der doch recht theoretischen Vorklinik-Zeit schafft und Motivation für das kommende Semester spendet!

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