• Facharztcheck
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  • Ines Elsenhans
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  • 10.04.2012

Zusatz-Weiterbildung Tropenmedizin

Dass Tropenmediziner mit Tropenhelm und weißem Anzug im klimatisierten Zelt sitzen und Einheimische in Scharen von Parasiten befreien, ist ein überholtes Klischee. Heutzutage spüren sie vor allem infektiöse Mitbringsel heimkehrender Tropenreisender auf. Und doch: Für Ärzte, die das Fernweh plagt, ist dieses Fach nach wie vor eine vorzügliche Wahl.

 

T. Jelinek mit Eingeborenen in Afrika - Foto: T. Jelinek

Dr. Jelinek, Tropenmediziner und wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Reisemedizin in Düsseldorf (CRM), untersucht den Ulcus tropicum eines Einheimischen im Omo-Gebiet in Südäthiopien. Dieser chronische Hautdefekt mit dem Mykobakterium ulcerans ist sehr schmerzhaft.

 

Irgendwo im Dschungel Gambias: Die deutsche Touristin Anne Werner* kehrt von einer Wanderung ins Camp zurück. Das Ambiente ist paradiesisch. Es ist ihr letzter Ulaubstag. Doch Anne ist geschafft und will sich so schnell wie möglich hinlegen. Dabei begeht sie einen folgenschweren Fehler. Bevor sie in ihr Zelt krabbelt, zieht sie ihre verschwitzte Hose aus und legt sie auf das Zeltdach. Nur Sekunden nachdem Anne hinter sich das Moskitonetz zugezogen hat, nimmt das Unheil seinen Lauf: Eine umherschwirrende Tumbufliege wird von der müffelnden Kleidung angelockt und legt ihre Eier ins Gewebe. Am nächsten Morgen haben sich bereits einige Larven entwickelt. Als Anne in ihre Hose schlüpft und sich auf den Weg zum Flughafen macht, beginnen die Tierchen sofort, ihre Haut zu durchbohren. Noch während des Flugs nach Berlin juckt es die Touristin am Oberschenkel, und sie entdeckt die geröteten Papeln. Besorgt fährt sie nach ihrer Ankunft zum Tropenmediziner Dr. Tomas Jelinek. Dieser erkennt die Dermatomyasis sofort und weiß Rat: Er bindet Schinkenstreifen auf die betroffenen Stellen. Angelockt von dem würzigen Geruch, winden sich die Larven in den kommenden Stunden aus dem Oberschenkel heraus und können entfernt werden.

Anfänge: Hilfe für kranke Kolonisten

Solche Fälle faszinieren Dr. Jelinek, Facharzt für Innere Medizin, Tropenmedizin und Infektiologie in Berlin, an seinem Fach: klare Diagnosen, einfache Therapiemethoden - und ein genau definierter "Übeltäter". Schon im Studium interessierte er sich für die kleinen Kreaturen, die den Menschen so große Probleme machen. Folgerichtig schrieb er seine Doktorarbeit über das Hepatitis-C-Virus, das damals gerade neu entdeckt worden war. Damit konnte er an diesem besonderen Pioniergeist teilhaben, der die Tropenmedizin seit ihren Anfängen auszeichnet - diesem Drang, der Ursache einer hässlichen Krankheit auf die Schliche zu kommen und sie zu bekämpfen. Zu den Forschern, die auf diesem Weg erfolgreich waren, gehört etwa der Franzose Alphonse Laveran, der 1880 als erster Mensch unterm Mikroskop den Malaria-Erreger Plasmodium falciparum erblickte.

Natürlich war Forscherdrang nur ein Aspekt, der die Entwicklung des Faches im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auslöste. Es gab auch einige ganz pragmatische Gründe: Die von den europäischen Mächten in den Kolonien stationierten Soldaten und Beamten erkrankten reihenweise an Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber und Ruhr. Deswegen wurden Ärzte zu ihnen geschickt, die natürlich entsprechend ausgebildet sein mussten. Deshalb gründete Patrick Manson 1899 in London die School of Hygiene and Tropical Medicine - heute das älteste Tropeninstitut der Welt. Die Cholera-Epidemie 1892 in Hamburg, bei der rund 9.000 Menschen starben, gab in Deutschland den Anstoß, den Marinearzt Bernhard Nocht damit zu beauftragen, die Hygienebedingungen in der Hansestadt und auf den einlaufenden Schiffen zu verbessern. Im Jahr 1900 wurde auf seine Initiative hin das erste deutsche Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten gegründet, das später ihm zu Ehren in Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) umbenannt wurde.

Um die tropischen Krankheiten besser verstehen zu können, führten die deutschen Tropeninstitute früher häufig Außenstationen - z. B. die 1968 erbaute "Liberia Research Unit". Dort wurden etwa Blutproben von Dorfbewohnern filtriert, um nach Mikrofilarien zu suchen, den Erregern der lymphatischen Filariasis (Elefantiasis). Mittlerweile gibt es nur noch zwei deutsche Außenstationen: die Forschungsstation des BNI in Kumasi (Ghana) und die Station des Tübinger Instituts für Tropenmedizin in Lambaréné (Gabun). Dr. Jelinek befürwortet diese Entwicklung: "Das weiße Gutmenschen-auftreten nach dem Motto ‚Ihr könnt das alles gar nicht! Lasst uns mal eure Kranken behandeln!' gibt es heute nicht mehr. Vielmehr wird vor Ort mit den einheimischen Ärzten trainiert, damit sie die Kranken selbst versorgen und im Labor forschen können."

Heute: Heimkehrerretter und Pandemiebekämpfer

Obwohl die tropenmedizinischen Institute ihre Aktivitäten vor Ort verringert haben, gibt es nach wie vor ausreichend Arbeitsfelder für Tropenmediziner mit Fernweh. Oft geht es dabei um die Ausbruchskontrolle von tropischen Krankheiten. In diesem Job arbeitet man für Institutionen wie die WHO und versucht, in Ausbruchsgebieten die Verbreitung einer Krankheit zu verhindern. Innerhalb eines solchen Projektes haben es z. B. schwedische Wissenschaftler geschafft, auf Sansibar die Malaria auszurotten, indem sie durch Bettnäpfe die Hygiene verbessert und Medikamente verteilt haben. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erforschung von neglected diseases, also vernachlässigten Krankheiten wie Bilharziose. Für Tropenmediziner, die sich hier engagieren, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft einige Förderprogramme aufgelegt. Prof. Christian G. Meyer vom BNI macht noch auf einen neuen Aspekt im Bereich Public Health aufmerksam: "Seit ein paar Jahren kümmern wir uns nun auch um Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes. Diese entstehen durch immer westlichere Lebensstandards und Ernährungsweisen in den Tropen."

Auch in Deutschland hat sich die Aufgabenpalette der Tropenmedizin gewandelt: Der Hauptfokus liegt heute nicht mehr auf der Versorgung von heimkehrenden Soldaten, sondern auf der Behandlung von Urlaubern, die sich auf Weltreisen mit tropischen Krankheiten infizieren. Eine Aufgabe, die Dr. Jelinek besonders viel Spaß macht: "Ich liebe es, knifflige Fälle zu lösen. Die Krankheiten, mit denen die Leute in meine tropenmedizinische Sprechstunde kommen, sind ja zum Teil recht bizarr. Wenn man dann einen Wurm oder ein seltenes Virus diagnostizieren und den Patienten heilen kann, ist das schon ein tolles Gefühl." Ganz anders geht Dr. Jelinek bei seiner Arbeit als Flughafenarzt vor. Hier steht der Schutz der Bevölkerung im Fokus: "Meldet ein Pilot einen auffälligen Gast, darf nach der Landung niemand aussteigen. Ich gehe dann in Schutzkleidung in die Maschine und untersuche den verdächtigen Reisenden. Zeigt er Symptome einer gefährlichen Infektion wie etwa Lassafieber, werden alle Passagiere in einer Quarantänestation des Flughafens isoliert, um weitere Übertragungen zu verhindern. Dann werden sie auf umgebende Kliniken aufgeteilt."

Wer auf die Arbeit direkt am Patienten keinen großen Wert legt, kann auch ins Labor. Meist ist die Tätigkeit dort stark spezialisiert auf tropische Viren, Würmer oder Einzeller. In der Virologie des BNI wird im Hochsicherheitslabor der Stufe vier unter anderem an den Wirtszell-Interaktionen von tropischen Viren geforscht. Dabei liegt der Fokus oft auf hochkontagiösen Viren wie Ebola sowie auf Viren mit großer Verbreitung wie HIV und Dengue.

Weiterbildung: 27 Monate Tropen intensiv

Dr. Dennis Nurjadi stehen alle diese Bereiche der Tropenmedizin offen. Der junge Arzt ist gerade mitten in der Zusatz-Weiterbildung Tropenmedizin am Institut für Tropenmedizin in Tübingen. Während der Weiterbildungszeit ist ein dreimonatiger Kurs in Tropenmedizin Pflicht. Darauf folgen dann jeweils 12 Monate in einer tropenmedizinischen Einrichtung und in der Patientenversorgung in den Tropen. Da Dr. Nurjadi auch sein PJ in der Tübinger Tropenmedizin gemacht hat, bekam er nach dem Studium die Gelegenheit, dort die Zusatz-Weiterbildung zu beginnen. Damit hatte er Glück, denn in Deutschland gibt es nur wenige Weiterbildungsplätze: "Ich habe die Chance sofort genutzt. Meinen Facharzt möchte ich in der Inneren Medizin machen. Aber jetzt ziehe ich erst mal die Tropenmedizin vor", erzählt Dr. Nurjadi. Ohnehin kann er bei seiner momentanen Tätigkeit in der tropenmedizinischen Ambulanz auch schon viel internistische Erfahrung sammeln. Meist beginnt Dr. Nurjadi um acht Uhr und untersucht bis zur Mittagspause etwa sechs Reiserückkehrer mit Beschwerden. Häufig hat er es dabei mit Wurm- oder Virusinfektionen zu tun.

Neben der Betreuung von Patienten macht er zudem die G35-Untersuchung* bei Arbeitnehmern, die beruflich ins Ausland gehen. In der Ambulanz durfte Dr. Nurjadi schon nach wenigen Wochen selbstständig arbeiten: "Ich untersuche den Patienten und überlege dann erst mal selbst, was er haben könnte und welche weiteren Untersuchungen gemacht werden müssen. Anschließend bespreche ich das mit dem Oberarzt, und wir entscheiden gemeinsam das weitere Vorgehen." Dieser Weg ist auch aus Kostengründen wichtig. Denn die Tests im Labor haben, anders als in der normalen Routinediagnose, keinen so hohen Probendurchsatz und sind daher teuer und zeitaufwendig. Am Nachmittag klärt Dr. Nurjadi in der reisemedizinischen Sprechstunde Urlauber über medizinische Vorsorgemaßnahmen auf. Danach hätte er Feierabend - tatsächlich geht er aber oft noch ins Labor, um an seinem Forschungsprojekt zu arbeiten. Sein Thema ist die Epidemiologie, Pathogenität und Antibiotikaresistenz von Staphylococcus aureus bei Reiserückkehrern.

Hintertürchen: Mikrobiologie

Als Tropenmediziner braucht man nicht unbedingt die Zusatz-Weiterbildung Tropenmedizin. Dr. Schmidt-Chanasit etwa macht gerade die Weiterbildung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie und arbeitet in der Virus-Diagnostikabteilung des BNI. Er ist es auch, der alarmiert wird, wenn ein Kollege einen Patienten mit Verdacht auf ein hochansteckendes Virus wie Lassa, Ebola oder Marburg hat. Solche Fälle sind zwar selten, tritt aber einer ein, geht er zu jeder Tages- und Nachtzeit sofort ins Labor, um die Diagnose zu ermitteln. Das Ergebnis muss schnell vorliegen, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. Bei den Patienten selbst können bei solchen Erkrankungen bisher nur die Symptome behandelt werden. Doch Dr. Schmidt-Chanasit bemüht sich mit vollem Einsatz um experimentelle Therapien: "Vor drei Jahren hatte bei uns eine Frau im Sicherheitslabor der Stufe vier eine Nadelstichverletzung mit dem Ebola-Virus. Wir haben einen bisher nur an Affen getesteten Impfstoff aus Kanada einfliegen lassen. Ich bin dann in einer Nacht- und-Nebel-Aktion von Hamburg nach Frankfurt zum Flughafenzoll gerast und hab auch noch drei Punkte kassiert. Letztendlich hat die Frau überlebt. Ob das nun dem Impfstoff zu verdanken war, ist ungewiss, da nicht genug Zeit war, zu überprüfen, ob wirklich eine Ebola-Virus-Infektion vorlag."

Perspektiven: klimatisch bedingt gut

Egal in welchem Gebiet man später in der Tropenmedizin arbeiten möchte: Ein Auslandsaufenthalt in den Tropen, z. B. im Rahmen einer Famulatur, ist auf jeden Fall sinnvoll, um zu sehen, ob einem das Fach liegt. Zudem sollte man Spaß an detektivischer Arbeit haben und eine gewisse Faszination für Parasiten. "Ich kenne keinen Tropenmediziner, der Würmer nicht mag. Diese Lebenszyklen sind einfach spannend und gehören natürlich auch dazu, wenn es gilt, eine Wurminfektion zu erkennen", so Dr. Jelinek.

Leider sind die finanziellen Perspektiven nicht gleichrangig faszinierend. Aus wirtschaftlicher Sicht lohnt es sich z. B. nicht, eine tropen- und reisemedizinische Praxis zu betreiben. Die meisten niedergelassenen Tropenmediziner sind daher Internisten oder Allgemeinmediziner. Feste Stellen für reine Tropenmediziner sind rar - was Dr. Jelinek durchaus kritisch sieht: "Wir brauchen kompetente Spezialisten, die mit nach Deutschland eingeschleppten Krankheiten umgehen können." Dieser Meinung ist auch Prof. Meyer - und er fügt hinzu: "Viele Menschen leben in tropischen Gebieten. Da haben wir einfach generell die Verpflichtung, uns auch um sie zu kümmern. Zudem werden Europa im Rahmen des Klimawandels bald auch Krankheiten erreichen, die früher allein auf die Tropen beschränkt waren. Dafür sollten wir gerüstet sein!" Deshalb hält es Prof. Meyer für die Zukunft der deutschen Tropenmedizin für unabdingbar, dass sie noch enger mit Experten in den Herkunftsländern kooperiert.

An Ärzten, die die Zusatz-Weiterbildung machen möchten, mangelt es nicht. Das Spektrum reicht vom 25-jährigen Mediziner, der gerade das Staatsexamen gemacht hat, bis zum berenteten Internist, der noch mal ins Ausland möchte. Dieser Andrang wundert Prof. Meyer nicht: "Tropenmedizinische Erkrankungen sind schon etwas anderes als Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Für uns mögen diese Leiden exotisch wirken. Doch in weiten Teilen der Erde gehören sie zum Alltag. Deswegen mag die Tropenmedizin in Deutschland ein kleines Gebiet sein - international gehört sie aber zu den wichtigsten Fächern der Medizin."

 

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