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- Text und Fotos: Katharina Schander
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- 01.08.2011
Körperspendern für die Anatomie gebührt Dank
„Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis!“ Bei diesem Zitat aus dem Evangelium ist Gläubigen Motiv und Auswirkung klar: Jesus gab sein Leib und sein Leben aus Menschenliebe hin und eröffnete nach dem christlichen Glauben die Möglichkeit zum ewigen Leben - so der Glaube. Was bewegt aber heutige Körperspender dazu, ihre Leichname für unsere Sezierkurse zur Verfügung zu stellen?
Die Fragestellung
Zögerlich nähern sich meine Finger der grauen, puppenartigen Hand. Ich berühre den Oberarm der Frau. Süßlich riecht es - nach Formalin…
Die kundigen Tutoren aus den höheren Semestern haben uns Erstsemestler in den Präpariersaal geführt.
Einige Minuten später habe ich teilpräparierte Organe in den Händen, fühle, taste, bestaune. Wir Studenten flüstern miteinander.
Es waren die ersten Sekunden der Begegnung mit den Leichnamen im Präparationssaal, die mich tief berührt haben. Obgleich dies nicht die ersten Leichen waren, die ich gesehen und angefasst habe, empfand ich eine Mischung aus Respekt, Dankbarkeit und Mitleid für diese Menschen.
Seitdem stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie kommt ein Mensch zu der Entscheidung, seinen Körper für die Ausbildung von Medizinstudenten zu spenden?
Die Gesellschaft
Ich bin bei Weitem nicht die Einzige, die sich mit dieser Frage befasst. Die Möglichkeit, seinen Körper nach dem Tod nicht sofort bestatten zu lassen, ist ethisch noch immer umstritten und übt gleichzeitig eine Faszination auf die Menschen aus: Die Thriller „Anatomie“ und „Anatomie 2“ erwiesen sich als Kassenschlager. Auch berichteten Zeitungen und Zeitschriften von einem regelrechten „Boom“ bei Körperspenden an Universitäten. Dabei sorgten Überschriften wie „Leiche im Keller“ dafür, dass die Artikel reichlich Leser fanden.
Vor Jahren sorgte die Ausstellung „Körperwelten“, die seit Februar nach einer erfolgreichen USA-"Tournee" wieder auf deutschem Boden ist, mit ihrer Entstehung für Furore. Die anatomische Schau von Gunter von Hagens machte präparierte Menschen und Organe dem breiten Publikums zugänglich und erlebte einen überwältigenden Andrang von Besuchern. Gleichzeitig wurden kritische Stimmen immer lauter, und auch die Anatomische Gesellschaft Deutschlands bezeichnete die Ausstellung in ihrer offiziellen Stellungnahme als „sensationsheischende Erlebnisanatomie“. Ebenso brodelte die Gerüchteküche rund um das Thema, wie die Ausstellung wohl ihre stetig wachsende Sammlung fülle.
Das Procedere
Bei Körperspenden für die universitäre Medizinstudentenausbildung gibt es einen klar definierten Ablauf. Wo erhalten die Menschen die nötige Information und Antworten, falls sie darüber nachdenken, ihren Körper für Lehrzwecke zur Verfügung zu stellen?
Für die Leichenspenden sind die Anatomischen Institute der Universitäten zuständig. Manche Unis, wie die Universität Homburg, stellen umfangreiche Materialen im Internet bereit; andere, wie das Institut in Bonn, sind nur schwer zu erreichen - und das ausschließlich über Telefon.
Nach gründlicher Information wird eine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen, die jederzeit ohne Nennung von Gründen vom Entscheidungsträger durch eine kurze Notiz rückgängig gemacht werden kann. Das Institut stellt einen Körperspendenausweis aus.
Auf dem Dokument sind unter anderem die Kontaktdaten des Anatomischen Instituts vermerkt, das im Todesfall unverzüglich informiert wird. Der Leichnam wird konserviert und verweilt ein bis zwei Jahre im Institut, bevor er im Präparationskurs eingesetzt wird. Nach Ende des Kurses werden die Körper eingeäschert und bei einem Trauergottesdienst im Kreis von Angehörigen und Studenten beigesetzt. Die Grabpflege übernimmt die Universität.
Aktuelle Entwicklungen
Längst können nicht alle Universitäten die gesamten Bestattungskosten tragen. Vor einigen Jahren noch war das noch kein Problem. Das Sterbegeld, eine feste Summe, mit der der Staat die Angehörigen jedes verstorbenen Bundesbürgers unterstützte, wurde im Falle einer Leichenspende den Anatomischen Instituten überlassen. Das Institut übernahm alles rund um die Bestattung. Mit der Anspannung der wirtschaftlichen Situation beschloss man in der Politik, das Sterbegeld zum Jahre 2004 abzuschaffen.
Die Anatomischen Institute reagierten unterschiedlich. „Bei uns in Bonn werden die Bestattungskosten nach wie vor von der Universität getragen“, so Herr Dr. Miething, der am Anatomischen Institut Bonn für die Körpervermächtnisse zuständig ist. Er erklärt weiter: „Wir haben aber eine Grenze gesetzt. Nur Menschen, die vor 1940 geboren wurden, also mittlerweile mindestens 69 Jahre alt sind, können Körperspender werden.“ Auch die Universität in Bochum und Gießen erheben keine Gebühren, wobei eine Altersgrenze nur teilweise gezogen wird.
Die Bedingungen schwanken aber insgesamt stark: Während in München, Hannover oder Homburg jeder Körperspender 1100€ zahlt, den Preis der durchschnittlichen Bestattung, bittet die Uni Greifswald um eine Teilzahlung von 600€. Die Grabpflege wird nach wie vor von den Universitäten getragen.
Die Mythen
Durch das Vermächtnis ... so richtig "absahnen"?
Die Aussage, man bekomme Geld für seinen Körper, wenn man ihn einer Universität vermachte, hält sich nach wie vor beständig. Vor einigen Jahren, nach der Abschaffung des Sterbegeldes, kam es zu einem regelrechten „Boom“ an Körperspenden, der in langen Wartelisten ausartete. In einem Forum im Internet lese ich: „Von einer Bekannten meiner Mutter weiß ich, dass die, als sie ihren Körper der Wissenschaft noch zu Lebzeiten verkaufte, noch richtig Geld dafür bekommen hat“.
Die Beweggründe
Damit sind wir bei der ursprünglichen Frage angelangt: Was bewegt Menschen dazu, Ihre Körper für unsere Sektionskurse zur Verfügung zu stellen?
Pfarrer Walter Koll ist katholischer Seelsorger der Universitätskliniken Bonn. Seit Jahren leitet er die Trauergottesdienste, bei denen die Beisetzung der Leichname erfolgt. Der freundliche Priester empfängt mich am Tag nach der Beisetzung in seinem Sprechzimmer in der Poliklinik.
„Zum einen ist natürlich ein ordentliches Begräbnis für Menschen garantiert, die keine Angehörige mehr haben, wenn sie sich zur Verfügung stellen. Das ist sicher ein Beweggrund. Aber ich glaube, viele sind von dem Wunsch geleitet, auch über den Tod hinaus Hilfe zum Leben zu leisten. Das ist so ähnlich wie bei vielen Organspendern, die ich an der Klinik seelsorgerisch begleitet habe. Das Wissen über den Tod hinaus Gutes zu tun, bringt eine Erleichterung im Sterben“.
Auch Dr. Andreas Miething vom Anatomischen Institut bekundet seine Hochachtung darüber, "wie souverän und wie pragmatisch die älteren Menschen sich mit dem Sterben auseinandersetzten. Der Tod ist kein Tabu-Thema mehr“.
Seiner Erfahrung nach gehen insbesondere Menschen diesen Schritt, die zu Lebzeiten gute Erfahrungen mit der Medizin gemacht haben. Sie selbst wurden vielleicht von einer Krankheit geheilt. Nun wollen sie ihrerseits dazu beitragen, dass Mediziner gut ausgebildet werden und weiteren Menschen helfen können, so Miething. „Sicherlich spielt auch der finanzielle Aspekt manchmal eine Rolle, aber er ist eher untergeordnet“.
Die Angehörigen
Also sind es zum einen einsame und bedürftige Menschen, die um ein würdiges Begräbnis wissen und ihren Tod mit Sinn füllen möchten. Außerdem sind es Menschen, die auch nach ihrem Ableben den Menschen nutzen bringen wollen – weil sie besonders positive persönliche Erfahrungen gemacht haben oder sich aus sonstigen Gründen der Wissenschaft verpflichtet fühlen.
Was denken aber die verbliebenden Verwandten über diese Entscheidung?
„Für die Angehörigen ist es sicherlich nicht einfach. Der Prozess des Trauerns wird in solchen Fällen stark verändert – die Verwandten können nicht in der üblichen Form Abschied nehmen. Natürlich hört das Trauern nie auf, aber mit dem Begräbnis ist die erste Stufe gewissermaßen vollendet. Bei einer Körperspende ist die Trauer ist aber zunächst nicht abgeschlossen. Ich habe oft erlebt, dass Angehörige am Grab heftig weinen. Die tiefe Trauer besteht auch noch nach zwei Jahren“, schildert Koll.
Der Trauergottesdienst vom Anatomischen Institut Bonn
Die Angehörigen: Sind es viele? Wie bewerten sie die Entscheidung? Aus welcher sozialen Schicht stammen sie?
Einmal im Jahr werden nach Abschluss des Präparierkurses vom Anatomischen Institut eine evangelische und eine katholische Beerdigung veranstaltet. An diesen nehmen Angehörige, Mitarbeiter des Instituts sowie Studenten des Kurses teil, der in Bonn im dritten Studiensemester stattfindet. Studenten aus anderen Jahrgängen sind ebenfalls eingeladen.
Schon an den Toren des Nordfriedhofs in Bonn strömen an diesem Frühlingsmorgen große Menschenmengen zusammen, um den katholischen Körperspendern die letzte Ehre zu erweisen. Der evangelische Trauergottesdienst fand eine Woche früher statt. Die Drittsemester, die in jeder stressigen Phase bisher einen Witz auf den Lippen hatten, sind ungewöhnlich ernst und wortkarg.
Die Leichname von neun Körperspendern werden beigesetzt. In der winzigen Kapelle nehmen die Angehörigen Platz auf den Bänken, zwei bis drei sind es im Durchschnitt, die von jedem Verstorbenen Abschied nehmen. Sie haben Blumen mitgebracht.
Die Angehörigen sind so verschieden, wie es auch die Verstorbenen waren: Es sind junge sportlich gekleidete Männer in den Dreißigern, gepflegte Frauen in gut genähten Businessanzügen, durchschnittliche Bürger in den Vierzigern, ältere Menschen. Wir Studenten stehen während des Gottesdienstes.
Pfarrer Müller macht auf eine Gemeinsamkeit aufmerksam: „Wir, die uns hier versammelt haben, waren ganz unterschiedlich mit den Verschiedenen verbunden. Aber ob Angehörige, Mitarbeiter des Instituts oder Studenten, eins ist uns allen gemeinsam: Der Respekt davor, wie diese Menschen ihr Leben und ihren Tod gestaltet haben.“ Er betont in seiner Rede immer wieder die Individualität jedes einzelnen Körperspenders. Mit der Messe soll das ganze Leben und nicht nur die toten Körper der Personen gewürdigt werden. Die Namen der Verstorbenen werden vorgelesen, immer und immer wieder.
Und während die Rede in der Kapelle hallt, während die Beteiligten zusammen singen oder ein Gebet sprechen, während die kleine Blaskapelle spielt, stimmt die Natur an diesem Frühlingsmorgen in die Trauerfeier ein. Zum Gesang der Studenten krabbelt ein Maikäfer gemächlich den Hauptgang hinunter zum Ausgang und zur Sonne. Als an den Gräbern die Blaskapelle zu Ehren der Verstorbenen zwei Musikstücke spielt, sind die Menschen zwar schweigsam, doch die Vögel stimmen in die Musik ein. Die Natur erwacht aus dem Winterschlaf. Dieses symbolische Miteinander von Leben und Tod ist eine eindrucksvolle Spiegelung des letzten Willens dieser Personen: „Durch den Tod den Tod besiegt“, wie es in einem Ostergesang heißt.
Semesterübergreifend spielen Kommilitonen Musikstücke, singen mehrstimmig, und eine kurze Danksagung von uns allen wird vorgetragen. Im Vorfeld wurde eifrig Geld für die Blumensträuße gesammelt, es hat die Bitte zum Gottesdienst zu kommen bei Versammlungen und auf der Internetseite der Fachschaft gegeben. Es macht stolz, mit Menschen zu studieren, die sich die Zeit genommen haben andere auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
Die Studentenbeteiligung
Sowohl der Vertreter des Anatomischen Instituts als auch der Vertreter der Kirche kamen bei meinen Gesprächsterminen sehr schnell auf das Studentenengangement zu sprechen. „Die Studenten sind in den letzten zwei bis drei Jahren sehr aktiv geworden. Sie übernehmen große Teile der Organisation, gestalten den Gottesdienst mit und kommen unglaublich zahlreich zur Beerdigung.“, sagt Miething. „Die studentische Gestaltung des Gottesdienstes berührt die Menschen, die den Spendern nahe standen," betont Koll. "Viele kommen nach dem Gottesdienst um ihre Dankbarkeit zu bekunden“.
Das Privileg
Es ist auch angebracht, dass wir Studenten die große Verbundenheit zum Ausdruck bringen. Schließlich handelt es sich um „Menschen, die uns etwas gegeben haben, was kein Lehrbuch je ersetzen kann“, heißt es in der Dankesrede der Bonner Studenten.
Nicht alle Medizinstudenten genießen dieses Privileg. Guiseppe studiert Medizin in Neapel. Die Miene des sonst immer lustigen Italieners verfinstert sich, als er auf den Präpkurs angesprochen wird. „Diese Scheißanatomie“, schimpfte er laut auf Englisch, „ihretwegen habe ich ein ganzes Jahr verloren. Und mit mir fast alle aus meinem Semester.“ In Italien dürfen durch den starken Einfluss der katholischen Kirche keine Präparierkurse stattfinden, erklärt er. Die Studenten müssen topografische Kenntnisse im Körperinneren des Menschen alleine anhand von Lehrbüchern erlangen – eine fast unmögliche Aufgabe. Auch in den USA werden an immer mehr Universitäten, in diesem Falle aber aus Kostengründen, Präparierkurse gestrichen.
Kein Schritt für jedermann
Die Kirchen verhalten sich bei uns moderat. Umso wichtiger ist es, dass wir die Menschen würdigen, die ihren Körper für unsere Ausbildung zur Verfügung stellen.
Könnten wir selbst so etwas tun? Alle, die ich zu diesem Thema befragt hatte, seien es Medizinstudenten, Pfarrer, Mitarbeiter des Anatomischen Instituts oder nur Bekannte, gaben ein „eher nicht“ als Antwort. „Das könnte ich meinen Angehörigen nicht antun. Sie müssen ja zwei Jahre auf die Bestattung warten“, bringt Katharina aus dem dritten Semester ein nachvollziehbares Argument. „Vor allem wenn ich selbst sehe, wie die Leichname auseinandergenommen werden, kann ich mir das schlecht vorstellen“ ist auch eine verbreitete Aussage.
Ich persönlich könnte es auch nicht. Es sind zwei unterschiedliche Situationen, ob bei der eigenen Beerdigung Menschen versammelt sind, denen man persönlich begegnet ist, oder Medizinstudenten, die den Verstorbenen fast ausschließlich mit seinem toten Körper in Verbindung bringen und sein Vermächtnis würdigen.
Diese Menschen, die in ihrem Leben gelacht, gestritten, geliebt, Gutes getan und auch mal falsche Entscheidungen getroffen haben, verdienen die höchste Form des Respekts. Sowohl bei der Beerdigung als auch während des Halbjahres beim Sezieren. Und das ganz unabhängig davon, was sie dazu bewegt hat, uns bei der Ausbildung zu unterstützen.
So werden Körperspenden an deiner Uni gehandhabt!
Pdf-Dokument des Bundesverbandes der Körperspender
Die Homepage des Prosektors des Anatomischen Instituts in Homburg informiert sehr detailliert über das Thema der Körperspenden an Universitäten
Beim Bundesverband der Körperspender e.V. handelt es sich um einen Verband der Menschen, die ihren Körper nach dem Tod zur Plastination für die Ausstellung "Körperwelten" zur Verfügung stellen. Das Thema aus der Sicht der Körperspender beleuchtet.