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  • Ines Elsenhans
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  • 16.01.2014

Was muss ich zum Klinikeinstieg wirklich können?

Viele Medizinstudenten haben vor der Assistenzarztzeit Bammel. Theoretisch hat man ja einiges auf dem Kasten, aber praktisch sieht es doch recht mau aus. Wir sagen dir, was du zum Klinikeinstieg wirklich können musst.

 

 Junge Radiologin -  Foto: Thieme/T. Möller

Foto: Thieme/T. Möller

 

„Seit meiner Kindheit konnte ich schlafen wie eine Murmeltier; Gewitter, Sirenen – nichts konnte mich wecken. Letzte Nacht habe ich nicht geschlafen.“ So erzählt die innere Stimme von J.D., Hauptfigur der Kultserie „Scrubs – die Anfänger“, an seinem ersten Tag als Assistenzarzt. Das ist zwar nur ein Filmzitat – aber es trifft die Gefühle der meisten Jungmediziner kurz vor Berufsstart recht gut. Eigentlich weiß man ungefähr, was einen erwartet. Trotzdem packt einen die blanke Panik. Alles dreht sich nur noch um eine Frage: Kann ich den Anforderungen gerecht werden? Wir haben vier Assistenzärzte und zwei Chefärzte gefragt, was von den Anfängern in Weiß tatsächlich erwartet wird.

 

Muss ich Medikamente dosieren können?

Medikamente zu dosieren wird von Anfängern selten verlangt. Und wenn doch, lässt sich die Dosierung ganz einfach in einem Buch oder einer App nachlesen. Viel wichtiger ist die Frage: Welches Medikament gibt man überhaupt? Das solltest du aus dem Studium schon wissen, schließlich lernt man dort die Medikamentengruppen und einzelnen Wirkstoffe. Zur Not sorgen aber auch hier Kitteltaschenbücher oder elektronische Helferlein für Aufklärung. Ein Problem sind die Handelsnamen. Die werden im Pharma-Kurs nämlich nie erwähnt, sind aber im Krankenhaus total wichtig. Als Neuling kann man sie kaum alle kennen, weiß Thao Tran, Assistenzärztin im dritten Jahr in der Inneren: „Die Handelsnamen sind in jeder Klinik verschieden. Deshalb bleibt einem nichts anderes übrig, als sich die verwendeten Präparate bei der Arbeit möglichst rasch einzuprägen.“

 

Muss ich Patienten vorstellen können?

Ja, eine Patientenvorstellung sollte man können. Von Martin Wolff, der Assistenzarzt im dritten Jahr in der Neurologie ist, wurde gleich zu Beginn erwartet, dass er Patienten z. B. in der Frühbesprechung vorstellt. Er empfiehlt: „Bringt euch rechtzeitig bei, wie man strukturiert über Vorgeschichte, Dia­gnostik und Therapie eines Patienten berichtet. Am besten beginnt ihr damit im Studium, denn diese ­Fähigkeit braucht ihr spätestens im Hammerexamen.“ Thao hatte das Glück, dass sie das im PJ ausgiebig üben konnte: „Ich hatte während meines Tertials in der Inneren drei Patienten, die ich selbstständig betreut habe und somit auch meinem damaligen Chef vorstellen musste. Trotzdem hatte ich vor meiner ersten Chefarztvisite als Assistenzärztin echt Angst, denn jeder Chefarzt ist ja anders und legt auf andere Feinheiten wert.“ Letztendlich war Thaos Chef sehr zufrieden mit ihrer Präsentation. „Als er mich lobte, war ich wirklich beruhigt,“ erzählt Thao. Auch Friederike Schling­loff, Assistenzärztin in der Herzchirurgie im dritten Jahr war froh, dass sie in ihrem Chirurgie-Tertial ausgiebig lernen konnte, wie man Patienten richtig vorstellt. Sie rät, sich im PJ nicht vor Aufgaben zu drücken: „Wenn man sich zu etwas überwinden muss, das man noch nicht kann, ist das unangenehm, und man versucht der Aufgabe auszuweichen. Aber das bringt nichts, denn spätestens in der Assistenzarztzeit holt es einen ein.“

 

Muss ich Arztbriefe diktieren können?

Arztbriefe diktieren zu können ist keine Voraussetzung in der Klinik, aber es erleichtert einem den Start ungemein. Margret Müller, Assistenzärztin im ersten Jahr in der Inneren, erzählt: „Ich musste vom ersten Tag an Arztbriefe diktieren. Auf der Inneren ist das für Assi­stenzärzte quasi die zweithäufigste Aufgabe neben dem Blutabnehmen. Darum sollte man im PJ schon so viele Arztbriefe wie möglich diktieren, um Routine zu bekommen.“ Martin hat die Gelegenheit damals im PJ nicht genutzt und ärgert sich heute drüber. „Ich habe mich nur langsam an das Diktieren gewöhnt. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es mir viel Zeit erspart. In der Klinik hat man so viel Arbeit, dass man die Zeit nicht vertrödeln darf, sonst kommt man nie in den Feierabend.“ Doch auch, wenn man vom Briefediktieren keine Ahnung hat, findet man sicher einen Kollegen, der es einem erklärt, meint Thao: „Den anderen Ärzten ist ja auch klar: Je schneller du selbstständig arbeiten kannst, desto schneller kannst du sie entlasten.“

 

Muss ich wissen, wie man einen zentralen Venenkatheter legt?

Nein, das wird von einem Anfänger niemand erwarten. Meist lernt man das ZVK-Legen ­während der Intensivzeit, die Teil vieler Weiterbildungen ist. Prof. Königsreiner, Ärztlicher Leiter der Klinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Uniklinikums Tübingen, erklärt: „Bei uns müssen Assi­stenz­ärzte zum Klinikeinstieg ein gewisses allgemeinmedizinisches Wissen haben. Können müssen sie im Prinzip nichts.“ Selbst das ­Braunülenlegen kann man noch „on the job“ lernen. Am wichtigsten ist ihm, dass seine Schützlinge Eigeninitiative zeigen: „Wenn sich jemand von sich aus engagiert, wird er in ­kürzester Zeit viel lernen.“

 

Ärzte auf Station - Foto: Paavo Blafield

Foto: Paavo Blafield

 

Muss ich Sonografieren können?

Sonografieren ist schwierig, und wer darin gut sein möchte, braucht viel Erfahrung. Diese kann ein Assistenzarzt im ersten Jahr noch gar nicht haben. Umso mehr sollte man sich bemühen, Sono-Erfahrung zu sammeln. Dabei ist es wichtig, selbst aktiv zu werden, erzählt Thao: „Ich war oft in meiner Freizeit in der Klinik. Dann hab ich mir einen Patienten geschnappt und den Oberarzt gefragt, ob er Zeit hat, mit mir zu schallen. Er hat dann die Position des Schallkopfes korrigiert und mir geholfen, die Strukturen einzuordnen.“ Sie ist überzeugt: „Wenn die Oberärzte merken, dass du was lernen möchtest und dich engagierst, dann helfen sie dir auch.“

 

Muss ich Notfälle managen können?

Theoretisch muss man kompetente Nothilfe leisten können, sobald man seine Approbation in der Tasche hat. Denn wenn beispielsweise im Flugzeug ein Arzt gebraucht wird, ist man verpflichtet zu helfen. Aber natürlich fehlt am Anfang noch die Routine. „Als Anfänger hat man einfach wenig praktische Erfahrung. Darum ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass man gleich in der Notaufnahme eingesetzt wird“, meint Martin. „Aber es kann immer passieren, dass sich auf Station ein Notfall ereignet, dein Oberarzt gerade nicht da ist und du dann der Einzige bist, der helfen kann.“ In den meisten Kliniken gibt es zwar ein Reanimationsteam, das im Notfall gerufen wird. Doch bis dieses da ist, muss man wissen, wie man den Patienten am Leben erhält. Deswegen sollte man sich möglichst rasch mit den wichtigsten Abläufen, Handgriffen und Algorithmen in Notsituationen vertraut machen. Bis man da richtig drin ist, können bis zu drei Monate vergehen. Und ein verantwortungsvoller Oberarzt wird einen auch erst dann für Nacht- und Wochenenddienste einteilen. Hat man den ersten Not­fall, bei dem man selbst die Abläufe managen muss, gut überstanden, merkt man rasch, dass das alles kein Hexenwerk ist. Doch den Ad­renalinstoß, den man bekommt, wenn ein Notfall ansteht, wird man wahrscheinlich nie ganz los, meint Thao. „Ich weiß zwar heute genau, was zu tun ist. Aber ein Notfall ist immer eine Ausnahmesituation, in der man einfach hoch konzentriert sein muss.“

 

Muss ich Patienten körperlich untersuchen können?

„Natürlich muss ich als frischgebackener Assistenzarzt einen Patienten körperlich untersuchen können“, sagt Margret. „Schließlich muss man auf Station ständig neue Patienten aufnehmen.“ Die meisten dürften damit keine Probleme haben, denn schon im Studium lernt man die Patientenuntersuchung. Diese muss man gewissenhaft durchführen. Wenn man dann mit dem Stethoskop z. B. ein leises Herzgeräusch hört, das über die anschließende Echokardiografie dazu führt, dass ein schwerwiegendes kardiales Problem aufgedeckt wird, kann man stolz auf sich sein. Kein Mensch wird aber verlangen, dass man zum Klinikeinstieg schon jeden noch so diskreten Befund registriert. Um ein wirklich guter klinischer Untersucher zu werden, braucht man Jahre.

 

Fazit:

Du steckst im klinischen Studium und stellst praktisch-handwerkliche Lücken bei dir fest? Kein Grund zur Panik! Solche Defizite kannst du im Praktischen Jahr ausbügeln. Und auch in dieser Phase erwartet kein Mensch von dir, dass du zum „perfekten“ Arzt mutierst. Wichtig ist allerdings, dass du im PJ einige ärztliche Tätigkeiten übst, die schon zum Klinikeinstieg von dir erwartet werden. Achte darauf, dass du ein Tertial in dem Fachbereich absolvierst, in dem du später die Weiterbildung machen möchtest. So kannst du dich schon auf die ­speziellen Aufgaben und Eigenheiten des Fachs vorbereiten. Denn eins ist klar: Die ersten Wochen als Assistenzarzt werden anstrengend. Friederike erzählt: „Man wird ins kalte Wasser geworfen und muss einfach durchhalten. Und je mehr praktische Basics man schon kann, desto leichter fällt einem der Start.“Dabei sind die handwerklichen Skills nur ein Detail der Anforderungen, die dich erwarten. „Am Anfang ist eines der Hauptprobleme, ­herauszufinden, was von dem ganzen angehäuften theoretischen Wissen tatsächlich praktisch relevant ist“, sagt Margret. „Wenn man nicht sicher ist, was jetzt Priorität hat, sollte man deshalb un­bedingt nachfragen.“ Seine Schwächen zu verbergen, führt nicht dazu, dass man etwas lernt, betont auch Prof. Schneider, Direktor der Poliklinik für Rheumatologie am Uniklinikum Düsseldorf: „Es ist wichtig, dass Assistenzärzte sich und ihr Können richtig einschätzen. Im Zweifelsfall sollte man sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten. Das ist die größte Herausforderung für junge Me­diziner, denn in der Medizin gibt es immer noch kein System für einen offenen Umgang mit Fehlern und Schwächen.“ Dabei findet er es auch wichtig, dass seine Schützlinge ein Gefühl für Entscheidungen bekommen. Nur dann können sie mit der Zeit eigenverantwortlich arbeiten. Bis es so weit ist und man sicher auf den eigenen Beinen steht, dauert es etwa ein Jahr. Erst dann ist man komplett in die Arztrolle reingewachsen, hat eine gewisse Sicherheit im Handeln – und endlich (weitgehend) ungebremste Freude an seinem Beruf.

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